Corona? Welches Corona? Island im Juni 2020

Island, 24. Juni 2020
Es ist Tag 10 nach der Grenzöffnung am 15. Juni, die es Touristen aus Schengenländern wieder möglich macht, nach Island zu reisen. Jeder Einreisende wird an der Grenze getestet, am Flughafen in Keflavik, wie auch am Fährhafen in Islands Osten. Jeder, außer Kindern unter 10 Jahren und Fluggästen aus Grönland und den Faröer Inseln, zwei Länder die eine lupenrein coronafreie Weste vorweisen können.
Das hat Island selbst ganz knapp nicht geschafft, denn am Tag der Grenzöffnung am 15. Juni gab es noch einen letzten aktiven Fall von Covid-19. Siebzehn neue Fälle sind durch einreisende Fluggäste seitdem dazu gekommen, 8259 Tests wurden durchgeführt. Für positiv getestete Touristen wird kostenlos eine Quarantäneunterkunft zur Verfügung gestellt. Im Juni sind die Tests für die Reisenden noch kostenfrei – und wird vom isländischen Steuerzahler übernommen. Ab Juli sollen sie dann 15.000 Kronen kosten, was umgerechnet derzeit rund 100 Euro entspricht.
Aber bis Juli kann sich auch noch viel ändern. Es wird gerade wieder diskutiert, die Liste der 'sicheren Länder' zu erweitern. Deutschland könnte dann dazu gehören, vermutlich auch Dänemark, Norwegen und Finnland. Für Reisende außerhalb des Schengen-Raums ist die Zukunft eher ungewiss. Dass nach dem 1. Juli das Land für Reisende aus den USA geöffnet werden wird, scheint bei der derzeitigen Entwicklung eher unwahrscheinlich.

Vor der Grenzöffnung wollte ich doch noch mit eigenen Augen sehen, wie Island außerhalb Reykjavíks und des 'Golden Circles' ohne Touristen aussieht. Mit Auto und Zelt brachen wir also gen Osten auf, um die Insel zu umrunden. Ich bin schon einige Male um die Insel gefahren und habe die Touristenattraktionen an der Südküste schon unzählige Male besucht, zu allen Jahres- und Tageszeiten. Aber so leer wie diesmal war es tatsächlich noch nie.
Die Ostfjorde sind weitgehend leer, Cafés bleiben geschlossen
Wir waren zur späten Mittagszeit am schwarzen Strand Reynisfjara bei Vík. Wo sonst unzählige Busse, Mietautos und Campervans stehen, erwartete uns ein nahezu leerer Parkplatz. Ein kleiner Reisebus mit isländischen Senioren brach gerade auf und am Strand selbst war außer uns nur eine Familie zu sehen. Ein ähnliches Bild erwartete uns dann auch bei Jökulsalón, der Gletscherlagune, die durch einen James Bond Film und zuletzt auch durch ein Justin Bieber Musikvideo berühmt wurde.

Auf den Campingplätzen begegnen uns ausschliesslich Isländer (in großen Campingmobilen) und in Island lebende Ausländer (in kleinen Zelten). Viele sind es nicht und die meisten reisen - durch plötzliche Arbeitslosigkeit - mit viel Zeit. Die Ostfjorde sind weitgehend leer, viele Cafés bleiben geschlossen, obwohl nun eigentlich Hochsaison wäre.
Die Regierung fördert seit einiger Zeit Kampagnen, um Isländer zum Urlaub im eigenen Land anzuregen. Jedem isländischem Einwohner über 18 Jahren wurde ein Gutschein über die Summe von 5000 ISK (Ferðagjöf bei derzeitigem Kurs ca 30 Euro) zur Verfügung gestellt, um diese in Hotels, Restaurants oder für Touren zu verwenden.
Der Erfolg ist fragwürdig, denn 'gefangen' im eigenen Land stellen viele Isländer fest, wie teuer es ist, als Tourist in Island unterwegs zu sein, wenn als Maßstab noch die Preise des ausgefallenen Urlaubs an der Spanischen Riviera im Kopf sind. Es wird verhalten gebucht. Ein Geothermal-Spa im Norden Islands, ähnlich der Blaue Lagune im Südwesten, bietet im Juni den Eintritt zum halben Preis. Wir greifen zu und müssen uns die mineralhaltige Badelandschaft mit Blick auf die Vulkanlandschaft des Myvatn-Sees mit nur wenigen anderen Gästen teilen.


Am mächtigen Dettifoss östlich des Myvatn sind wir allein. Unsere Reise geht weiter in einen Fjord im Norden. Bei der kleinen Siedlung Hofsós hatte ich über meine Gewerkschaft ein Ferienhaus angemietet. So folgte eine Woche auf einer Wiese am Fjord mit Tagesausflüges in der weiteren Umgebung. Im Nachbarfjord nahe der Stadt Akureyri liegt die kleine Insel Hrísey, die wir schon of besucht haben. Um den Tourismus anzukurbeln hat die Kommunalregierung beschlossen, die Fähre auf die Insel im Juni kostenlos bereitzustellen.
Das nette polnische Paar ist verschwunden
Diese Maßnahme schien Wirkung zu zeigen: Am Sonntag bevor Island die Grenzen für den europäischen Tourismus öffnet, müssen wir an der Fähre Schlange stehen. Nie habe ich erlebt, dass mehr als 15-20 Personen mitfahren, nun sind es weit über 100. Nach der Ankunft auf Hrísey erwartet einige der Reisenden allerdings eine böse Überraschung. Die Tourismusoffensive scheint sich nicht auf der Insel herumgesprochen zu haben: Keines der weniges Cafés oder Restaurants ist geöffnet, Der kleine Inselladen ist ebenfalls noch geschlossen. Was die anderer Fahrgäste dann auf Hrísey gemacht haben, blieb uns verschlossen. Auf den wenigen Wanderpfaden zur durch Vogelbeobachtungsgebiete ist uns niemand begegnet.

Der Unabhängigkeitstag am 17. Juni vergeht mit wenig Aufsehen - zumindest abseits der größeren Städte. Im Schwimmbad in Hofsós wird eine Wasserrutsche für die Kinder aufgebaut und aus den Lautsprechern ertönt laute isländische Popmusik. Sonst ein populärer Ort für Selfies sind heute keine ausländischen Touristen zu sehen.

Wir entschliessen uns, durch das Hochland über die historische Kjölurroute zurückzufahren, die erst wenige Tage zuvor für den Sommer geöffnet wurde. Bei den populären Geothermalquellen am Nordende der Strecke ist fast niemand zu sehen und auch sonst fahren wir beizeiten lange Strecken ohne einem anderen Auto zu begegnen.
Auf dem Rückweg halten wir an einer Farm am Rande des 'Golden Circles' an, die berühmt für ihr Eis (von den eigenen Kühen) und so gut besucht ist, wie wir es noch nie in den letzten Jahren erlebt haben. Das Stimmengewirr ist durchweg isländisch. Im letzten Jahre gab es hier einen Salmonellenskandal. Bereits seit diesem Zwischenfall ist die Farm gut mit Desinfektionsmitteln ausgestattet, die sieht man ansonsten in der Post-Covid-Zeit in Island schon wieder seltener.
Eine andere Auswirkung von Covid-19: Das nette polnische Paar, das hier immer gearbeitet hat, ist verschwunden. Das Eis wird jetzt wieder von den Kindern der Bauernfamilie verkauft, in isländischer Tracht und anscheinend auch schon wieder an 'echte' Touristen, wie eine Mitarbeiterin berichtet: an den Tagen zuvor hat sie die ersten Gäste aus Belgien und Deutschland bewirtet.

Zurück in Reykjavík ist auch hier die Grenzöffnung spürbar: mehr und mehr Touristen sind im Stadtbild zu sehen, wenn auch bei weiten nicht in den Zahlen, die man zu dieser Jahreszeit eigentlich erwarten würde. Noch stellen die Isländer die Mehrheit derer, die sich in den Cafés und Restaurants der Hauptstadt an der Sommersonne erfreuen. Ob die Grenzöffnung auch die erhoffte Rettung der isländischen Wirtschaft bedeutet oder für eine zweite Coronaviruswelle sorgt, wird sich zeigen. Für den Moment wirkt es hier so, als hätte es Covid-19 nie gegeben.
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