Wenn Kinder nur jeden zweiten Tag zum Unterricht kommen – oder gar nicht

Die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Schulen in Südafrika

vom Recherche-Kollektiv Afrika-Reporter:
8 Minuten
Ein Lehrer steht vor seiner Klasse, er trägt eine Gesichtsmaske, die Schüler. Die Schüler sitzen an ihren Pulten.

Anele Zungu beißt in ihr Pausenbrot und unterhält sich mit ihrer Mitschülerin. Die beiden Siebtklässlerinnen stehen einen guten Meter voneinander entfernt auf dem Schulhof der Naidoo Memorial Primary School in Umkomaas. Weiße Punkte auf dem Boden markieren die Abstände. Ein Lehrer wacht darüber, dass sie auch eingehalten werden. Große Pause in Corona-Zeiten bedeutet stillstehen statt rumlaufen. Und nur jeden zweiten Tag Unterricht, erzählt das Mädchen.

„Unsere Klasse wurde in zwei Gruppen aufgeteilt, die eine ist heute hier, die andere morgen.“ Auf ihre Grundschule gehen Kinder von der ersten bis zur siebten Klasse. Auch die anderen Jahrgänge wechseln sich mit dem Unterricht ab, so wie in vielen Schulen Südafrikas. Der Grund dafür ist die Zahl der Schülerïnnen: 1154 gehen auf diese Schule, an der nur 37 Lehrerïnnen angestellt sind. Im Durchschnitt sitzen 40 Kinder in einer Klasse. Zu viele, um soziale Distanz zu wahren.

Kinder stehen in Abstand auf dem überdachten Pausenhof, ein Lehrer hat Aufsicht
Große Pause: Stillstehen statt rumlaufen

Die Schulleitung ist stolz darauf, dass sie die Zahl der Infektionen auf diese Art in Schach halten konnte. Im vergangenen Jahr habe es keinen einzigen Fall gegeben, erzählt der stellvertretende Direktor Salesh Laganparsad. Seit die Delta-Variante auch in Südafrika dominiert hat sich das geändert. „Bei der letzten Zählung waren es elf Fälle. In den meisten wurde ein Elternteil krank, woraufhin auch die Kinder positiv getestet worden sind.“ Die Schule beteiligt sich an der Kontaktverfolgung. Nach zehntägiger Isolation dürfen die Kinder den Unterricht wieder besuchen.

Die Schulglocke schrillt. Diszipliniert und maskiert, mit gebotenem Abstand, gehen Anele und ihre Mitschülerïnnen in einen Klassenraum im ersten Stock – auch mit der Hälfte der Pulte wirkt der Raum gut gefüllt. Als ihr Lehrer den Raum betritt erheben sie sich und begrüßen ihn mit einem „guten Morgen“. „Wo waren wir vorgestern stehengeblieben?“, fragt Ramisperen Rangasamy und knüpft an die letzte Unterrichtstunde an.

Halbe Klassen – doppelt so viel Zeit für den gleichen Lernstoff

Die kleineren Klassen hätten den Vorteil, dass er stärker auf die Bedürfnisse einzelner Schülerïnnen eingehen könne, sagt Rangasamy. Obwohl das Bildungsministerium den Lehrplan bereits verschlankt habe, sei es trotzdem fast unmöglich, den verpassten Lernstoff einzuholen. „Es ist schwierig, ein kontinuierliches Lernen zu gewährleisten. Wenn die Kinder zuhause sind, lernen sie kaum. Das muss dann im Unterricht nachgeholt werden und so geht es nur sehr langsam voran.“ Denn für die Vermittlung des gleichen Lernstoffs braucht er nun doppelt so viel Zeit.

Der Lehrer steht mit einem Buch vor seiner Klasse, die Schüler schauen ihn an, an der Wand hängen Corona-Aufklärungsposter
Unterricht der 7.Klasse

Nebenan unterrichtet seine Kollegin Reetha Pillay Erstklässler. „Für die Kleinen ist es besonders schwer“, sagt sie mitfühlend. Viele kämen aus Familien, in denen isiZulu die Muttersprache ist. Schon in normalen Zeiten bräuchten diese Kinder besondere Unterstützung, um dem Unterricht auf Englisch folgen zu können. Ohne tägliche Übung sei es noch schwerer. „Wir üben in einer Stunde einen Lesetext, aber dann gehen sie nach Hause, kommen erst am übernächsten Tag wieder und wir müssen erneut bei Null anfangen.“

Fast ein ganzes Schuljahr muss aufgeholt werden

Diese Bildungslücken bereiten ihr und den anderen Lehrkräften Sorgen. Wenn die Kinder in die nächste Stufe versetzt werden, fehlen ihnen grundlegende Kenntnisse, die sie normalerweise haben sollten. Zu Beginn des Lockdowns, im März 2020, wurden die Schulen für drei Monate komplett geschlossen und in den Monaten darauf sukzessive nach Jahrgängen wieder geöffnet. Erst Ende August 2020 konnten alle Kinder wieder zur Schule gehen.

Durch diese massiven Ausfälle und den anhaltenden Wechselunterricht, so die Schätzung einer aktuelle Studie, hätte die Mehrheit der Grundschülerïnnen im Zeitraum zwischen März 2020 bis Juni 2021 zwischen 70 und 100 Prozent des Lernstoffs eines normalen Schuljahrs verpasst. Das Bildungsministerium hat zwar einen Plan aufgestellt, wie diese Lernverluste über mehrere Jahre wieder wettgemacht werden sollen, aber viele Lehrer halten ihn für unrealistisch.

Der Lehrer und der stellvertretende Direktor stehen neben einem Aufsteller ihrer Schule, der Naidoo Memorial Primary School in Umkomaas
Ramisperen Rangasamy und Salesh Laganparsad
Die Schule ist vom Sportplatz und Schulhof aus zu sehen, Treppen führen neben einem Baum zu den Klassenräumen, davor stehen Wassertanks
Naidoo Memorial Primary School, Umkomaas