Die Mauersegler sind wieder da!
Wo kommen die schnellen Dauerflieger jetzt her und was haben sie in den vergangenen 9 Monaten gemacht? Mit dem Mauersegler durch das Jahr.
Über zwei Wege gelange ich meist unmittelbar zurück an den Ort heller Kindheitstage. Der eine Weg geht über den Geruch, der andere über das Gehör. Wenn ich das Gemisch aus Salz, Seetang und Sonnencreme rieche oder das eilige „Srih-srih“ einer Gruppe von Mauerseglern höre, die an einem Sommerabend um die Häuserblocks fliegen, stehe ich wieder in der Strandstraße. Direkt am Meer, dort wo wir jedes Jahr den Großteil unserer Sommerferien verbrachten. Die Mauersegler nisteten dort in Höhlen unter dem alten Dach eines Hotels. Direkt daneben lag unsere kleine Pension, von der aus wir barfuß die wenigen Meter zum Strand laufen konnten.
Schon damals beeindruckten mich die Flugkünste und die scheinbar unbegrenzte Kondition der Dauerflieger, die sich die längste Zeit des Jahres in Afrika aufhalten und bei uns nur drei Monate zu bewundern sind.
Die Langstreckenflieger kehren zurück
Jetzt sind sie wieder da. Hoch oben am Himmel zeichnet sich die typische Silhouette der Mauersegler gegen das helle Frühlingsblau ab, ihre sichelförmigen Flügel und der kurze gegabelte Schwanz. Nach und nach treffen die Vögel Ende April, Anfang Mai bei uns ein.
Nach der Tag- und Nachtgleiche am 20. März (dem Frühlingsbeginn bei uns) sind sie von Zentralafrika aus Richtung Westafrika gestartet, um dort bei beginnender Regenzeit im April noch einmal Insekten aufzutanken, bevor es über die Sahara geht. Die Routen, die die einzelnen Vögel bei ihrem Zug Richtung Europa wählen, sind meist dieselben, die sie auch im vergangenen Frühjahr oder im Herbst (andersherum) genutzt haben. Mauersegler reisen allein, in kleineren oder gelegentlich auch einmal größeren Gruppen.
Dabei erreichen sie Flughöhen von 4000 Metern und überblicken tausende Quadratkilometer der Landschaft unter sich. Offenbar speichern die Vögel auffällige Erkennungszeichen der Erdoberfläche ab. Mit hoher Präzision steuern sie nach ihrer Ankunft im Brutgebiet – das sich im Norden bis nach Norwegen, Schweden und die Britischen Inseln erstreckt – den Nistplatz des vergangenen Jahres an. Sie merken sich ganz genau, wo das Einflugloch zur Nesthöhle liegt. Mauersegler führen eine Ortsehe. Männchen und Weibchen, die äußerlich kaum zu unterscheiden sind, legen den Langstreckenflug über die Kontinente hinweg meist nicht gemeinsam zurück. Sie treffen sich am Nest.
Wenn es noch da ist. Bei uns nisten die Höhlenbrüter gerne unter Dachziegeln, in Höhlen oder Spalten alter Gebäude. Wurden diese jedoch im Laufe des Jahres renoviert und dadurch die Höhlen oder Zugänge verbaut (und nicht durch Nistkästen ersetzt), müssen die Segler eine neue Bleibe finden. Vogelforscher vermuten, dass der Wegfall geeigneter Bruthöhlen beispielsweise in Großbritannien die Größe der Mauersegler-Population zwischen 1995 und 2016 halbierte.
Ursprünglich bauten die Vögel ihre Nester in Felsspalten oder Baumhöhlen. In manchen Gebieten Skandinaviens tun sie das auch heute noch. Seit Beginn des letzten Jahrhunderts verschwand bei uns der Baumbrüterbestand fast komplett. Unter anderem deshalb, weil es in den Wäldern kaum noch wirklich alte Bäume gibt, die die Vögel bevorzugen. Im Harz brüten glücklicherweise auch heute noch 400 bis 500 Paare, die die verlassenen Spechthöhlen meist sehr alter Eichen nutzen.
„Mauersegler sind baufaul“, sagt Arndt Wellbrock, der die Lebensweise der Vögel in der AG von Klaudia Witte am Institut für Biologie an der Universität Siegen erforscht. Ist das Nest vom Vorjahr noch intakt, wird es einfach wieder verwendet und ausgebessert. Muss ein neues gebaut werden, sammeln die Vögel Nistmaterial in der Luft: Grashalme, Fasern, Federn, Samen, Haare. Das alles wird gut eingespeichelt und zu einer flachen Schale mit 11-Zentimeter Durchmesser verarbeitet.
Sex in der Luft
Mauersegler sind Dauerflieger, brütende Elternvögel rund zehn Monate, junge, noch nicht geschlechtsreife Vögel mitunter das ganze Jahr (!) in der Luft. Ob die Flugkopulation eher ein Balzspiel ist oder ob es dabei tatsächlich zu einer Befruchtung kommt, weiß man nicht. Dabei fliegt das Männchen das ruhig voraus fliegende Weibchen von schräg oben an und verkrallt sich in ihrem Gefieder. Das Weibchen stellt die Flügel waagerecht, das Männchen seine V-förmig nach oben, beide verlieren kurz deutlich an Flughöhe und Geschwindigkeit, nach wenigen Sekunden trennen sich die beiden wieder.
Für die Eiablage und Aufzucht der Jungen bleibt nur ein kleines Zeitfenster. Frühestens sieben Tage und bis spätestens vier Wochen nach der Ankunft am Brutplatz beginnt das Weibchen nacheinander zwei bis drei elliptisch geformte, glanzlos weiße Eier abzulegen. Meistens geschieht dies in der zweiten Maihälfte, morgens und jeweils im Abstand von zwei Tagen. Die rund 3,5 Gramm schweren Eier werden vom Männchen und Weibchen abwechselnd bebrütet. Dabei wenden und schieben sie die Eier mit Schnäbeln und Füßen umher. Noch vor Einbruch der Dunkelheit fliegt der Partner, der gerade noch unterwegs war, die Höhle an. Um die Öffnung zu finden, brauchen die Vögel Licht. Sie übernachten zu zweit in der Nisthöhle, wo sie sich gegenseitig putzen und schnäbeln.
Wachstum je nach Wetter
Wie das Geschlechterverhältnis beim Nachwuchs ausfällt, könnte möglicherweise mit dem Wetter zusammenhängen. Arndt Wellbrock und seine Kollegen haben beobachtet, dass die Mauersegler bei warmem trockenem Frühlingswetter ihre Eier relativ früh ablegen und daraus dann eher mehr weibliche als männliche Küken schlüpfen. Im Unterschied etwa zum Menschen, entscheidet es sich bei Vögeln schon bei den Prozessen der Eireifung und damit vor der Befruchtung durch den männlichen Samen, welches Geschlecht der Nachkömmling haben wird.
Die Küken schlüpfen nach knapp drei Wochen, in der Regel Anfang Juni. Einige Stunden bevor es soweit ist, kann man ihre Stimmen schon durch die Schale hindurch hören. Die Küken sind zunächst nackt, graurosa gefärbt und unter drei Gramm schwer. Wie schnell sie an Gewicht zulegen und schließlich flügge werden, hängt entscheidend vom Wetter ab. Die Elternvögel verlassen das Nest auf der Suche nach Insektenfutter meist kurz vor Sonnenaufgang. Zunächst in kürzeren, später in längeren Zeitabständen kommen sie mit ihrer gesammelten Beute, die sie in ihrem Kehlbeutel transportieren, im Durchschnitt fünf bis sechsmal am Tag zur Nisthöhle zurück. Mit dieser Frequenz liegen die Mauersegler zwischen einigen Singvögeln, die zum Teil mehr als zehnmal in der Stunde füttern und manchen Seevögeln, deren Junge mit minimal einem Besuch täglich auskommen müssen.
Bei optimalen Wetterbedingungen und Insektenangebot kann das Küken 11 Tage nachdem es geschlüpft ist, sein Gewicht bereits mehr als verzehnfacht haben. Ist es dagegen sehr regnerisch und kühl, wiegt es nach dieser Zeitspanne kaum mehr als das Anderthalbfache. Nach gut einer Woche öffnen sich die Augen der Küken. Normalerweise ist der kleine Vogel mit Ausnahme des Halsbereiches nach einem Monat komplett befiedert. Auch das verzögert sich bei schlechter Witterung.
Bei Kälte inaktiv und starr
Ist es um die Eisheiligen oder Schafskälte herum einmal außergewöhnlich kühl, verfallen die Altvögel zusammen mit ihrer Brut in eine inaktive Starre, Torpor genannt, um Stoffwechselenergie zu sparen. Die Körpertemperatur wird um bis zu 14 Grad Celsius abgesenkt, die Hirnaktivität und zelluläre Syntheseprozesse heruntergefahren. Passiert das in den ersten 14 Lebenstagen der Küken, müssen die Altvögel sie morgens wieder aufwärmen. Danach kommen die Kleinen von selbst wieder auf Temperatur. Erwachsene Vögel können diesen Zustand fünf bis sieben Nächte hintereinander aushalten (am Tage werden sie immer wieder wach), dann sind meist alle Reserven aufgebraucht.
Auch der Bruterfolg insgesamt ist stark wetterabhängig. Bei guten klimatischen Bedingungen überleben fast alle der geschlüpften Küken, bei schlechten Bedingungen nur ein Drittel bis die Hälfte. Da die Mauersegler überdurchschnittlich lange leben – im Mittel fünf bis sieben Jahre, der älteste nachgewiesene war 21 Jahre alt – fallen geringe Bruterfolge für die Populationsgröße insgesamt zunächst nicht sonderlich ins Gewicht.
Füße als Lebensversicherung
Der wissenschaftliche Name der Mauersegler „Apus apus“ leitet sich vom Griechischen „apus“ ab, was so viel heißt wie „ohne Füße“. Wörtlich stimmt das nicht. Natürlich haben die Vögel Füße. Sie verschwinden im Flug vollständig im Gefieder, was aerodynamisch günstig ist. „Die Füße sind sogar die Lebensversicherung der Vögel“, sagt Arndt Wellbrock. Mit ihnen krallen sich die jungen Vögel am Nest fest. Im Gegensatz zu anderen Vogelarten sind beim Mauersegler alle vier Zehen nach vorne ausgerichtet. „Mauersegler können mit ihren Füßen laufen, auch wenn es wegen der Flügellänge ein wenig ungeschickt aussieht“, sagt Arndt Wellbrock. Sehr gekonnt setzen sie ihre kurzen, sehr starken Füße im Kampf gegen Feinde oder auch konkurrierende Artgenossen ein.
Nach fünf bis sechs Wochen sind die Jungvögel mehr oder weniger gleichzeitig flügge. Haben sie sich erst einmal aus dem Nest gewagt, kommen sie nicht mehr zurück. Ab etwa Mitte Juli sind sie komplett selbständig und mit ihren Artgenossen unterwegs. Zunächst noch in relativer Nähe zur Brutkolonie, etwa bei der Insektenjagd über Waldrändern, Wiesen und Feldern oder abendlichen „Screaming Partys“, bei denen sie in kleinen Gruppe lautstark durch die Lüfte sausen.
Schon Ende Juli, spätestens Anfang August geht es zurück in den Süden. Die Zeitspanne, in der die Jungvögel Flugfähigkeit und Kondition trainieren können, ist also außergewöhnlich kurz. Die Jungvögel und einjährigen Mauersegler, die noch nicht gebrütet haben, starten meist zuerst. Die Altvögel bleiben noch ein paar Tage länger in Nistplatznähe.
Zurück in den Süden
Rasch überwinden die Segler große Distanzen. Forscher beobachteten beispielsweise einen Jungvogel, der am 31. Juli im britischen Oxford ausflog und schon am 3. August in Madrid ankam. In drei Tagen hatte er über 1400 Kilometer zurückgelegt. Zunächst geht es häufig nach Spanien. Die Mauersegler arbeiten sich dann mit kleinen Umwegen Richtung Afrika voran. Sollte es in Nordafrika überraschend kühl oder regnerisch sein, kehren sie gelegentlich auch noch einmal zurück nach Spanien.
Arndt Wellbrock nennt die Mauersegler „Individualreisende in Gesellschaft“. Um herauszubekommen, welche Routen sie fliegen und wo sie sich während des Jahres aufhalten, stattet der Biologe einige Mauersegler mit solarbetriebenen GPS-Datenspeichern aus. Viele Vögel verbringen den Winter hauptsächlich in Westafrika (Liberia, Elfenbeinküste, Ghana), andere in Zentralafrika (Kongobecken) oder noch südöstlich davon in Tansania oder Mosambik.
Das Überwinterungsgebiet einzelner Vögel erstreckt sich über riesige Flächen von 850.000 bis 2,8 Millionen Quadratkilometern (Deutschland: rund 357.000 Quadratkilometer). Dabei steuern sie die einzelnen Regionen auf einer Rundreise nach und nach an. Die Segler fliegen in verschiedenen Trupps über Regenwälder und Savannen oder halten sich in der Nähe großer Seen oder Flüsse Ostafrikas auf. Im Winter findet der energieaufwändige Federwechsel, die Mauser statt.
Gemeinsame Aufstiege in der Dämmerung
Dank der Informationen auf den GPS-Speichern weiß man, dass die Segler in Afrika quasi ununterbrochen in der Luft sind. Nachts fliegen sie häufig in kleinen Gruppen und verhalten sich – im Gegensatz zur Ruffreude am Tage – dabei recht still. In der Regel landen die Vögel nie, nur in Ausnahmefällen krallten sie sich nachts bewegungslos irgendwo fest. Auch in Afrika veranstalten die Mauersegler wie bei uns frühmorgens und abends so genannte Dämmerungsaufstiege. In kleinen oder größeren Gruppen steigen sie hoch hinauf und kommen danach langsam wieder tiefer. Warum sie dieses gemeinsame Ritual vollziehen, weiß man nicht genau. Vermutlich dient es dem sozialen Austausch oder der Orientierung im Raum.
Mauersegler spüren anhand des Luftdruckes, ob eine Regenfront naht. Dank ihrer enormen Fluggeschwindigkeit (bis zu 150 Stundenkilometer) können sie einem Tiefdruckgebiet voraus oder hinterher fliegen. Dabei entgehen sie nicht nur den Regentropfen, sondern kommen in eine günstige Jagdposition. Insekten sind häufig ebenfalls vor oder nach einem Regengebiet anzutreffen. Bei sehr schlechtem Wetter kommt es zu einer regelrechten „Wetterflucht“. Eine Erscheinung, die man im Sommer wie im Winter beobachten kann; 100, 1000 aber auch bis 50.000 Vögel sind dann in Gruppen außerhalb des Tiefdruckgebietes anzutreffen.
„Um Weihnachten herum, wenn bei uns der Winter anfängt und wir die kürzesten Tage erleben, sind die Mauersegler meist an ihrem östlichsten Aufenthaltsort in Afrika angelangt“, sagt Wellbrock. Von dort aus geht es für die Segler dann in langsamen Bewegungen wieder Richtung Westen und schließlich wieder Richtung Norden. Jetzt Ende April kommen die ersten in Mitteleuropa an.
Sie fliegen und fliegen, auch bis in die Strandstraße, auch bis zum Meer.
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