Streit zwischen Klöckner und Schulze: Kanzlerin macht Insektenschutz zur Chefsache

Noch immer hat die Koalition den besseren Schutz der Insekten nicht geregelt. Umweltministerin Schulze wirft Agrarministerin Klöckner Blockade vor und droht mit dem Koalitionsausschuss

vom Recherche-Kollektiv Countdown Natur:
6 Minuten
Das Bild zeigt die beiden Ministerinnen vor einer hellblauen Stellwand an Mikrofonen. Klöckner schaut Schulze beim Reden zu, Schulze gestikuliert.

Bundeskanzlerin Angela Merkel macht den Streit über das geplante Insektenschutzgesetz zur Chefsache. Nach Informationen der RiffReporter hat die Kanzlerin ein Krisengespräch mit den beiden zuständigen Ministerinnen Svenja Schulze (SPD) und Julia Klöckner (CDU) anberaumt. Auch Umweltministerin Schulze geht in die Offensive, um eines ihrer wichtigsten Vorhaben doch noch vor der Wahl im September durch das Parlament zu bekommen. Sie attackierte Klöckner am Mittwoch scharf und kündigte an, das Thema notfalls vor den Koalitionsausschuss zu bringen.

Schulze nennt Verhalten Klöckners „unmöglich“

„Das Insektenschutzgesetz ist fertig und hätte schon im Dezember verabschiedet werden können“, sagte Schulze am Mittwoch vor Journalisten. Es entspreche exakt dem, was die Koalitionäre in Koalitionsvertrag, dem Aktionsprogramm Insektenschutz und im Kabinett gemeinsam verabschiedet hätten, betonte die SPD-Politikerin. „Deshalb erwarte ich einfach, dass das jetzt auch umgesetzt wird und nicht gesagt wird: Das will ich jetzt nicht mehr“, sagte Schulze mit Blick auf Klöckner. Das Verhalten der Agrarministerin nannte Schulze „unmöglich“.

Klöckner hatte der Befassung des Kabinetts mit Schulzes Gesetzentwurf nicht zugestimmt, weil sie auf einer zeitgleichen Befassung mit einem anderen Teil des Insektenschutzprogramms der Regierung besteht, der in ihrem Zuständigkeitsbereicht liegt: der Neuregelung einer Verordnung mit Regeln zur Anwendung von Pflanzenschutzmitteln wie des hochumstrittenen Totalherbizids Glyphosat.

Das Bild zeigt das Tagpfauenauge, einen Schmetterling auf dessen Flügeln jeweils zwei Formen sind, die wie Augen wirken.
Das Tagpfauenauge zählt zu den bekanntesten der rund 30.000 Insektenarten, die es in Deutschland gibt. Wissenschaftlerïnnen warnen vor einem massiven Verlust der Vielfalt und auch der reinen Biomasse von Insekten, die als Nahrung zum Beispiel für Vögel, aber auch für die Bestäubung sehr wichtig sind.

Klöckner beharrt auf gemeinsamer Kabinettsbefassung

Den im Umweltministerium verbreiteten Verdacht, Klöckner betreibe eine Blockade zur Bedienung der Agrar-Klientel, wies eine Sprecherin des Landwirtschaftsministeriums zurück.

Die zum Insektenschutz vorgeschlagenen Maßnahmen hätten massive Auswirkungen auf die Landwirtschaft „und bedürfen somit einer sorgfältigen Prüfung und Abwägung“, sagte sie. Diese finde derzeit innerhalb der Ressortabstimmung zwischen beiden Ministerien statt.

„Das Insektenschutzgesetz und die Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung bedingen sich gegenseitig“, sagte die Sprecherin. Sie bekräftigte die Haltung, dass eine gleichzeitige Befassung nötig sei. Sie versicherte, auch das Klöckner-Ministerium strebe an, beide Vorhaben noch in dieser Legislaturperiode zum Abschluss zu bringen.

Zwei Weißstörche suchen in einer bunten Blumenwiese nach Nahrung.
Nicht mit Pestiziden malträtierte oder ungenutzte Wiesen sind wertvolle Lebensräume für viele Pflanzen, Insekten und Vogelarten, wie hier Weißstörche.

Schulze gab Klöckner indirekt eine Frist von zwei Wochen, innerhalb derer noch über den Pflanzenschutz verhandelt werde. Der von Klöckner dazu vorgelegte Verordnungsentwurf für Pflanzenschutzmittel ist aber nach Überzeugung des Umweltministeriums bislang nicht zustimmungsfähig.

Weil Klöckner aber auf einer gemeinsamen Befassung mit Schulzes Teil des Insektenschutzgesetzes besteht, ist das ganze Paket blockiert. Schulze sagte dazu, Klöckners Entwurf bleibe klar hinter den Vereinbarungen der Koalition im Aktionsprogramm zum Insektenschutz zurück. Darin sei jedoch das Minimum beschrieben, was geschehen müsse, um den dramatischen Artenschwund zu stoppen.

Schulze: „Das wird jetzt hocheskaliert“

Klöckners Entwurf, der den RiffReportern vorliegt, unterscheidet sich tatsächlich in wichtigen Punkten vom Aktionsprogramm Insektenschutz, der vom Kabinett gebilligt wurde.

So sieht Klöckners Entwurf statt der darin vorgegeben zehn Meter Abstand zu Gewässerrändern beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln nur fünf Meter Abstand vor. Auch ist darin kein vollständiges Anwendungsverbot von Glyphosat in den europarechtlich besonders geschützten Flora-Fauna-Habitat-Schutzgebieten (FFH) vorgesehen.

Umweltministerium sieht Glyphosat-Verbot in Gefahr

Schulzes Staatssekretär Jochen Flasbarth sieht sogar die Gefahr, dass das ebenfalls vom Kabinett beschlossene vollständige Verbot des Pflanzengifts Glyphosat von Klöckner unterlaufen werden könnte. „Es gibt eine ganze Reihe von Schlupflöchern und Öffnungen, die einen weiteren Glyphosat-Einsatz ermöglichen“, sagte er mit Blick auf den Verordnungsentwurf der CDU-Politikerin. „Das ist nicht korrekt, das kann nicht sein, das muss vollständig umgesetzt werden.“

Flasbarth kündigte an, dass seitens des Umweltministeriums keine Kompromisse gemacht würden, die nicht Eins zu Eins die Vereinbarungen widerspiegelten, nur um das Gesetz verabschiedet zu bekommen. „Das Insektenschutzgesetz ist uns wichtig, wir werden uns aber nicht an irgendwelchen windelweichen Deals beteiligen“, versicherte er.

Schulze: „Mein Langmut ist begrenzt“

Die Sprecherin Klöckners bezeichnete die Vorgaben des vom Kabinett beschlossenen Aktionsprogramms Insektenschutz dagegen lediglich als einen „Ausgangspunkt“ für die weitere Regelung. „Die angesprochenen Maßnahmen sollten also unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit umgesetzt werden“, sagte sie.

Die Zulassung des Herbizids Glyphosat in Europa endet am 31.12.2022. Danach darf es übergangsweise noch ein Jahr lang verwendet werden. Die große Koalition hatte sich aber darauf verständigt, schon in diesem Jahr die Anwendung spürbar zu begrenzen. Dazu hat das zuständige Agrarressort bislang aber keine verbindlichen Vorgaben gemacht.

Schulze zeigte sich nach langer Zurückhaltung konfliktbereit. „Mein Langmut ist da begrenzt“, sagte sie. Das muss jetzt auch kommen und das wird dann eben weiter hocheskaliert, notfalls geht so etwas dann auch in einen Koalitionsausschuss“, kündigte sie an.

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