Vogelpsychologie: Gefiederte Scheidungskinder kommen gut durchs Leben

Wenn Eltern sich trennen, hinterlässt das auch bei deren Kindern Spuren. Wissenschaftler haben jetzt zum ersten Mal untersucht, wie sich das Ende elterlicher Partnerschaften bei Vögeln auswirkt. Im Gegensatz zu menschlichen Kindern leiden die Jungvögel offenbar kaum unter der Trennung ihrer Eltern.

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Ein wenige Tage altes Küken einer Großtrappe

Die Seychellen vor der Küste Ostafrikas sind ein Sehnsuchtsort für viele Touristen. Dutzende Inseln mit endlosen Sandstränden und tropischem Regenwald haben die Inselrepublik zum beliebten Reiseziel gemacht. Auch Naturschützer und Wissenschaftler zieht es auf die Seychellen – vor allem auf eine der kleinsten Inseln, Cousin Island. Das Eiland mit gerade einmal 300 Metern Durchmesser gilt international als Musterbeispiel erfolgreicher Naturschutzarbeit, mit der das Aussterben einer der seltensten Vogelarten der Erde verhindert werden konnte.

Zwei Rohrsänger auf einem Ast
Seychellenrohrsänger bilden enge Partnerschaften, ob ein Leben lang.

Erfolgsbeispiel für den Artenschutz

In den 1960er Jahren schrumpfte die Population des nur auf dem Seychellen-Archipel vorkommenden Seychellenrohrsängers, eines unscheinbar braun-oliv gefärbten Singvogels, durch die Umwandlung des tropischen Regenwaldes in Palmen-Plantagen auf nur noch etwa zwei Dutzend Tiere. Naturschützer und die Regierung der Seychellen reagierten beherzt: Die Insel wurde gekauft und renaturiert, das umliegende Meeresgebiet unter Schutz gestellt. Der Bestand des Seychellenrohrsängers erholte sich und heute leben wieder mehr als 300 Vögel auf Cousin Island.

Weltweit einmaliges Freilandlabor für die Erforschung der Vogelsoziologie

Für die wissenschaftliche Forschung entstanden durch die engmaschige Überwachung des Vogelbestandes im Zuge des Schutzprogramms ideale Bedingungen. Seit mehr als einem Vierteljahrhundert wird jeder einzelne Rohrsänger mit einem individuellen Ring markiert und regelmäßig beobachtet.

Allen Vögeln werden auch in regelmäßigen Abständen Blutproben entnommen, um über die Analyse von sogenannten Biomarkern Informationen über den physiologischen Zustand zu gewinnen. Zudem wird jedes Nest überwacht, jedes Ei gezählt.

Die Forschenden kennen deshalb nicht nur das genaue Alter und den Familienstand jedes Vogels, sondern können auch das Liebes-, Sozial- und Familienleben der Tiere über Generationen hinweg verfolgen – ein weltweit einzigartiges Freilandlabor für Vogelsoziologie und -psychologie.

Nicht allein der Bruterfolg entscheidet über Beständigkeit von gefiederten Paarbeziehungen

So fanden die Forschenden heraus, dass auch Seychellenrohrsänger wie viele andere Vogelarten dauerhafte monogame Beziehungen eingehen, die nicht selten lebenslang andauern. Aber auch „Scheidungen“ kommen vor, allerdings deutlich seltener als bei einigen anderen Arten, bei denen sich mehr als 80 Prozent aller Paare lange vor dem Tod eines der Partner voneinander trennen. Weil in der Natur die gelungene Fortpflanzung das Maß aller Dinge ist, werden Trennungen bei Tieren von Forschenden oft vor dem Hintergrund der Reproduktion erklärt: Klappt es mit einem Partner nicht, erfolgreich Nachwuchs großzuziehen, könnte die Trennung den Weg für die Suche nach einem erfolgreicheren Lebensgefährten freimachen.

Wetterextreme als Beziehungskiller

Doch die Langzeitbeobachtungen auf Cousin Island zeichnen ein komplexeres Bild. Die Beobachtungen haben ergeben, dass viele Paare auch dann zusammenbleiben, wenn sie kaum oder gar keinen Nachwuchs haben.

Umgekehrt trennen sich Partner manchmal trotz erfolgreicher Brut. Ein klarer Zusammenhang zwischen Bruterfolg und Trennungsrate lässt sich bei den Seychellenrohrsängern nicht feststellen. Einen entscheidenden Einfluss auf das Liebesleben der Vögel haben offenbar die Launen des Wetters - und der Klimawandel. Die niederländische Biologin Frigg Speelman und ihr Team von der australischen Macquarie University fanden heraus, dass in Jahren mit extremen Regenfällen oder anhaltender Trockenheit die Trennungsraten deutlich steigen. Besonders in El-Niño-Jahren, in denen es doppelt so viel regnet wie üblich, kletterte die Scheidungsrate der üblicherweise sehr treuen Rohrsänger auf über 15 Prozent.

„Herzzerreißende Folgen des Klimawandels“

Eine mögliche Erklärung: die starken Regenfälle erschweren es den kleinen Vögeln, die Körpertemperatur zu halten. In Verbindung mit einem knappen Nahrungsangebot erhöht sich der Stress für die Vögel und setzt die Partnerschaften unter Druck. Forscherin Speelman, die die Bedrohung der Vogelpartnerschaften durch Extremwetter „eine herzzerreißende Folge des Klimawandels“ nennt, wollte auch wissen, wie sich die Trennungen der Eltern auf den Nachwuchs auswirken. Während von menschlichen Scheidungskindern bekannt ist, dass sie oft unter psychischen und gesundheitlichen Problemen leiden, gibt es bislang kaum Untersuchungen dazu aus dem Tierreich.

In einer gerade im Fachjournal Proceedings of the Royal Society B erschienenen Studie konnten die Forschenden erneut auf den Datenschatz aus der Dauerbeobachtung der Rohrsänger zurückgreifen. Sie analysierten für einen Zeitraum von 25 Jahren die Dauer der elterlichen Partnerschaften und deren Ende – sei es durch Tod oder Trennung – sowie die Auswirkungen auf Gesundheit und Entwicklung der von der „Scheidung“ betroffenen Jungvögel.

Dazu zogen sie verschiedene Gesundheitsindikatoren heran: die Länge der Telomere – einer Art Schutzkappen an den Chromosomenenden, die mit Alter und Stress kürzer werden – der Anteil roter Blutkörperchen als Maß für die Sauerstoffversorgung von Jungvögeln und die allgemeine Körperkondition.

Gefiederte Scheidungskinder haben nicht mehr Probleme

Auch der spätere Fortpflanzungserfolg und die Lebensdauer als erwachsene Vögel gingen in die Analyse ein. Das Ergebnis überraschte auch die Forscherinnen. Sie konnten keine Auswirkungen der Trennung der Eltern auf den Nachwuchs ermitteln – weder für ihrer Gesundheit als Küken, noch im eigenen späteren Fortpflanzungserfolg und in ihrer Lebenserwartung gab es Unterschiede zu Vögeln, die in „intakten“ Familienverbänden aufgezogen wurden.

„Die gefiederten Scheidungskinder kommen genauso gut durchs Leben wie ihre Artgenossen“, sagt Frigg. „Sie scheinen in mancher Hinsicht unglaublich widerstandsfähig gegen Widrigkeiten zu sein und stecken sogar den Verlust eines Elternteils als Küken weg, sind aber in anderen Bereichen extrem empfindlich, etwa wenn Dürre oder Regen auf der Stabilität ihrer Beziehungen lastet.“

Gibt es Lehren für Menschen aus der Vogelforschung?

Die Forscher erklären die Robustheit der gefiederten Scheidungskinder damit, dass auch nach der Trennung der Eltern meist weiter ein festes soziales Gefüge unter Artgenossen im Vogelrevier besteht. Manchmal helfen ältere Geschwister oder andere erwachsene Vögel bei der Aufzucht der Jungen. „Seychellenrrohrsänger arbeiten unglaublich hart, um ihren Nachwuchs aufzuziehen und zu versorgen, damit sie den bestmöglichen Start ins Leben haben“, sagt die Forscherin.

„Wir Menschen sind nicht die einzige Spezies mit einem sehr komplexen Familienleben und die Seychellenrrohrsänger zeigen uns, dass das Ende einer Beziehung nicht unbedingt negative Folgen für die Kinder haben muss.“

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