Australiens Hardcore-Maus

„Live fast, die young“ scheint das Lebensmotto einer australischen Beutelmaus-Art zu sein. Sie verschwendet sich selbst in einem zügellosen Rausch. Was hat sich die Evolution dabei gedacht?

vom Recherche-Kollektiv Tierreporter:
5 Minuten
ein kleines mausähnliches Tier ind graubraun. Die Nase ist spitz, die Ohren sind rund.

Wer an das ewige Rad der Wiedergeburt glaubt, wünscht sich eines ganz sicher nicht: als Braune Breitfuß-Beutelmaus wieder auf die Welt zu kommen. Denn das Leben von Antechinus mimetes mimetes verläuft derart exzessiv, dass die männlichen Artgenossen ihren ersten Geburtstag nicht erleben. Und selbst im Tod ist ihnen keine Ruhe vergönnt.

Dabei ist die Breitfuß-Beutelmaus keine echte Maus, trotz ihres Namens und ihrer optischen Ähnlichkeit mit den Nagern, sondern ein Beuteltier aus der Familie der Raubbeutler. Und das erklärt so einiges. Aber dazu gleich mehr.

Selbstmörderische Fortpflanzung

Diese Beutelmaus-Art lebt im östlichen Australien und erreicht mit etwa elf Monaten ihre Geschlechtsreife. Dann ist es Winter auf dem Kontinent und das Nahrungsangebot knapp. Insekten und kleine Wirbeltiere gibt es nicht mehr so üppig wie noch im Sommer. Deshalb haben die Beutelmäuse die nahrungsreichen Monate genutzt, um sich Reserven anzufressen. Vor allem die Männchen haben dabei kräftig zugelegt, zum Teil hat sich ihr Ausgangsgewicht glatt verdoppelt. Wie Sumo-Ringer, die sich auf ihre Wettkämpfe vorbereiten, rüsten sie sich so für den Sinn ihres Lebens: die Fortpflanzung.

Wenn der August naht – das Ende des australischen Winters –, sind die Tiere rund und strotzen nur so vor Kraft. Doch in ihrem Inneren beginnt bereits der Verfall. Ihre Spermienproduktion versiegt, sie wird auch nie wieder anspringen. Die Samenzellen, die sich herangebildet haben, reichen für eine einzige Paarungszeit. Damit gehört die Art zu den wenigen Säugetieren, die semelpar sind, sich also nur ein einziges Mal im Leben fortpflanzen. Von Spinnen kennt man das, auch von Kraken und Fischen, aber bei Säugetieren ist die „selbstmörderische Fortpflanzung“, wie die Semelparität auch genannt wird, sehr selten.

Live fast, die young

Die Paarungszeit im August ist ein einziger Rausch, der ein bis drei Wochen anhält. Keines der Männchen wird ihn überleben. Die Tiere sterben vor Erschöpfung, weil sie ab sofort nur noch eines im Sinn haben: sich so oft und mit so vielen Weibchen wie nur möglich zu vereinen. Dabei kann ein Geschlechtsakt zwischen 12 und 14 Stunden lang andauern. Zeit, Nahrung zu sich zu nehmen, bleibt da kaum.

So ein Lebenswandel fordert seinen Preis. Die Hoden der Männchen schwellen exorbitant an, das Stresshormon Cortisol flutet den Organismus, ihr Testosteronspiegel steigt in aberwitzige Höhen, wodurch das ungebundene Cortisol nicht mehr abgebaut wird. Die Tiere vergiften sich an ihren eigenen Hormonen. Das schreibt der australische Biologe und Antechinus-Experte Andrew Baker in seiner Studie von 2024.

Der Verfall der Männchen zeigt sich nach kurzer Zeit. Ihnen geht büschelweise das Fell aus, sie leiden an Augenschädigungen, inneren Blutungen und Magengeschwüren. Gegen Ende der Paarungszeit sind sie in einem erbärmlichen Zustand und werden von den Weibchen gemieden. Trotzdem versuchen sie weiter, ihr Erbgut zu verbreiten, bis ihr Immunsystem zusammenbricht und die Organe versagen. Der Rocker stirbt mitten im Rausch.

Die Tiere vergiften sich an ihren eigenen Hormonen

Andrew Baker, Queensland University of Technology

Kannibalismus nach dem Exzess

Auch für die weiblichen Beutelmäuse ist die Fortpflanzungsphase eine extrem strapaziöse Zeit. Doch wenigstens nehmen sie weiter Nahrung zu sich und lassen dabei nichts verkommen. Ein totes Männchen ist ein gutes Männchen, weil es noch immer dem Arterhalt dient und einen nahrhaften Happen abgibt. Biologisch ist das sinnvoll. Der Kannibalismus liefert den Weibchen rasch verfügbare Energie in großen Mengen. Ohne Jagd, ohne Anstrengung.

Dabei ernährt ein frisch verstorbener Artgenosse nicht nur die eigene Spezies, sondern auch andere. Teilt sich Antechinus mimetes mimetes den Lebensraum mit einer weiteren Breitfuß-Beutelmaus-Art, etwa Antechinus arktos oder Antechinus stuartii, kann auch diese von den Kadavern profitieren. Vor allem, wenn ihre Paarungszeit zu einem früheren oder späteren Zeitpunkt stattfindet. Dann säugt die Schwesternart schon, während die anderen sich noch paaren, und kann sich auf einen stetigen Frischfleisch-Nachschub verlassen.

Warum so ein verzehrendes Dasein?

Was aber ist der tiefere evolutive Sinn hinter einem so verzehrenden Dasein? Genau weiß man das nicht, doch zumindest gibt es eine These. Beutelmaus-Weibchen tragen ihre Jungen nicht wie andere Säugetiere im Inneren des Körpers aus und ernähren sie mithilfe ihrer Plazenta. Sie ziehen sie wie Kängurus im Beutel groß, kaum dass sie auf der Welt sind, und versorgen sie von dort aus mit Milch. Und zwar über einen weitaus längeren Zeitraum als andere Säugetiere vergleichbarer Größe. Spitzmaus-Jungtiere beispielsweise saugen bis zu vier Wochen an den Zitzen ihrer Mütter. Ab dann sind sie selbstständig, was der Art erlaubt, mehrmals im Jahr Nachwuchs zu bekommen. Antechinus-Jungen werden dagegen rund vier Monate lang gesäugt, während der nahrungsreichen Monate. Die Beutelmaus kann damit nur einen Wurf pro Jahr durchbringen.

Die australische Biologin Diana Fisher erforscht die Antechinus-Arten seit Jahrzehnten. Sie geht davon aus, dass der entscheidende Faktor für den Paarungsrausch die Ernährung ist. Ein saisonales Überangebot an Nahrung steht kargen Monaten gegenüber, was in Einklang gebracht werden muss mit der langen Zeit der Jungenaufzucht. Vor allem dann, wenn die Arten sich ausbreiten und neue Lebensräume erschließen wollen. Genau das haben die Vorfahren der Beutelmäuse getan. Sie zogen südwärts über den australischen Kontinent, und je weiter sie sich vom Äquator entfernten, desto stärker schwankte die Verfügbarkeit ihrer jagdbaren Beute. Um weiterhin lange säugen zu können, musste sich die Paarungszeit verkürzen – bis auf wenige Wochen im Jahr.

Sie messen sich nicht durch Kämpfe, sondern indem sie sich zu Tode paaren

Diana Fisher, University of Queensland

Ein geglückter Kompromiss

Eine begrenzte Zeit der Nahrungsfülle, kombiniert mit einer langen Aufzucht – und das Dilemma ist da. Der exzessive Lebenswandel kann es lösen. Da die Männchen der Braunen Breitfuß-Beutelmäuse ihre Gene so weit wie möglich verteilen wollen, treten sie in heftige Konkurrenz zueinander und verschwenden darin all ihre Energie. Mit Altruismus habe das nichts zu tun, sagt Diana Fisher, die Männchen opferten sich nicht für den Erhalt ihrer Art. Breitfuß-Beutelmäuse haben einfach nur eine besonders strapaziöse Überlebensstrategie gewählt: die sexuelle Selektion. „Die Männchen messen sich nicht durch Kämpfe, sondern indem sie sich zu Tode paaren“, so Fisher in einer Pressemitteilung der Universität Queensland.

Keine bizarre Laune der Natur und auch kein selbstloser Akt – offenbar ist „Live fast, die young“ einfach nur ein Kompromiss. Die Evolution musste das spezielle Leben eines Raubbeutlers mit den notwendigen Anpassungen an eine herausfordernde Umwelt in Einklang bringen. Bislang ist ihr das gut gelungen: Antechinus-Arten gibt es in Queensland seit mindestens sechs Millionen Jahren.

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