Biodiversitätsverbrechen: Europa kriegt den Kampf gegen die Vogelwilderei nicht in den Griff

2019 haben sich die Staaten Europas und angrenzender Regionen verpflichtet, das Ausmaß illegaler Vogelverfolgung auf den Zugwegen bis 2030 zu halbieren. Die Zwischenbilanz fällt ernüchternd aus, aber es gibt auch Fortschritte.

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Eine Gruppe Kraniche zieht vor des Kulisse der schneebedeckten Hermon-Gebirges

Die illegale Verfolgung auf ihren Zugwegen gehört zu den größten Gefahren für das Überleben vieler Vogelarten. Bis 2030 wollten die Länder Europas, Nordafrikas und des Nahen Ostens das Ausmaß der Vogelwilderei mindestens halbieren – so sieht es der 2019 verabschiedete „Römische Strategieplan“ (RSP) vor. Fünf Jahre vor Ablauf der Frist zieht eine Studie eine ernüchternde Zwischenbilanz: Die überwältigende Mehrheit der 46 untersuchten Länder ist nicht auf Kurs, das ambitionierte Ziel zu erreichen. Damit besteht eine der größten Gefahren für das Überleben vieler Vogelarten ungeachtet internationaler Verpflichtungen und Versprechen fort. Nach der vom Vogelschutz-Dachverband BirdLife International und der Naturschutzorganisation EuroNatur koordinierten Untersuchung verzeichnen nur acht Länder spürbare Fortschritte im Kampf gegen die illegale Tötung von Vögeln.

Staaten scheitern bisher bei Umsetzung ihrer Selbstverpflichtung

In der überwiegenden Zahl der Länder hat es auch nach der Verabschiedung des Strategieplans keine nennenswerten Fortschritte gegeben, darunter in Deutschland. Besonders besorgniserregend: In neun Ländern und damit fast 20 Prozent der untersuchten Staaten hat sich die Situation sogar weiter verschlechtert. Gerade die zehn Länder mit den höchsten Zahlen illegal getöteter oder gefangener Vögel – sie sind für rund 90 Prozent aller illegalen Tötungen in der Region verantwortlich – zeigen kaum Fortschritte.

Ein toter Schreiadler und daneben eine Schrothülse.
Einer von 5000: Im Libanon fallen in jedem Jahr mehrere tausend Schreiadler der illegalen Verfolgung zum Opfer.

Es mangelt an politischem Willen

Die Naturschutzverbände sehen einen mangelnden politischen Willen als Ursache dafür, dass Fortschritte bei dieser Form von Biodiversitätsverbrechen ausbleiben. Die bestehenden Gesetze sind häufig zu schwach und Strafen zu niedrig, um Täter wirksam abzuschrecken. Mangelnde Kenntnis und Personalknappheit bei Polizei und Justiz verhindern oft, dass Vorschriften auch durchgesetzt werden. Auf der Ebene internationaler Außenpolitik spielt Naturschutzkriminalität weiterhin keine Rolle, obwohl ziehende Vogelarten durch völkerrechtlich bindende Konventionen geschützt sind.

Naturschutz ist ein Fremdwort in der Diplomatie

Öffentlichkeitsarbeit und Aufklärung über die Folgen der illegalen Vogeljagd werden bislang fast ausschließlich von privaten Naturschutzorganisationen getragen. Regierungen tun zu wenig in der Kommunikation – sie sollten stärker in die Verantwortung genommen werden, um das gesellschaftliche Bewusstsein für den Schutz wandernder Tierarten zu schärfen und dort, wo Armut bei der Vogelwilderei eine Rolle spielt, alternative Einkommensquellen für betroffene Bevölkerungsgruppen zu schaffen, heißt es in dem Report.

Allerdings findet der allergrößte Teil der illegalen Vogelverfolgung in Europa und dem Nahen Osten nicht aus ökonomischer Not statt, sondern wird als Hobby betrieben. So gehören mit Frankreich, Malta, Zypern, Griechenland, Spanien auch zahlreiche EU-Staaten zu den Ländern mit einem hohen Ausmaß illegaler Verfolgung.

Eine zunehmende Bedeutung spielt der Jagdtourismus aus Europa. Kommerzielle Interessen werden in der Studie als Haupttreiber für die illegale Vogelverfolgung ausgemacht. Die verbleibenden fünf Jahre bis 2030 seien entscheidend, um das Ziel, die illegale Tötung von Vögeln zu halbieren, doch noch zu erreichen. Dafür brauche es eine deutliche Steigerung des politischen Engagements, gezielte Investitionen in Monitoring und Strafverfolgung, eine breite gesellschaftliche Mobilisierung sowie eine enge internationale Zusammenarbeit. Nur durch einen solchen ganzheitlichen Ansatz könne der Schutz der Vogelwelt im Mittelmeerraum und in Europa nachhaltig verbessert werden.

Zwei Präparate des Dünnschnabel-Brachvogels liegen vor reinweißem Hintergrund
Nur noch Präparate zeugen davon, dass der Dünnschnabel-Brachvogel einmal existiert hat.

Die Vogelbestände in Europa und den benachbarten Regionen sind in den letzten Jahrzehnten in historischem Ausmaß eingebrochen. Die übermäßige legale und illegale Bejagung gilt als eine der Hauptursachen für das weltweite Aussterben von Vogelarten und steht an zweiter Stelle nach dem Verlust von Lebensräumen. In Europa und im Mittelmeerraum fallen in jedem Jahr Millionen Vögeln legaler und illegaler Jagd zum Opfer.

Vogeljagd untergräbt Erfolge des Artenschutzes

Oft werden solche Arten auf ihrem Weg in die Überwinterungsquartiere oder zurück in die Brutgebiete illegal abgeschossen, für die es an anderer Stelle aufwendige Schutzprogramme gibt, um ihr Aussterben zu verhindern. „Die illegale Tötung in einem Land können die Erfolge des Naturschutzes in einem anderen zunichtemachen“, beklagt Barend van Gemerden, Koordinator des Global Flyways Programme bei BirdLife International. „Wir brauchen dringend stärkere, koordinierte, grenzüberschreitende Maßnahmen entlang der gesamten Zugroute, um das Ziel für 2030 zu erreichen.“

„Die Zahl der jedes Jahr illegal getöteten Vögel bleibt inakzeptabel hoch“, sagt Justine Vansynghel, EuroNatur-Projektmanagerin. „Für viele Zugvögel bedeutet das den Tod, bevor sie überhaupt ihre Brutgebiete erreichen können.“

Ein Polizist hält den Vogel in der Hand
Eine angeschossene Rohrweihe wird von der Polizei sichergestellt
Ein Porträt einer Turteltaube vor leerem Hintergrund
Bedrohte Schönheit. Das Jagdverbot in einigen EU-Staaten verhilft der Turteltaube zu einer Bestandserholung

Ein Beispiel dafür ist die Rohrweihe. Während nationale Regierungen, Privatleute und Naturschutzorganisationen für den Schutz der Greifvögel hohe Summen investieren und hunderte Menschen überall in Europa Jahr für Jahr ihre Freizeit dafür opfern, werden die Vögel auf dem Zug in den Süden massenhaft illegal im EU-Mitgliedsland Malta abgeschossen, wie eine gemeinsame Recherche von RiffReporter und des maltesischen Onlinejournals „The Shift“ zeigt. Auch Turteltauben, die in vielen Ländern, darunter in Deutschland, vom Aussterben bedroht sind, werden in jedem Frühjahr und Herbst zu Zehntausenden auch innerhalb der EU illegal abgeschossen. Zuletzt hatte auch die EU-Kommission bei Naturschützern für Empörung gesorgt, weil sie die legale Jagd auf die Tauben in einigen Regionen wieder erlaubt hat.

Der Kampf gegen Vogelwilderei ist eine Frage des Überlebens für viele Arten

Für einige europäische Vogelarten entscheidet der Erfolg im Kampf gegen die Wilderei in den kommenden Jahren über Überleben oder Aussterben. Besonders gefährdet sind solche Arten, die nur noch kleine Populationen haben, weil ihr Lebensraum zerstört hat und ihre Verfolgung eine lange Tradition hat.

Dazu gehören Greifvögel wie Kaiseradler, Würgfalke und Watvögel wie der Brachvogel. Auch beim vor kurzem für ausgestorben erklärten Dünnschnabel-Brachvogel war die Nachstellung durch Vogeljäger einer der Sargnägel. Nicht nur der Abschuss, auch andere Formen der illegalen Verfolgung bedrohen das Überleben von Vögeln. So werden Geier wie der vom Aussterben bedrohte Schmutzgeier auf dem Balkan häufig Opfer von Vergiftungen. Noch nicht akut gefährdete Arten wie der Stieglitz nehmen in ihren Beständen rapide ab, weil sie in Nordafrika und im Mittelmeerraum weit verbreitet für den illegalen Käfigvogelhandel gefangen werden.

Ein Würgfalke mit ausgebreiteten Schwingen beim Abflug von unten fotografiert.
Würgfalken werden im Nahen Osten und in Zentralasien für den illegalen Handel gefangen. In einer auf Telemetriedaten gestützten Studie wurde festgestellt, dass jeder fünfte der mit einem Sender markierten Vögel illegal abgeschossen und weitere 15 Prozent vergiftet wurden.
Axel Hirschfeld trägt einen verletzten Schmutzgeier mit Handschuhen aus einem Käfig.
Axel Hirschfeld von der Vogelschutzorganisation Komitee gegen den Vogelmord bereitet einen im Libanon aus den Händen von Vogelwilderern befreiten Schmutzgeier auf die Freilassung vor.
Ein Stieglitz sitzt in einem Apfelbaum
Stieglitze werden wegen ihrer Schönheit und Gesangskünste massenhaft für die Käfighaltung gefangen.

Italien, Ägypten, Libanon führen Negativ-Liste an, Hoffnung gibt es in Kroatien und Spanien

Italien, Ägypten, der Libanon und Syrien zählen zu den Ländern, in denen besonders viele Vögel illegal getötet werden und in denen es zugleich in den vergangenen Jahren kaum Fortschritte gegeben hat. So fallen nach konservativen Schätzungen allein in Italien Jahr für Jahr 5,6 Millionen Vögel Wilderern zum Opfer. Ähnliche Größenordnungen gelten in den anderen Ländern.

Ein Iberischer Kaiseradler auf einem Ast im Morgenlicht.
Schutz vor Vogelwilderei und Vergiftung haben den Iberischen Kaiseradler gerettet. Innerhalb von wenigen Jahren erholte sich die Population in Spanien von weniger als 40 Paaren auf fast 600 Brutpaare.

Deutliche Fortschritte wurden hingegen in Spanien, Kroatien und im britischen Teil Zyperns erzielt. Im letztgenannten Gebiet konnte der Vogelfang – insbesondere durch Netze und Leimruten – seit der Periode 2010 bis 2015 um rund 90 Prozent reduziert werden. In Spanien sank die Zahl der illegal getöteten Vögel zwischen 2019 und 2021 laut Daten von Wildtierauffangzentren um durchschnittlich mehr als 60 Prozent gegenüber dem Vergleichszeitraum 2008 bis 2018.

Besonders erfolgreich war hier die konsequente Bekämpfung von Giftköder-Einsätzen, die vor allem Greifvögel bedrohen. Parallel dazu stieg die Population des Spanischen Kaiseradlers durch flankierende Maßnahmen von unter 40 auf über 530 Brutpaare an.

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