Als viele Pflanzenarten verschwanden

Tausende Jahre alte DNA-Fragmente verraten, wie sich die Artenvielfalt von Pflanzen im Klimawandel verändert. Demnach werden die Folgen unseres Handelns erst in einigen Hundert Jahren voll sichtbar. Die gute Nachricht: Es bleibt etwas Zeit, die Schäden zu reparieren.

vom Recherche-Kollektiv Klima & Wandel:
4 Minuten
Zwischen Felsen auf einem Berg wächst ein grüner Teppich.

Tyrannosaurus, Mammut oder Säbelzahntiger: Kinder könnrn oft mehrere Tierarten benennen, die vor langer Zeit ausgestorben sind. Doch bei Pflanzen ist das anders. Da fällt es selbst Fachleuten schwer zu belegen, ob und welche Pflanzenarten in der fernen Vergangenheit verschwunden sind. Sichere Erkenntnisse haben wir nur für die jüngere Vergangenheit. Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts sind rund 600 Pflanzenarten definitiv ausgestorben. Forscher:innen des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) in Bremerhaven haben nun ältere Daten aus Gen-Analysen aus gewertet. Sie haben aus uralten Erbgut-Fragmenten von Pflanzen rekonstruiert, wie ein wärmer werdendes Klima die Artenvielfalt von Pflanzen verändert hat, und darüber in zwei Publikationen (hier und hier) im Fachjournal Nature Communications berichtet.

Was genau haben die Forscher untersucht?

„Bisher fehlten geeignete Methoden, um das Aussterben von Pflanzenarten im Detail zu untersuchen“, erzählt die Polarbiologin Ulrike Herzschuh vom AWI. Grundlage bildeten bislang Analysen von Pollen, die aufgrund ihrer widerstandsfähigen Hülle manchmal Zehntausende von Jahren überdauern können, wenn sie die richtigen Bedingungen vorfinden. Allerdings lassen sich damit nur Rückschlüsse auf Pflanzenfamilien, nicht jedoch auf einzelne Arten ziehen.

Die AWI-Forscher haben deshalb DNA-Fragmente aus Sedimenten aus Seen in Alaska und Sibirien untersucht. Diese Fragmente stammen aus abgelagerter Pflanzenmasse der vergangenen 30.000 Jahre. Die Pflanzen wuchsen in der Umgebung der Seen und lassen artspezifische Rückschlüsse auf die damalige Vegetation zu.

Wie erfährt man aus alten DNA-Fragmenten etwas über ausgestorbene Pflanzenarten?

Grundsätzlich ist es möglich, mit heutigen Methoden die alten DNA-Stücke zu vervielfältigen, um sie dann zu sequenzieren – also ihren genetischen Code auszulesen. Diese Code-Fragmente lassen sich mit Datenbanken abgleichen, in denen das Erbgut heutiger Pflanzenarten hinterlegt ist. „Aber uns ging es um Arten, die ausgestorben sind“, betont Herzschuh. „Da haben wir natürlich kein modernes Genom zum Vergleich.“

Ihr Team hat deshalb einen Trick angewandt. „Wir haben geschaut, welche Fragmente Variationen zeigen, die heute nicht mehr vorkommen“, erläutert die Polarbiologin. „Dann haben wir geschaut, welche Muster Arten zeigen, die in eine Region einwandern und sich ausbreiten.“ Fanden sich diese Muster bei Fragmenten, die heute nicht mehr vorkommen, schlossen die Fachleute auf ausgestorbene Arten, die in der untersuchten Region einst heimisch waren.

Was verraten die Fragmente über das Aussterben von Pflanzen?

„Wir konnten erstmals zeigen, dass am Ende der letzten Eiszeit vor 11.000 bis 15.000 Jahren auch Pflanzen ausgestorben sind“, berichtet Herzschuh. Allerdings sei das Tempo deutlich langsamer gewesen als heute. Dabei überraschte die Forscherin der Zeitpunkt des Aussterbens: „Der Zeitraum für den Höhepunkt des Aussterbens lag viel später als der Zeitraum, in dem sich die Umwelt so wesentlich gewandelt hat.“ Anders gesagt: Es dauerte wahrscheinlich über tausend Jahre, bis sich die Folgen der Klimaerwärmung nach der Eiszeit bei den Pflanzenarten voll bemerkbar machten. „Die Pflanzen konnten sich vermutlich noch einige Zeit halten, aber sie hatten nicht mehr die Vielfalt und die von der Temperatur her passenden Rückzugsmöglichkeiten“, bietet Herzschuh als Erklärung an. Ob die Annahme stimmt, müssen weitere Studien bestätigen.

Landschaft mit rechts einem Bachlauf, im Vordergrund niedrige Sträuche und Bäume und im Hintergrund ein felsiger Berg.
Weidenvegetation in Alaska

Was sagt die Studie über die Pflanzen in der Arktis aus?

Die Analysen ergaben auch, dass sogenannte Polsterpflanzen – bestimmte Staudenarten – besonders kooperativ sind: Sie erleichtern allen Pflanzenarten, sich anzusiedeln. Holzige, große Pflanzen hingegen gehen zu kleineren Pflanzen eher in Konkurrenz. Polsterpflanzen sind in Kaltzeiten weit verbreitet. „Auch heute hat man in Tundren noch die Arten, die dazu führen, dass sich andere Arten schnell ansiedeln“, sagt Herzschuh. „Durch den Menschen – etwa durch Tourismus oder Transport – werden fremde Samen eingetragen und können dann zu einer besonderes schnellen Veränderung durch invasive Arten führen.“ Dieses Risiko müsse minimiert werden, fordert die Forscherin.

Welche Rückschlüsse lässt die Studie für den heutigen Klimawandel zu?

Die Daten können nun in Modelle einfließen, die versuchen vorherzusagen, wo infolge des Klimawandels Arten verschwinden oder hinzukommen werden. Schon jetzt ergeben sich aber zwei konkrete Rückschlüsse:

Die Erkenntnisse aus der Arktis lassen sich auch auf andere Regionen wie die Alpen, aber auch auf Offenlandschaften entlang von Flüssen oder dem Watt übertragen. All diese Regionen sind besonders sensibel, was die Bedrohung durch invasive Arten angeht. „Der Klimawandel führt dazu, dass holzige Arten einwandern und das Aussterben vorantreiben“, erklärt Herzschuh. „Das können wir nur verhindern, in dem wir den Klimawandel eindämmen.“

Außerdem könnte das Artensterben, das wir heute bei Pflanzen beobachten, auf Ereignisse vor hunderten oder tausenden Jahren zurückzuführen sein. Diese These bedeutet allerdings, dass der eigentliche Artenverlust infolge der aktuellen Klimakrise erst in ähnlich ferner Zukunft sichtbar werden wird. „Wir sehen in der Studie, dass das System extrem langsam reagiert und natürliche Störungen, die ausgeglichen werden können, nicht notwendigerweise langfristig wirken müssen“, resümiert Herzschuh. Das stimmt sie zugleich zuversichtlich: „Der zeitlich große Korridor bei der Gefahr, dass Arten verschwinden, bietet gleichzeitig die Chance, jetzt noch zu reagieren und Lebensräume wiederherzustellen und große Regionen zu schützen, bevor es zum Aussterben kommt.“

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