„Das Virus hat alle getroffen, aber es macht noch lange nicht alle gleich.“

Caritas-Präsident Peter Neher im Interview über die Verlierer der Coronakrise

vom Recherche-Kollektiv die ZukunftsReporter:
7 Minuten
Symbolbild: Kleiner Junge sitzt traurig auf der Straße

Wenn wir in drei oder vier Jahren auf die Coronazeit zurückblicken, was erinnern wir dann? Ist es der Gedanke an die große Solidarität, die gemeinsame Familienzeit, das Einkaufen mit Mundschutz? Oder denken wir an die Zeit der Benachteiligung, deren Folgen man über Jahre nicht aufholen konnte? Die ZukunftsReporter haben mit dem Präsidenten der Caritas, Prälat Peter Neher, gesprochen. Für ihn ist die Corinakrise auch ein Brennglas für die Probleme unserer Gesellschaft.

Wie nehmen Sie die Coronakrise wahr? Sie haben als Präsident der Caritas sicher einen anderen Blickwinkel.

Neher: Ich bin noch immer in Sorge. Wie geht es Menschen in prekären Lebenslagen, die besondere Hilfe brauchen? Wohnungslose und Obdachlose? Wie geht es den Familien? Menschen drohen ihre Existenzen zu verlieren. Sie erleben ganz schwierige Situationen, das geht vielen an die Nerven.

Sind wir denn nicht gerade auf dem Weg in die viel beschriebene neue Normalität?

Neher: Ich empfinde schon den Begriff als schwierig. Das ist alles andere als normal. Wir versuchen jetzt eine neue Normalität, aber das ist nichts anderes als ein sich verstetigender Krisenmodus. Diese Situation finde ich fast noch anstrengender. Da kommt die Gesellschaft im Moment teilweise an ihre Grenzen.

Viele Menschen beschreiben den veränderten Alltag mit dem Wort „Entschleunigung“. Diesen Begriff mögen Sie dann auch nicht, oder?

Neher: Die einen mögen es als Entschleunigung empfinden, für andere bedeutet die Situation eine durchaus dramatische Sorge um die eigene Existenz und die Existenz derjenigen, die einem lieb und wertvoll sind.

Bietet Corona nicht auch Chancen zur Veränderung?

Neher: Die Corona-Situation wirkt wie ein Brennglas, durch welches das eine oder andere soziale Problem, mindestens im Moment, deutlicher wahrgenommen wird. Die meisten sozialen Problemlagen sind nicht durch die Pandemie entstanden, sie wurden aber durch die Coronapandemie verschärft. Ob darin auch Chancen zur positiven Veränderung liegen, wird sich zeigen. Ich habe durchaus die Hoffnung, dass die Politik reagieren wird.

Peter Neher, der Präsident des Deutschen Caritasverbandes, sorgt sich um die Teilhabe von Sozialschwachen an der Digitalisierung.
Prälat Peter Neher ist seit 2003 der Präsident des Deutschen Caritasverbandes. Er hat zunächst eine Ausbildung als Bankkaufmann gemacht, bevor er das Theologiestudium aufnahm. Neher war Krankenhausseelsorger im bayrischen Günzburg und Gemeindepfarrer in Kempten.