Experte zu Gesundheitsdaten, KI und Smartphone-Medizin: „Wir brauchen die Killer-App“

Wie schützen wir unsere Daten zu Biologie, Fitness und Krankheit? Warum sollten wir sie der Forschung geben? Und wieso helfen sie der Systembiologie, uns eines Tages ein Leben in Gesundheit zu schenken? Ernst Hafen im Interview über den Weg zum digitalen Zwilling des Menschen.

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Der Arm einer Person, die am Tisch sitzt und auf ihr Smartphone schaut. Am Oberarm ist ein rundes weißes Plättchen angebracht.

Der Genetiker Ernst Hafen ist Systembiologe und ehemaliger Präsident der ETH Zürich. Er beschäftigt sich seit Jahren damit, wie wir das riesige Potenzial, das in unseren Gesundheitsdaten steckt, zu unserem Wohle ausschöpfen können. Die biologische Grundlagenforschung und die selbst lernenden Algorithmen der Künstlichen Intelligenz seien zuletzt so gut geworden, das hier ein riesiges Potenzial verborgen sei.

Unter anderem gründete der mittlerweile emeritierte Professor die Schweizer Genossenschaft Midata, die Daten ihrer Mitglieder treuhänderisch verwaltet. Im Gespräch mit RiffReporter Peter Spork gibt sich Hafen überzeugt, dass eine Datenberatung bald genauso üblich sein wird, wie heute die Finanzberatung.

Mein Arzt hat meine Medizindaten, Google meine Suchdaten, Migros meine Einkaufsdaten.

Herr Hafen, Sie haben einmal gesagt, wir sollten nicht mehr von Medizin sprechen sondern nur noch von Gesundheit. Was haben Sie damit gemeint?

Die Medizin beginnt mit ihrer Arbeit ja eigentlich erst, wenn wir krank sind. Dann gehen wir zum Arzt oder ins Spital und es werden Daten erhoben. Aber wir möchten ja gar nicht krank werden. Wir möchten gesund bleiben.

Unsere Gesundheitssysteme sind im Grunde Krankheitssysteme. Davon profitieren vor allem Ärzte und Spitäler, denn die sind natürlich nur dann erfolgreich, wenn sie möglichst viele Untersuchungen mit uns machen können. Wir setzen also falsche Anreize. In China werden manche Ärzte zum Beispiel nur dann bezahlt, wenn ihre Patient*innen gesund bleiben. Theoretisch hätten wir diese Möglichkeit heute auch in unserem System. Wir könnten Gesundheitsdaten sammeln und verarbeiten. Das wäre dann eine Medizin, die über das Smartphone funktionierte.

Ein sportlicher, noch jung wirkender älterer Mann hat seine Brille hochgezogen und schaut freundlich an der Kamera vorbei.
Professor Dr. Ernst Hafen, Genetiker und ehemaliger Präsident der ETH Zürich, ist inzwischen emeritiert und engagiert sich für den sinnvollen und sicheren Einsatz von Gesundheitsdaten in Forschung und Medizin.

Corona-Pandemie – eine verpasste Chance für die Forschung

Solche Ansätze gab es ja während der Corona-Pandemie. Es gab Datenspende-Apps, die die Erforschung der Krankheit und ihrer Verbreitung unterstützen sollten.

Das waren gute Ansätze, aber es war viel zu wenig. Wir haben während der Pandemie eine Riesenchance vertan. Universitäten haben aus Sorge vor Ansteckungen dichtgemacht und ihre Studierenden und Forschenden nach Hause geschickt. Stattdessen hätten sie ohne Ende Menschen testen und befragen sollen. Sie hätten so viele Daten zur Pandemie wie möglich sammeln und damit forschen sollen. Das wäre ein Dienst an den Menschen gewesen. Die Institute hätten zeigen können, was sie drauf haben. Die Studierenden wären stolz auf ihre Fähigkeiten gewesen.

Immerhin gab es auf der Basis gesammelter Daten Modellrechnungen, die der Politik dabei geholfen haben, Präventionsmaßnahmen zu ergreifen. Vor allem am Anfang der Pandemie hat das in Deutschland recht gut funktioniert.

Das stimmt. Aber es waren zu wenige Daten und zu wenig Unterstützung durch die Wissenschaft. Im Grunde hat die Systembiologie eine große Chance vertan, um zu zeigen, welch riesiges Potenzial in der mathematischen Analyse großer Mengen von Gesundheitsdaten steckt.

Die Bürger*innen kriegen nichts zurück. Sie werden als Datenkühe gemelkt. Aber es gibt kein Feedback.

Die entscheidende Gegenleistung wird unsere Gesundheit sein.

Blau und rot illuminierte Reihen von Schränken sind mit vielen Recheneinheiten bestückt. An der Vorderfront leuchten Lämpchen.
Moderne Rechenzentren können erstaunlich viele Datenmengen in kurzer Zeit miteinander verrechnen. Dadurch liefert der Einsatz von Künstlicher Intelligenz in Forschung und Biomedizin immer zuverlässigere Ergebnisse.

Ich bin auch noch nicht all meinen Gesundheitsdaten nachgegangen