„Ich fühle mich in die Zeit zurückversetzt, als ich das 'kranke Kind' war.“

Herztransplantiert, immunsupprimiert – ein Gespräch mit Silvia, 31 Jahre alt

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In einer Fußgängerzone sind Frauen und Männer mit Fotoapparaten unterwegs. Es ist Sommer, links und rechts neben der Straße stehen hohe Häuser. Im Hintergrund ist ein Baum zu sehen, sonst nur Beton.

Wer mit einem gespendeten Organ lebt, muss Medikamente zur Unterdrückung der Immunabwehr einnehmen, damit das Organ nicht abgestoßen wird. Wie geht es Menschen, die ein besonders hohes Risiko haben, sich mit Sars-CoV-2 anzustecken, während der Pandemie? Ein E-Mail-Gespräch mit Silvia, die seit vielen Jahren mit einem transplantieren Herz lebt.

Wer sind Sie? Was begeistert Sie?

Ich bin 31 Jahre alt, wohne in Tirol und bin Mathematiklehrerin.

Ich wurde im September 1996 wegen einer dilatativen Cardiomyopathie* und im Januar 2007 (ein paar Monate vor meiner Matura) wegen chronischer Abstoßung transplantiert. Nach der Matura habe ich nach ein paar Umwegen im Studium schlussendlich Lehramt Mathematik/Englisch studiert. Ich unterrichte jetzt seit 5 Jahren.

Ansonsten reise ich gerne. Alleine 2019 war ich in Barcelona, Madrid, Budapest, Fuerteventura, Prag, baltische Länder, Kanada, Arabische Emirate.

Ich fahre sehr gerne und viel Ski (übrigens auch einen Tag vor und 3 Monate nach der zweiten Transplantation). Ansonsten spiele ich recht gern Volleyball (wenn auch nicht sonderlich gut), bin ein Serienjunkie, gehe gerne zu Spiele-Abenden etc..

Die letzten 3 Jahre habe ich alleine gelebt, bin aber jetzt wieder zu meinem Vater und meiner Schwester gezogen.

Wie kam es zu der Herztransplantation?

Die genaue Ursache der dilatativen Cardiomyopathie* hat man nie herausgefunden, vielleicht war es ein verschleppter Infekt. Diagnose ca. mit 7 Jahren. Transplantiert wurde ich dann mit 8 Jahren, auf der Transplantationsliste war ich da nur ca. eine Woche. Wir sind damals in die Klinik gefahren, weil es mir nicht gut ging. Ich bin dann direkt für diese eine Woche auf die Intensivstation gekommen. Wie es mir damals gegangen ist, kann ich nicht mehr genau sagen. Ich denke, ich habe viel verdrängt.

Wie ging es Ihnen danach?

Nach der Transplantation war ich dann ein halbes Jahr nicht in der Schule. Danach bin ich mit Mundschutz in die Schule (bis inklusive 8. Klasse). Ich hatte dann schon ein paar Probleme (Abstoßung mal mit 11 Jahren …). Mit 15 bin ich dann in die Oberstufe gewechselt und ab dann habe ich keinen Mundschutz mehr getragen. Damals habe ich mich dann das erste Mal wieder „normal gefühlt“, aber das hielt nur ein halbes Jahr.

Dann wurden Veränderungen im EKG registriert und beim Herzkatheter Engstellen in den Herzkranzgefäßen festgestellt (also eine chronische Abstoßung). Ich erhielt dann nach und nach über die nächsten 3 Jahre ein paar Stents. Anfang 2007 wurde ich dann erneut transplantiert (auf der Liste war ich ca. 20 Monate). Mir ging es vor der Transplantation gefühlt nicht so schlecht, aber ich sollte in dieser Zeit keinen anstrengenden Sport machen. Psychisch hatte ich in dieser Zeit schon zu kämpfen.

Welche Medikamente zur Unterdrückung des Immunsystems müssen Sie einnehmen?

Ich nehme zwei Immunsuppressiva** (Prograf und Certican) und ein Statin und Thrombo ASS (Blutverdünnung). Im Prinzip das Minimum bei Herztransplantierten. Die letzen zwei Medikamente sind vor allem, um das Risiko einer chronischen Abstoßung (Engstellen in den Herzkranzgefäßen) zu minimieren.

Wie erleben Sie Ihren Alltag? Worauf müssen Sie achten, um sich vor Infektionen zu schützen?

Alltag war eigentlich relativ normal. Beim Sport habe ich keine Kondition beim Aufwärtsgehen, aber das mag ich auch nicht. Sonst Volleyball, Tischtennis, Skifahren, … geht ohne Probleme.

Ich war in den letzten 5 Jahren als Junglehrerin an 4 verschiedenen Schulen. Nur in der jetzigen Schule (weil ich da jetzt schon etwas länger bin) wussten ein paar KollegInnen von meiner Transplantation. Jetzt wissen es in dieser Schule natürlich alle. Habe also immer normal gearbeitet.

Ich probiere Katzen (wegen Toxoplasmose), Schimmel (Aspergillose) zu meiden. Gelingt beides nicht immer, weil 2 Freundinnen Katzen haben und beim Reisen manche Unterkünfte nicht so prickelnd sind.

Ich persönlich esse kein rohes Fleisch, rohe Eier, Rohmilchprodukte – obwohl das nach den österreichischen Richtlinien erlaubt wäre. Ich wasche mir häufig die Hände und greife nie mit den Händen in mein Gesicht, ohne sie vorher zu waschen. Essen greife ich nie mit ungewaschenen Händen an. Bei Reisen habe ich immer ein Desinfektionsmittel dabei.

Sonst mache ich eigentlich nichts, um mich vor Infektionen zu schützen. Handhygiene ist eigentlich das Einzige.

Sie schreiben vom Mundschutz, den Sie über Jahre tragen mussten. Wie geht es Ihnen bei den aktuellen Diskussionen um die Mundschutzpflicht wegen Corona?

Bezüglich der Mundschutzpflicht im Moment kann ich nur sagen, dass ich dafür bin. Wenn man zu einer Risikogruppe gehört, ist das aber auch nicht verwunderlich.

Was hat sich für Sie seit dem Beginn der Sars-CoV-2-Pandemie verändert? Im Alltag, im Denken, in der Gemütslage? Wie geht es Ihnen mit der aktuellen Situation?

Es hat sich seit Beginn der Pandemie einiges geändert. Vor allem, dass ich nicht als Lehrerin gearbeitet habe und bis vor einem Monat keine Kontakte hatte und jetzt nur sehr eingeschränkt für meine Verhältnisse. Zur engen Familie habe ich mittlerweile wieder normalen Kontakt.

Auch, dass ich im Sommer nicht oder nur eingeschränkt verreisen werde. Ich fühle mich in meiner Rolle wieder zurückversetzt in die Zeit, als ich das „kranke Kind“ in der Familie war. Es ist mir leider wieder viel mehr bewusst, dass ich chronisch krank bin.

Vor allem die letzten Jahre habe ich mich ziemlich normal gefühlt und auch so gelebt. Jetzt ist das im Moment nicht so. Die Gemütslage schwankt (im Moment recht gut) und ich probiere auch das, was jetzt relativ gefahrlos möglich ist, zu machen. Zum Beispiel viel in den Garten in die Sonne, wandern, oder an einen See zum Schwimmen, Roadtrips, Sport mit Abstand, Serien anschauen, die ich immer schon sehen wollte, mehr lesen .. .

Ich lese viele Studien etc. und was mich belastet, ist dass ich nicht genau einschätzen kann, wie gefährdet ich bin. Auch, weil die verschiedenen Publikationen und auch meine Ärzte, das Risiko für mich unterschiedlich sehen.

Die Ungewissheit wie es in den nächsten Monaten weitergeht, ist auch nicht zu vernachlässigen.

Angenommen, Sie hätten drei Wünsche frei. Was würden Sie sich wünschen?

Was ich mir wünschen würde? An erster Stelle natürlich eine Wunschmaschine. Aber Scherz beiseite. Logisch wäre es, wenn ich mir wünschen würde, dass ich nie erkrankt wäre und ganz „normal“ wäre. Aber dann hätte ich viele Dinge nicht erlebt, die ich nicht missen möchte. So gesehen würde ich in der Vergangenheit nur eines ändern wollen. Ich würde mir wünschen, dass meine Mutter noch leben würde. Obwohl selbst das Momente, die ich nicht missen möchte, unmöglich macht.

Für die Zukunft wünsche ich mir, möglichst gesund und möglichst glücklich zu leben.

*dilatative Cardiomyopathie:

Eine Erkrankung, bei der der Herzmuskel weniger leistungsfähig ist, das Muskelgewebe ist dünner und weicher. Die Betroffenen leiden unter Atemnot, Müdigkeit, Schmerzen in der Brust, Wasseransammlungen in den Beinen. Die Herzschwäche kann nach einer Infektion mit Viren oder Bakterien auftreten oder der auch nach einer Chemotherapie. Manche Medikamente sind toxisch für Herzmuskelzellen.

** Immunsuppressiva: sollen die Abstoßung des vom Immunsystem als fremd erkannten gespendeten Organs verhindern):

Prograf: Wirkstoff Tacrolimus, hemmt die Aktivierung/Funktion von T-Zellen und die Ausschüttung von Immunbotenstoffen/Lymphokine (Interleukin/Interferon);

Certican: Wirkstoff Everolimus, hemmt die Vermehrung von T- und B-Zellen;

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