So verändern sich die Blutwerte bei Long Covid

Weltweit leiden Millionen Menschen unter den Spätfolgen einer Corona-Infektion. Der Wissenschaft gelingt es immer besser, biologische Merkmale und damit Hinweise für die Ursachen von Long Covid zu finden.

vom Recherche-Kollektiv Postviral:
6 Minuten
Das Bild zeigt eine Frau, die in einem abgedunkelten Zimmer in ihrem Bett liegt, die Hände vor dem Gesicht.

Eine Corona-Infektion kann sehr unterschiedlich ausgehen. Die meisten fühlen sich nach der akuten Krankheitsphase rasch wieder fit. Viele haben aber auch wochen- oder gar monatelang mit Beschwerden zu kämpfen. Forschenden aus den USA ist es gelungen, Hinweise für eine Art immunologischen Fußabdruck im Blut von PatientInnen mit Long Covid auszumachen. Diese biologischen Marker könnten in Zukunft nicht nur bei der Diagnose helfen. Sie bilden auch die Grundlage für ein besseres Verständnis der Ursachen und Therapieoptionen der chronischen Folgen von Covid-19.

1. Warum die Studie wichtig ist

„Lass dir Zeit, das wird schon wieder.“, „Stell dich nicht so an und konzentrier dich mal auf was anderes.“ oder „Du bist viel zu sehr auf deinen Körper fokussiert.“ – diese oder ähnliche Sprüche müssen sich so manche anhören, deren Körper auch Wochen bis Monate nach einer Corona-Infektion noch nicht wieder so funktionieren wollen, wie sie es eigentlich sollten. Obwohl die Betroffenen eindeutige körperliche Symptome wie zum Beispiel Atemnot, Übelkeit, Fatigue, Herzrhythmusstörungen, Gedächtnis- und Konzentrationsprobleme haben, rücken einige das Thema „Long Covid“ immer noch in die „Psycho“-Ecke, so als ob die Betroffenen sich das alles nur einbildeten.

Doch das ändert sich allmählich. Entscheidend daran beteiligt sind auch die Forschungsarbeiten der Immunologin Akiko Iwasaki und ihres Teams von der Yale School of Medicine in New Heaven. Iwasaki erforscht unter anderem die Rolle der Immunabwehr bei Covid-19 und Long Covid. Sie versucht in der aktuellen Studie erstmals Biomarker, genauer Blutwerte, auszumachen, mit denen man Long Covid besser diagnostizieren und den Erfolg von Therapien überwachen könnte. Erste Ergebnisse dazu veröffentlichen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler jetzt als Preprint.

2. Was die Forschenden gemacht haben

In Zusammenarbeit mit mehreren anderen US-Laboren untersuchte Iwasaki’ s Team Blutproben von 99 Personen (Durchschnittsalter 46 Jahre), die sich während der ersten Corona-Welle im Jahr 2020 mit dem Wuhan-Virus angesteckt und im Durchschnitt über ein Jahr mit Beschwerden zu kämpfen hatten.

Viele litten noch immer unter Fatigue (87 Prozent), „Brain Fog“ (78%) und Gedächtnisproblemen (62%). Gut die Hälfte der Betroffenen war wegen der Beschwerden noch nicht wieder voll arbeitsfähig. Bei etwas mehr als einem Drittel hatten ÄrztInnen ein „Posturales Tachykardiesyndrom“ (POTS) diagnostiziert. Dabei kommt es während des Aufrichtens des Körpers aus einer liegenden oder sitzenden Position zu einem ungewöhnlich starken Anstieg der Herzfrequenz, verbunden mit Schwindel und Unwohlsein.

Als Kontrollgruppe dienten Nicht-Infizierte oder Corona-Infizierte, die nach dem akuten Infekt wieder vollständig genesen waren.

Im Labor analysierten die Forschenden die Blutproben genau. Tausende Merkmale wurden untersucht. Unter anderem wollten sie wissen, welche der verschiedenen Immunzellen in welcher Anzahl überhaupt vorhanden sind und ob sie aktiviert sind oder im Ruhezustand.

3. Wie das Ergebnis der Studie aussieht

Die Forschenden beobachteten bei den Long Covid Betroffenen einige immunologische Auffälligkeiten: Sie fanden mehr aktivierte B-Zellen (das sind die Abwehrzellen, die Antikörper produzieren können), weniger dendritische Zellen (die Wächterzellen, die die Immunantwort in Gang bringen und regulieren) und mehr erschöpfte T-Zellen (die Abwehrzellen, die virusinfizierte Körperzellen abtöten können). Das Phänomen der „erschöpften T-Zellen“ kennt man schon länger. Es tritt dann auf, wenn T-Zellen sehr lange mit einer Virusinfektion oder der Bekämpfung eines Tumors zu tun haben. Die chronische Stimulierung versetzt die T-Zellen in einen lethargischen Zustand, aus dem sie nur sehr schwer wieder aufzuwecken sind.

Unentdecktes Sars-CoV-2-Reservoir und Reaktivierung von Herpes-Viren

Warum sich die T-Zellen überanstrengt hatten, könnte laut dem Team um Iwasaki mindestens zwei Ursachen haben: In bestimmten Nischen des Körpers halten sich noch immer Coronaviren oder Bestandteile von Sars-CoV-2 auf, die die Immunantwort am Laufen halten. Und/oder: Die T-Zellen sind erschöpft, weil sie sich mit anderen Viren auseinandersetzen müssen, die den Körper dauerhaft belagern. Dazu zählen Vertreter der Familie der Herpesviren, zum Beispiel das Epstein-Barr-Virus (ruft das Pfeiffersche Drüsenfieber hervor) oder das Windpocken-Virus (Varizella Zoster). Für eine Reaktivierung schlummernder Herpes-Viren während oder nach der akuten Covid-19-Erkrankung fanden die Forschenden in der aktuellen Untersuchung ebenfalls Hinweise.

Autoantikörper unauffällig aber nicht unbeteiligt

Die Forschenden warfen auch einen Blick auf sogenannte Autoantikörper. Das sind Abwehrmoleküle, die Strukturen des eigenen Körpers angreifen und ihn damit schwächen. Im Verhältnis zu den TeilnehmerInnen derKontrollgruppen hatten die Long-Covid-PatientInnen zwar nicht mehr dieser speziellen Antikörper im Blut. Das heißt indes nicht, dass im Einzelfall diese autoaggressiven Antikörper nicht auch an den chronischen Beschwerden beteiligt sein könnten. Bei einigen Betroffenen fanden sich zum Beispiel Antikörper, die sich gegen Bestandteile von Natrium-Pumpen in Zellmembranen des Zentralen Nervensystems (ZNS) und des Herzens richten. Bei anderen entdeckte man Autoantikörper gegen den „Cholecystokinin B“-Rezeptor, der ebenfalls im ZNS aber auch im Verdauungstrakt vorkommt. Die erste Gruppe von Autoantikörpern könnte, so vermuten die Forschenden, Long-Covid-Symptome wie einen Tinnitus erklären, die zweite Gruppe Störungen im Magen-Darm-Trakt wie Übelkeit.

Niedriger Spiegel des Stresshormons Cortisol

Das eindrücklichste Merkmal bei Long Covid ist jedoch ein anderes. Die PatientInnen haben durchweg sehr wenig Cortisol im Blut, nur etwa die Hälfte der Mengen, die die Forschenden bei den Kontrollpersonen fanden. Das Stresshormon Cortisol wird in der Nebennierenrinde gebildet, um den Körper zu aktivieren, Energiereserven zu mobilisieren und Herz, Muskel und Gefäße zu höheren Leistungen anzutreiben. Den Befehl für die Ausschüttung von Cortisol gibt das Adrenocorticotrope Hormon (ACTH) der Hypophyse. An ACTH mangelte es den Long-Covid-PatientInnen aber nicht. Warum Cortisol dennoch in so geringen Mengen im Blut zirkulierte, ist bisher noch unbekannt.

4. Welche Schwächen die Studie hat

Zwar schauten sich die Forschenden unzählige Merkmale an und erstellen in monatelanger Arbeit ein akribisches Immunprofil. Doch die Anzahl der untersuchten PatientInnen ist mit 99 noch zu klein, um allgemeingültig Aussagen abzuleiten. Die Arbeit liefert wertvolle Anhaltspunkte, die im nächsten Schritt an einer größeren Long-Covid-Gruppe überprüft werden müssen.

Die Untersuchung konzentriert sich auf die Immunzellen und Moleküle im Blut. Sie kann keine Aussagen darüber machen, welche Abwehrzellen, in welchem Zustand sich in den Organen aufhalten, die von den Fehlfunktionen bei Long Covid betroffen sind, wie etwa Herz, Gehirn oder Lunge.

5. Was das Ergebnis bedeutet

Ein wesentlicher Verdienst von Studien wie dieser sei es, zu zeigen, dass es Long Covid tatsächlich gibt, schreibt der Mediziner und Pandemie-Experte Eric Topol in der Los Angels Times.

Immer deutlicher wird, dass es sich bei Long Covid um ein Syndrom mit verschiedenen Ausprägungen und vermutlich verschiedenen biologischen Ursachen handelt.

Es gibt derzeit mehrere Ideen dazu, wie Long Covid entsteht. Die aktuelle Studie liefert Hinweise für jede dieser Thesen: Viren oder Überreste davon sind noch im Organismus vorhanden; während der akuten Infektion sind Gewebeschäden entstanden, die noch nicht repariert sind; die Turbulenzen während der akuten Infektion haben ruhende Herpesviren, wie EBV, reaktiviert, was den Körper zusätzlich schwächt und chronische Entzündungen fördert; Autoantikörper greifen körpereigenes Gewebe an und stören die Funktion von Organen.

Die Studie liefere viele spannende Aspekte, die hoffentlich noch weiter beleuchtet würden, schreibt der Neurologe Michael Stingl auf Twitter. Die erniedrigten Cortisol-Spiegel bei normalem ACTH sehe man auch beim chronischen Erschöpfungssyndrom ME/CFS. Niedrige Cortisol-Werte seien mit Fatigue und Muskelschwäche assoziiert, allein die Ursache für die niedrigen Werte, sei indes noch unbekannt, schreibt die Journalistin Jennifer Couzin-Frankelim Science-Magazin.

Dass eine Corona-Infektion das chronische Erschöpfungssyndrom ME/CFS auslösen kann, zeigte jetzt eine Untersuchung des Charité Fatigue Centrum unter der Leitung von Carmen Scheibenbogen. 19 von 42 PatientInnen mit Long Covid, die sich in dem Berliner Behandlungszentrum vorgestellt hatten, erfüllten die diagnostischen Kriterien von ME/CFS. Die meisten der Betroffenen hatten die chronischen Beschwerden nach einem milden akuten Infektionsverlauf entwickelt.

Trotz der eingeschränkten Aussagekraft der US-Studie ist Akiko Iwasaki dafür, nicht lange zu warten, sondern möglichst rasch verschiedene Therapie-Optionen auszutesten. Mögliche versteckte Corona-Viren im Körper bei Long Covid könnten mit antiviralen Medikamenten oder monoklonalen Antikörpern angegangen, niedrige Cortisol-Spiegel medikamentös ausgeglichen und Entzündungsprozesse mit Immunmodulatoren beschwichtigt werden.

6. Worüber die Untersuchung keine Aussagen macht

Long Covid ist ein sehr heterogenes Phänomen. Symptome und Ursachen sind von Mensch zu Mensch verschieden. Bevor Therapien getestet werden können, müssten Subtypen bestimmt werden. Nicht alle Betroffenen haben die gleichen biologischen und immunologischen Auffälligkeiten. Erschöpfte T-Zellen fanden die Forscher zwar im Durchschnitt deutlich häufiger bei Long Covid als in den Kontrollgruppen. Doch auch bei den PatientInnen waren davon nur zwanzig bis dreißig Prozent betroffen

Zudem untersucht die Studie Menschen, die sehr früh während der Pandemie an Covid-19 erkrankt sind. Eine Impfung gab es zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Wer, wie stark, an welcher Art Long Covid durch den Kontakt zu neueren Virusvarianten erkrankt, ist noch genauso wenig bekannt, wie eine Antwort auf die Frage, wie gut eine Corona-Impfung vor den chronischen Folgen schützt.

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