Das Museum kommt nach Hause!
Katja (erwachsen) und Tilda (10) erzählen, wie sie Kunst gemacht haben. Und was Kunst überhaupt ist.
Wie viele Museen kann man die Kunstsammlung NRW (Nordrhein-Westfalen) auch über das Internet besuchen. Auf YouTube zum Beispiel hat sie einen eigenen Kanal und schon mehrere Videos für Kinder und Jugendliche und eigentlich auch für Erwachsene hochgeladen. In den Videos werden nicht nur Kunstwerke von Künstlern erklärt. Sondern es wird auch gezeigt, wie die Bilder und Skulpturen entstanden sind und wie man das selbst ausprobieren kann. So kann man seine eigene Kunst machen und zuhause mit der Zeit ein ganzes Museum aufbauen – mit den eigenen Werken!
Tilda (10) und Irma (5) haben das zusammen mit ihrer Mutter Katja ausprobiert. Alva (12) und Orla (8) waren zu Besuch und haben mitgemacht. Ihre Mutter Mareike hat fotografiert.
Katja arbeitet als Kunst- und Philosophielehrerin und hat viel Material zuhause, also Farben, Stifte, Pinsel, Papier und einiges mehr. Sie sagt, das ist gar nicht unbedingt nötig, um Kunst zu erfahren. Hier liest du ein Interview mit Dr. Katja Wagner-Westerhausen und ihrer Tochter Tilda Wagner.
Christiane Enkeler: Wie habt ihr euch getroffen und wie ist der Tag dann abgelaufen?
Katja: Gegen Mittag haben wir uns mit einer befreundeten Mutter und ihren beiden Töchtern getroffen. Die drei probieren selbst nicht so viel Künstlerisches aus. Aber vor allem die Kinder wollten das machen und wir beiden Erwachsenen haben uns dann angeschlossen.
Tilda: Wir haben uns bei uns zuhause getroffen…
Katja: … weil ich ja auch Kunstlehrerin bin und ein Arbeitszimmer habe, in dem man rumsauen kann. Und die Sachen dafür, Materialien, habe ich auch hier.
Woher wusstet ihr, was ihr braucht?
Katja: Bevor wir uns getroffen haben, haben wir uns die Videos zu den verschiedenen Künstlern angeschaut. Dann durften die Kinder aussuchen, wozu sie am meisten Lust haben.
Tilda, warum hast du dich für Paul Klee entschieden?
Tilda: Ich fand cool, wie der das macht mit den Spritzern und mit den Schablonen. Wie das Ergebnis dann aussah und die Technik.
Wie bist du auf dein Motiv gekommen, auf das, was dein Bild am Ende zeigt?
Tilda: Im Film wird ein Gesicht genommen und das habe ich dann auch gemacht. Und ich habe einfach ein paar Formen von Alltagsgegenständen genommen.
Wie lange habt ihr gebraucht für alles? Und haben die Erwachsenen geholfen?
Katja: Knapp zwei Stunden vom Aufbauen bis zum Abbauen.
Das war ja echt schnell!
Tilda: Ja, zwei Stunden, und manchmal haben die Erwachsenen ein bisschen geholfen, aber eigentlich haben wir das fast alleine gemacht.
Katja: Ich fand spannend, mir vorher die Videos mit den Kindern anzusehen und zu gucken: Welcher Künstler interessiert uns? Aber vor allem: Was möchten wir selbst mal ausprobieren? So war das ganz gut vorbereitet.
Wie macht ihr denn sonst Kunst miteinander?
Katja: Ich bringe ganz viele Ideen aus der Schule mit. Gerade jetzt, zu Corona-Zeiten, haben wir häufig geguckt: Was haben wir an Material und was können wir damit machen?
Bei Paul Klee haben wir die Technik in dem Video ein bisschen geändert. In dem Film sprüht man Wasserfarbe, damit das etwas Graffiti-Effekt hat. Und zwar mit leeren Sprühflaschen, zum Beispiel Putzmittelflaschen. Aber dann ist die Farbe so dünn. Und man muss die Flasche jedes Mal ganz reinigen, wenn man die Farbe wechselt. Deswegen haben wir das mit Spritzgittern und einer alten Zahnbürste gemacht.
Das wurde auch viel feiner.
Katja: Genau. Das wurde feiner und intensiver, kräftiger. Meine beiden Töchter fanden auch noch zwei andere Filme gut. Dabei hätten wir aber mehr gebastelt. Die anderen beiden Mädchen, Alva und Orla, wollten auf keinen Fall Wolle! Die wollten mehr rumsauen. Auf Paul Klee konnten wir uns dann einigen.
Katja: Alva hat ja auch Katharina Fritsch gemacht und mit Ton gearbeitet. Sie hat ihn aber nicht bemalt wie in der Anleitung, sondern dafür die Spritztechnik genommen. Also: Wir haben uns von den Videos anregen lassen. Aber wir haben die Aufgaben unseren Wünschen und eigenen Ideen angepasst.
War den Mädchen das Vorbild in den Videos wichtig, der Künstler oder die Künstlerin?
Katja: Es war ganz interessant zu sehen, wie einzelne Künstler arbeiten. Aber an unserem gemeinsamen Tag wollten wir vor allem selbst was machen. Ich vermute, dass sie die Vorbilder vielleicht sogar schon vergessen haben.
Ist dir das als Kunstlehrerin wichtig?
Katja: Das hängt davon ab, wie alt die Schülerinnen und Schüler sind. Je jünger die Kinder sind, desto wichtiger ist das Selbermachen. „Mach es wie Picasso“ oder „Mach es wie Katharina Fritsch“ – so etwas taucht im Unterricht ganz häufig auf. In der Oberstufe gibt es viel mehr Theorie: Wer ist der Künstler? Was möchte er aussagen? Was ist seine Arbeitsweise? Das finde ich okay, dass die „Kleinen“ das noch nicht alles wissen müssen und erst mal eigene Erfahrungen machen.
In dem Film zu Klee heißt es etwa: Er malt oder zeichnet oft so, dass man sagen könnte: Das hat ein Kind gemacht. Wo ist denn dann da der Unterschied, zwischen einer Kinderzeichnung und großer Kunst?
Katja: Das diskutiere ich ganz oft mit meinen älteren Schülern oder Eltern von Schülern.
Wenn zu moderner Kunst, oder zu der Kunst von Paul Klee zum Beispiel, jemand sagt: Das kann ich auch! Das kann ein Kind auch! Dann kann ich nur sagen: Ja, aber du hast es nicht gemacht!
„Ist das Kunst oder kann das weg?“
Ich habe älteren Schülern einmal zu Beginn dieses Themas im Unterricht eine Malunterlage gezeigt. Die wurde bei uns seit Jahren von vielen Schülern verwendet und war total bekritzelt – als Unterlage, nicht als Bild. Dazu habe ich sie gefragt: Ist das Kunst oder kann das weg? In den Müll? Die meisten haben gesagt: Das ist doch nur zufällig entstanden, das ist doch nur Gekritzel, das könnte mein Kindergartenbruder auch. Das kann weg.
Und dann haben wir selber mal rumgesaut. Wir haben abstrakt gemalt – also, keine Gegenstände oder Menschen, keine Bäume und Tische und Trauben, Sonne und Haus, sondern Gedanken und Gefühle direkt aufs Papier, mit Mustern, Linien und Farben. Unter Anleitung. Wir haben uns natürlich auch vorher noch etwas angeguckt und besprochen. Das fanden die hinterher ganz toll. Obwohl das auch nur Gekritzel war und „Rumsauerei“. Aber durch das Selbermachen haben sie verstanden, was daran Kunst ist. Das war ein riesiges Bild und hinterher durfte sich jeder ein Stück davon ausschneiden. Aber sie wollten das Kunstwerk nicht zerschneiden.
Natürlich kommt es auch darauf an: Gab es das schon? Oder ist das jetzt meine neue Idee?
„Kunst kommt von Können. Man übt, und dann kann man das.“
Meine Schüler sagen ganz schnell: Kunst kommt von Können. Der kann halt auch was. Das stimmt! Meistens, wenn man sich anguckt, was Künstler, die „Kindergartenbilder“ gemalt haben, sonst noch gemacht haben, dann können die schon richtig gut zeichnen.
Richtig gut zeichnen zu können, das ist Handwerk. Da gibt es Tricks. Aber das ist ja, als lernte man Matheformeln auswendig. Man übt, und dann kann man das.
„Aber um wirkliche Kunst zu machen, reicht das nicht aus.“
Aber um wirkliche Kunst zu machen, reicht das nicht aus. Das ist tatsächlich, etwas Neues zu machen. Etwas, was noch nie da gewesen ist. Den Blick dafür zu haben, „Kunst“ in etwas zu sehen und das dann auch rausholen zu können. So zu zeigen, dass andere das auch sehen. Und auch Abnehmer zu finden. Jemanden, der es kaufen möchte.
Ja?
Katja: Das ist eine schwierige Frage. Aber ich finde: Ja. Auch. Der Vorspann der Videos zeigt auch die Arbeitsweise von Günther Uecker, der überall Nägel reinschlägt. Damit etwas zu sagen, war seine Idee und seine Kunst. Wenn man jetzt plötzlich wieder Nägel irgendwo reinschlägt, ist das nicht mehr neu und keine Kunst mehr. Aber trotzdem darf man das machen. Kunst soll ja auch Spaß machen. Und wenn man Spaß hat, Nägel irgendwo rein zu hauen, dann soll man das machen.
Hier ist ein Bild von einer früheren Ausstellung zu Günther Uecker in Düsseldorf. Und in Schwerin wird bis Mai 2021 eine Ausstellung gezeigt.
Jetzt überlege ich…. Der Film erzählt: Paul Klee konnte zu seiner Zeit auch vielen nicht vermitteln, nicht zeigen, was an seiner Arbeit „Kunst“ ist.
Katja: Genau. Das konnte er zu seiner Zeit vielen nicht vermitteln, und ich denke tatsächlich, dass er das auch heute vielen nicht vermitteln kann. Viele meiner Schüler würden auch sagen: Das ist keine Kunst. Das kann ich auch.
Tilda, was sagst du? Würdest du dir ein Bild von Paul Klee aufhängen?
Tilda: In mein Zimmer nicht, glaube ich.
Katja: In Tildas Zimmer hängt das Bild, das entstanden ist, als wir die Kunst gemacht haben.
Wohin würdest du dir denn Paul Klee hängen?
Tilda: Also wenn ich ein eigenes Haus hätte, dann vielleicht übers Sofa.
Dahin, wo es Besuch sieht?
Tilda: Ja. Dann können die sich auch von Paul Klees Kunst anregen lassen. Und vielleicht finden die den dann auch gut und hängen bei sich auch ein Bild auf.
Würdest du für dieses Bild ins Museum gehen? Um es in echt zu sehen?
Tilda: Wenn der Eintritt frei ist…
Katja: Ich denke, dass ganz wichtig ist, die Bilder in echt zu sehen. Welche Spuren der Pinsel auf der Leinwand hinterlassen hat. Natürlich können sich wenige Menschen einen echten Paul Klee ins Wohnzimmer hängen. Dann würde ich ein selbst gemachtes Bild bevorzugen. Nur: Es ist einfacher, Dinge aufzuhängen, die andere gemacht haben. Das ist ja sehr persönlich. Was ist, wenn andere das nicht gut finden? So ein Bild ist wie ein eigenes Kind. Oder Kunst, an der man lange gearbeitet hat.
Vielleicht verstehen andere aber auch gar nichts! Man kann Kunst einmal so sehen: Das kann ja jeder. Man kann Kunst aber auch so sehen: Das verstehe ich nicht. Darunter kann ich mir gar nichts vorstellen.
Katja: Wenn ich jetzt ein sehr gut gemaltes Bild vor mir habe, auf dem alles täuschend echt aussieht. Da kann man sagen: Das ist gemalt wie fotografiert. Das ist handwerklich super gemacht. Das könnte ich so nicht und das bewundere ich. Über Musik könnte man so etwas sicher auch sagen.
„Nicht immer sind die Berühmtesten die Besten.“
Wenn meine Schüler sich mit berühmten Künstlern vergleichen und sagen: Mein Bild, das ist im Grunde wertlos. Dann sage ich: Das stimmt ja so nicht. Sie können ja versuchen, etwas dafür zu bekommen. Aber man muss zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Man muss vielleicht schon die richtigen Leute kennen und gefördert werden. Man muss Talent haben. Und man muss etwas Neues machen. Oder was den Leuten besonders gut gefällt. Nicht immer sind die Berühmtesten die Besten. Ich unterrichte ja auch Philosophie. Da geht es um die Kunst des Denkens. Man kann auch fragen: Kann jeder ein Philosoph sein? Oder nur der, von dem Bücher veröffentlicht werden?
Was muss ich denn wissen, um Kunst zu verstehen? Oder ist das einfach ein Blitz in meinem Gehirn? Oder meiner Seele?
Katja: Man muss einen persönlichen Zugang für sich zum Bild finden. Da ist auch erst mal egal, was andere sagen. Ich finde, man soll zuerst das Bild auf sich wirken lassen. Was sehe ich da? Ich finde mich erst mal in dem Bild zurecht. Was fühle ich? Was denke ich? Was weiß ich vielleicht über die Zeit, in der der Künstler gelebt hat? Wie war sein persönliches, privates Leben? Oder hat er vielleicht einen Krieg erlebt wie viele andere zu ihrer Zeit? So bekomme ich einen Zugang zu dem Bild und zu dem, was der Künstler mir darüber sagen möchte. So denke ich, kann man Kunst dann auch verstehen.
Es ist auch okay, wenn mir etwas nicht gefällt, obwohl alle sagen: Das ist Kunst?
Katja: Ja, klar. Kunst will ja auch gar nicht immer gefallen. Manchmal will Kunst ja auch provozieren, also ärgern und herausfordern. Oder Kunst möchte, dass wir mehr über etwas nachdenken.
Du hast als Kunstlehrerin bestimmt viel Material zuhause. Was können denn Familien machen, die nicht so viele Farben, Kleber, Wolle oder Papier gesammelt haben? Oder wenn die Eltern nicht so viel Zeit haben?
Katja: Kurz vor dem ersten Lockdown hatte ich mit meinen Schülern zu Max Ernst gearbeitet. Der hat sich mit dem Zufall beschäftigt und mit Experimenten, hat ganz viel ausprobiert. Und während des ersten Lockdowns habe ich dann zu meinen Schülern gesagt, dass sie doch einfach mal Experimente machen sollen. Also: Vielleicht kann man auch mit Kaffee malen und zeichnen. Oder vielleicht geht es auch mit Dingen, die man im Alltag findet. Kunst und Alltag haben ganz viel miteinander zu tun.
Wie könnte ich mit meinen Kindern zuhause „Kunst“ gestalten, wenn ich nicht Kunstlehrerin bin oder nicht so viel Zeit habe?
Katja: Wenn man ins Museum geht, erwartet man Kunst. Aber guck dir doch mal deine Küchenschublade an. Vielleicht kannst du Gabel, Schere, Messer und Löffel und was da alles drin liegt, neu sortieren. Dass es eine ästhetische Erfahrung wird. Ich finde Kunstunterricht dann gut, wenn man nicht nur viele Künstler kennt und zu den Bildern was sagen kann, sondern wenn man versteht und fühlt, und im besten Fall auch liebt, Ästhetisches zu entdecken. Kunst zu finden auch im Alltag.
Was ist “Ästhetik“? Was meinst du? Schön?
Katja: Ja, aber nicht nur einfach „schön“. Eine kaputte Vase oder eine alte Steinmauer kann auch ästhetisch sein. Ästhetisch ist das, was in mir einen Bereich zum Klingen bringt. Was mich berührt. Auch Musik kann diesen Bereich berühren.
Wie meinst du das?
Katja: Musik und Kunst, darüber kann ich nicht nur nachdenken. Sie lösen Erinnerungen aus. Oder Sehnsüchte. Bestimmte Gefühle und Gedanken erfährt man nur, wenn man Musik hört. Oder wenn man sich auf Kunst einlassen kann. Also wenn man sich in Bilder hinein begibt. Wenn man sie in echt sieht. Wenn man erfährt, wie viel Farbe auf der Leinwand ist. Oder mit den Figuren auf den Bildern mitfühlt: ihre Ängste vielleicht.
Oder wenn man selber etwas gestaltet. Dann vergeht die Zeit manchmal wie im Flug, ohne dass ich es merke. Ich bin ganz konzentriert und vertieft in mein Werk. Das nennt man „Flow“. Man vergisst dann alles, ob man jetzt Musik macht oder malt oder töpfert oder tanzt oder was auch immer. Das ist, was für mich das Wesentliche ausmacht, was Kunst bedeutet.
Tilda, Katja, ganz herzlichen Dank euch!
Katja: Ja, das haben wir sehr gerne gemacht!
Vielen Dank an alle sechs Beteiligten fürs Basteln und Dabeisein-Dürfen und an Mareike Graepel für die Bilder!
Hier findest du den gesamten YouTube-Kanal der „Mach’s wie…“-Reihe der Kunstsammlung NRW.
***
Weitere Beispiele für Kunst zum Mitmachen – für Kinder und Erwachsene:
- Die Kunsthalle Schirn in Frankfurt bietet für ganz junge Kunstbegeisterte kurze Videos zu Formen wie Dreieck, Kreis und Quadrat an. Dazu kann man Bastelbögen herunterladen. Die Kunsthalle hat eine Fliege auf ihre Homepage gesetzt, die man immer wieder wegjagen muss.
- Das Rijksmuseum in Amsterdam bietet Videos für Erwachsene an (auf Englisch), in denen einzelne Techniken zum Nachmachen näher angeguckt werden.
Aussagen und Positionen der Gesprächspartner:innen repräsentieren deren eigenen Auffassungen, die sich „Junges Theater“ nicht zu eigen macht.