Theaterstück probt Kampf gegen Klimakrise: Publikum entscheidet über Neutralität der Schweiz

Ein Theaterprojekt in Bern versetzt das Publikum in eine Zukunft mit vielen Überschwemmungen und Erdrutschen. Es nimmt die Menschen als Mitglieder des einberufenen Notrats in die Verantwortung und fragt, wie sich die Schweiz entscheiden soll. Ein Besuch vor Ort.

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Der Sitzungssaal im Berner Rathaus: Das Publikum bildet den Notrat der Schweiz und debattiert über mögliche Maßnahmen.

Das Szenario spielt im Mai 2037: Die Schweiz muss in dieser Woche entscheiden, ob sie einen Teil ihrer Neutralität aufgeben will. Das Alpenland kann die Folgen des Klimawandels nach mehreren Wochen mit heftigen Regenfällen nicht mehr allein bewältigen. Ein Großteil des Landes ist von schweren Überflutungen und Erdrutschen betroffen, einige Täler sind von der Außenwelt abgeschnitten. Vielerorts gibt es keinen Strom, Straßen und Bahnstrecken sind blockiert.

Publikum schlüpft in der Rolle des Parlaments

Im Rathaus in Bern trifft sich deshalb der Schweizer Notrat zu einer Dringlichkeitssitzung. Das Not-Parlament muss entscheiden, ob die Schweiz internationale Unterstützung anfordern will. Dafür müssten die Eidgenossen den „Grünhelmen“ beitreten. Diese Organisation hilft weltweit bei Katastrophen infolge des Klimawandels. Für die Schweiz bedeutet ein Beitritt den Bruch mit Traditionen: Das Land hat bisher auf eigene Stärke gesetzt und verzichtet beispielsweise auf die Mitgliedschaft im Verteidigungsbündnis Nato und in der Europäischen Union.

Das ist die Ausgangssituation für ein ungewöhnliches Beteiligungsprojekt. Das Demokratieprojekt „Proberaum Zukunft“ hat die Sitzung des Notrats als Pre-Enactment inszeniert und testet in fünf Veranstaltungen, wie eine Debatte in einer Ausnahmesituation ablaufen könnte.

Im Foyer laufen die Katastrophenmeldungen

Die Besucher erleben schon im Foyer die Dringlichkeit der Situation: Auf großen Bildschirmen laufen Nachrichtensendungen mit Katastrophenmeldungen, von denen einige die Bilder der Flut an der Ahr als Hintergrund benutzen. Das übliche Catering eines Theaters fällt wegen Lieferschwierigkeiten aus. HelferInnen verteilen kleine Wasserflaschen und Schokoriegel gegen den Hunger. Von draußen lärmen die Sirenen der Rettungswagen, während der Sitzung im Ratssaal hört man den Regen gegen die Scheiben trommeln.

Dennoch dauert es ein bisschen, bis die Besucher das Szenario angenommen haben. Das Wetter in Bern passt in dieser Woche nicht in den Katastrophenmodus. Draußen scheint die Sonne, die Cafés der historischen Altstadt sind voll, kein Gedanke an die Folgen des Klimawandels. Deshalb wirkt das Publikum noch entspannt, während sich das Foyer des Rathauses langsam füllt. Das düstere Szenario, das der Notrat gleich behandeln wird, ist noch nicht in ihren Köpfen angekommen.

Entscheidung muss binnen zwei Stunden fallen

Doch die Theatermacher im historischen Ratssaal zwingen die Zuschauer in eine andere Wirklichkeit und Rolle. Das Publikum vertritt das Volk. Die Menschen nehmen als Mitglieder des Notrats auf den Stühlen der Abgeordneten Platz. Vor ihnen, im Tisch eingelassen, die Knöpfe für die elektronische Abstimmung. Die meisten blättern in einem kleinen Büchlein, das die Fakten für die historische Sitzung zusammenfasst. ParlamentshelferInnen im Ornat wuseln umher. Für die Sitzung bleiben nur zwei Stunden, dann muss jeder und jede als Notrat oder Noträtin entscheiden: Beitritt zu den Grünhelmen – ja oder nein?

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