Stochern im Schmalz: Auch mit EU-weitem Limit bleibt teilweise unklar, wieviel ungesunde Trans-Fettsäuren wir zu uns nehmen

Weder Politik noch Industrie wollen die „Transfett“-Anteile in unserem Essen richtig transparent machen.

16 Minuten
Die charakteristisch runden, frittierten Teigboller sind in diesem Fall mit weißen & grünen Schnipseln besprenkelt und tragen die Geschmacksrichtung „Apfel“.

Ab April 2021 darf per EU-Verordnung der Transfett-Anteil maximal 2 Gramm pro 100 Gramm Fett betragen. In diesem Beitrag geht es darum, dass das nicht für alles gekaufte Essen gilt. Zusammengetragen habe ich zudem, wie verbreitet „Trans-Fettsäuren“ sind, wie sie entstehen sowie welche Geschichten und Historie hinter den Herz-Krankmachern stecken.

Wie folgenschwer manch antike Erfindung noch heute Gesundheit und Umwelt beeinflusst, hätte ich mir nach meiner letzten Radtour nicht träumen lassen. Ich fuhr die hanseatischen Auslagen einiger Bäckereien und Süßkramhersteller ab. Von der Schirmmütze tropfte Regen auf meine Nasenspitze; im Munde lief mir das Wasser zusammen, angesichts fetter, zuckerstrotzender Schlemmereien hinter Schaufensterglas. Aber der Anblick brachte mir auch das hoch-brisante und -kalorische Thema einer zurückliegenden Reise in Erinnerung, das mir im herbstlichen Corona-Blues untergegangen war: das Thema „Transfette“.

Thema Transfette

Transfette sind Fettsäuren mit ungesunden Eigenschaften, die früher zu großen Mengen in Margarine steckten und heute noch in all dem entstehen können, was da an Salzigem oder Süßem frittiert wird. Diese schnelle und beliebte Form der Essenszubereitung folgt antiken Traditionen: Ein Grieche legt laut Athenaeus erstmals Zeugnis ab von Fried Fish. Wie es in Food in the Ancient World heißt, übernahm Athenaeus vom guten alten Klearch die Kenntnis davon, dass kleine Fische und Meeresfrüchte in einer Art Fritteuse zu einem köstlichen Gaumenschmaus zusammenschrumpelten. Ungesunde Fette darin durften den alten Griechen wohl eher wurscht gewesen sein; man/frau lebte ja allemal so kurz.

Ein bisschen Chemie

Zurück ins 21. Jahrhundert. Ausgerechnet aus gesunden Fettsäuren im Essen und Siedefett macht starke Hitze ungesunde Varianten. Nein, auf Acrylamid, das uns seit mehr als zwei Dekaden beschäftigt, gehe ich nicht ein. Mir geht‘s um sogenannte Doppelbindungen in Fettsäuren. Die liegen natürlicherweise überwiegend in einer „Cis-Form“ vor. Aber unter Hitze kann „Trans“ daraus werden (Abbildung und Erläuterung unten). Das Resultat sind Trans-Fettsäuren. Sie heißen kurz „Transfette“ und kommen auch in fettigen Fertigprodukten vor, wie die weiter unten stehende Auflistung zeigt.

Cis und Trans gibt’s nur bei Fettsäuren mit Doppelbindungen. Wem sich diese Chemie-Bezeichnung zu kryptisch anhört, sagt einfach „ungesättigte Fettsäuren“. Ungesättigt ist das landläufige Synonyme für die Eigenschaft von Doppelbindungen, dass sie sozusagen Appetit haben auf weitere chemische Reaktionen. Was dabei passiert, erkläre ich unten.

Natürlich vorkommend

Mit Trans-Fettsäuren ist es ein bisschen wie mit Cholesterin: Beides kommt natürlicherweise vor. Und regelmäßig zu viel davon bekommt unserer Gesundheit schlecht. Anders als Cholesterin, was manche Zellmembranen und Produktionsprozesse im Körper nötig haben, sind Transfette anscheinend völlig überflüssig. „Für Trans-Fettsäuren ist keine positive Funktion im Organismus bekannt“, schreibt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) in einer Fachinformation.

Aber, so frage ich mich auf meiner Radtour von Hamburg zurück nach Lübeck: Ist dieses ganze Cis-Trans-Gedöhns nicht ein Nischenproblem, vor allem der wohlhabenden Länder des Planeten?

Oje, noch ein globales Problem!

Zuhause am Rechner schleudert mir die Weltgesundheitsorganisation ein schneidendes NEIN entgegen: Vor knapp zwei Jahren hat sich die WHO das ehrgeizige Ziel gesetzt, „industriell hergestellte Trans-Fettsäuren aus dem globalen Nahrungsangebot zu eliminieren“. Die Organisation schätzt, dass Transfette auf der Welt jährlich rund eine halbe Million Tote aufgrund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen zeitigen. Das sind in etwa so viele Todesfälle, wie in der ersten Jahreshälfte 2020 allein die Corona-Pandemie verursachte. „Die meisten Verbraucher wissen nicht, dass manche Nahrungsmittel erhebliche Mengen an Trans-Fettsäuren enthalten“, heißt es in einer WHO-Mitteilung und lobt Dänemark, wo diese als Zusatzstoffe bereits 2003 verboten wurden.

Was nicht heißt, dass man Transfette an einer Frittenbude in Kopenhagen nicht doch serviert bekommt, sozusagen kaschiert im Pommes-Schächtelchen. Denn nur die eine Crux besteht in den Transfetten als Zutat (verboten im Staate Dänemark). Die andere Crux:

Transfette entstehen als „Unrat“

Die Hitzezufuhr beim Braten oder Frittieren begünstigt, dass das Kohlenstoff-Rückgrat in den Fettsäuren vieler Pflanzenöle an den Doppelbindungen „umklappt“ – isomerisiert, wie Chemiker·innen sagen.

Zusammensetzung und Aufbau der Fettsäuren ändern sich nicht; sie ragen lediglich anders in den Raum: Während in natürlichen Pflanzen-Fettsäuren das Rückgrat an Doppelbindungen eine Art Wanne bildet – also die sogenannte „Cis-Konfiguration“ hat, bleiben nach Erhitzen jede Menge Trans-Fettsäuren zurück.

Chemische Schreibweise einer Doppelbindung mit Cis- bzw. Trans-"Stellung" an einer Doppelbindung.
Ungesättigte Bindungen – in chemischer Schreibweise symbolisiert durch den Doppelstrich – haben in natürlichen Pflanzenfetten ein sogenanntes Kohlenstoff-Rückgrat, das „einseitig“ von der Doppelbindung abragt. Diese „Wannenform“ heißt im Fachjargon Cis-Konformation. Hitze oder Chemikalien – oder beides zusammen – können bewirken, dass „Cis“ in „Trans“ umklappt. Trans-Fettsäuren sind in großen Mengen ungesund für unseren Organismus (siehe Haupttext).
Pflanzliche Öle mit einem hohen Gehalt an ungesättigten Fettsäuren können bereits durch Temperaturen ab 130 Grad in Transfette umgewandelt werden.

So heißt es beispielsweise im „Ratgeber Gesundheit“ des NDR. Der Fernsehclip lenkt die Aufmerksamkeit unter anderem darauf, dass Bratfette oft und Frittierfette nahezu immer mehrfach zum Einsatz kommen. So klappen immer mehr Fettsäuren von der Cis- in die Trans-Konfiguration um.

Transfette das gilt inzwischen als gesichert lassen in unserem Blutkreislauf das Low-Density Lipoprotein (LDL) akkumulieren. Dadurch flottiert mehr Cholesterin im Blut; das Risiko steigt, dass sich davon einiges ablagert und gefährliche Plaques bildet. Nach Aussage einer im NDR-Clip zu Wort kommenden Kardiologin ist „ein hohes LDL-Cholesterin wahrscheinlich der wichtigste Risikofaktor für die Entstehung von Arteriosklerose“.

Wissenschaftlich umfassender formuliert es die „Fett-Leitlinie“ der DGE: Die Evidenz für eine Erhöhung des KHK-Risikos durch trans-Fettsäuren insgesamt wird in der primären Prävention als wahrscheinlich bewertet. Wobei KHK für koronare Herzkrankheit steht (zunehmende Einengung der Blutgefäße).

Vier Punkte zum Merken zwischendurch offen für Käufer·innen dieses Beitrags; kostenlos geht’s, nach der „Schranke“ weiter:

Ab April: Das Transfett-Limit in Fertig-Produkten

Zugutehalten kann man der Industrie, dass sie bereits ohne gesetzliche Vorgaben und auf politischen und Verbraucher-Druck hin den Transfett-Gehalt der Lebensmittel seit rund einer Dekade sukzessive hat schrumpfen lassen. Aber aufgrund einer paradoxen Vorschrift darf sie kein Eigenlob hudeln, darf keine niedrigen Transfett-Anteile benennen:

Denn es gilt: Gibt es keinen gesetzlich festgelegten Grenzwert, darf der Gehalt nicht angegeben werden! Das Paradoxe ist nun, dass wir trotz des bald geltenden Grenzwerts weiter im Unklaren gehalten werden.

Zur Erinnerung: Der Gehalt an Trans-Fettsäuren, die nicht auf natürliche Weise in Fett tierischen Ursprungs vorkommen, und in Lebensmitteln enthalten sind, die für den Endverbraucher und den Einzelhandel bestimmt sind, darf ab April nicht mehr als zwei Gramm pro hundert Gramm Fett betragen.

Wie steht’s um die Kennzeichnung des Transfett-Gehalts?

Mehrere Anläufe bei der Pressestelle der Europäischen Kommission in Berlin ergeben keine klare Aussage. „Darf der Transfett-Gehalt ab April gekennzeichnet werden?“, frage ich ein ums andere Mal. Die Antworten der EC.Europa.EU/Germany:

Lebensmittel für den/die Endverbraucher/in, die mehr als 2g/100g industriell hergestelltes Transfett beinhalten, dürfen ab 2. April nicht mehr verkauft werden.
Gekennzeichnet werden muss der Transfett-Gehalt (wiederum: Transfette nicht-natürlichen Ursprungs) bei Business-to-Business-Verkäufen, wenn die 2g-Marke überschritten wird.

Angesichts meiner „Kommissions-Verwirrung“ wende ich mich mit meiner Frage ans hiesige Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL). Dort erläutert man mir die Feinheit der Regelung, dass auch Produkte mit mehr als 2g/100g Transfett-Gehalten weiterhin im Umlauf sein dürfen, mit folgendem Beispiel.

„Eine Margarine, die dem Bäcker zum Backen eines Croissants geliefert wird, muss den Höchstgehalt nicht einhalten. Durch entsprechende Informationen über den Gehalt an Trans-Fetten in der Margarine muss der Bäcker allerdings sicherstellen, dass seine von ihm gebackenen Croissants für den Endverbraucher wiederum den zwingend vorgeschriebenen Höchstgehalt einhalten.“ Zitat BMEL

Und ich Naivling dachte, Croissants werden noch immer mit Butter gemacht (die lediglich geringe Mengen natürlicher Transfette enthält). Solche Croissants tragen im Verkauf jedoch den Eigennamen „Butter-Croissants“. Und das Standard-Croissant beim Bäcker? Wird mit sogenanntem Ziehfett hergestellt – durch abwechselndes Ausrollen und Einklappen des Teigs. Tourieren heißt der Fachausdruck dafür und zeitigt folgendes schwurbelig formulierte Bekenntnis in einem „Lebensmittellexikon“ :

„Die für eine wirtschaftliche industrielle Fertigung erforderliche Ziehfestigkeit des Fettes kann allerdings in Konkurrenz stehen zur geschmacklichen Qualität und zu ernährungsphysiologischen Überlegungen. (…) Für zwei einfache Touren genügt es, etwa 200 bis 220 g Fett pro Kilogramm Teig zu verwenden.“ Quelle: www.lebensmittellexikon.de/t0000950.php

Ganz schön happig, was in einem Croissant so an Fett steckt!

Da muss ich also meinem Bäcker blind vertrauen, dass er eingekaufte, transfett-reiche Massen weit genug herunterverdünnt, um in seinen „Teilchen“ unter dem Transfett-Grenzwert von „2g pro 100g“ zu bleiben.

Unter einem Schaufensterglas, in dem sich an der Elbe befindliche Kraftwerkstürme und Baukräne spiegeln, wirbt eine mit Herzen und anderen Symbolen verzierte Werbeaufschrift für den sogenannten Unilever-Shop.
Unergründliche Leere im seit Monaten verwaisten Unilever-Shop in der Hamburger Hafencity. Während die Firma 2020 große Wandel vorantrieb, bleibt auch nach dem 1. April 2021 der Transfett-Gehalt all des kalorienreichen Eis- und Süßkrams konstant – nämlich undurchschaubar. Das gilt allerdings für die gesamte Nahrungsmittel-Industrie in Europa (ausgenommen Dänemark) und erscheint politisch gar gewollt.
Eine bunte Tafel wirbt für die „Langnese-Happiness-Station“.
ZUCKER – FETT – SALZ: Die Rezepte, um unsere im Laufe der Evolution konsolidierten Urbedürfnisse zu befriedigen, sind simpel. Aber nicht unbedingt gesund.

Dazu antwortet mir das BMEL:

Bei unerwünschten Stoffen in Lebensmitteln besteht der Grundsatz, dass wenn sie über Höchstgehalte rechtlich geregelt werden, eine zusätzliche Kennzeichnung nicht mehr notwendig ist. Der Höchstgehalt selbst schützt die Verbrauchergesundheit. Wird der Höchstgehalt überschritten, ist das Lebensmittel nicht verkehrsfähig.

Um mir in diesem seltsamen Verbraucher-Verwirrspiel zumindest punktuell ein wenig Klarheit zu verschaffen, radle ich (notorisch teuer einkaufender Verfechter von Qualitäts-Essen) zu einem Billig-Supermarkt, um zu erstehen: a) Cuorino-Blätterteiggebäck, b) Erdnussflips und c) Lækkergården elite – aus Butter & Rapsöl.

Meine drei Produkte enthalten laut Packungsangabe 27%, 24% und 75% Fett, das wie folgt spezifiziert ist:

  • a) Margarine aus Palm- und Sonnenblumen-Öl + Mono- und Diglyceride von Speisefettsäuren + Sonnenblumenöl
  • b) Sonnenblumenöl 7%
  • c) Butter und Rapsöl zu 68% bzw. 19% vom Gesamtprodukt (nicht vom Fettanteil).

Anfrage per Mail an die Hersteller: Wie hoch ist der Trans-Fettsäure-Gehalt im Fettanteil der Produkte? – Antwort: „Wir bemühen uns um schnellstmögliche Antwort.“ Die ich allerdings nicht erhalte, bis drei Wochen nach Anfrage jedenfalls nicht.

Wird es sich auch der Vertreter einer Traditionsmarke wie Rama leisten, eine Anfrage ins Leere laufen zu lassen? Lange gehörte Rama zu Unilever, vor einigen Jahren wurde die Margarine an Upfield abgetreten.

Frage: Wie hoch ist der Trans-Fettsäure-Gehalt im Fettanteil von Rama und von Bertolli-Brotaufstrich?

„Gerne teilen wir Ihnen aus der technischen Abteilung mit: Gehärtete Fette müssen deklariert werden. Sollten also gehärtete Fette in Produkten verwendet werden, sind sie in der Liste der Inhaltsstoffe mit dem Hinweis ‚vollständig gehärtet‘ oder ‚teilweise gehärtet‘ gekennzeichnet. Wir verwenden in unseren Margarinen keine vollständig oder teilweise hydrierten Fette. Wenn pflanzliche Margarine ohne gehärtete Fette hergestellt wird, ist sie praktisch frei von Transfettsäuren. Darüber hinaus können wir bestätigen, dass alle unsere Produkte der EU-Verordnung entsprechen, die weniger als 2% Transfette des Gesamtfettgehalts definiert.“ Zitat Upfield

Schön! Aber schade, dass man für den Butter- und Milchanteil, den manche Upfield-Produkte haben, keine detaillierten Transfett-Infos bekommt (siehe unten „Wie ich in Dessau mein Fett wegbekam“).

Nach Redaktionsschluss – Antwort zu Lækkergården am 29. Januar:

Es sind Transfettsäuren ausschließlich natürlichen Ursprungs (Milchfett) enthalten. Diese sind nicht mit Transfettsäuren aus der Fetthärtung zu vergleichen. Diese Transfettsäuren sind zu ca. 2 g / 100 g enthalten.

Die Firmenhinweise zur sogenannten Fetthärtung entsprechen den Infos von der Seite „Klarheit und Wahrheit“, auf der der Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände gefördert vom BMEL aufklärt:

Lediglich der Hinweis "x-Öl, zum Teil gehärtet" in der Zutatenliste vorverpackter Lebensmittel deutet auf ein Vorkommen von Trans-Fettsäuren hin.

Vor diesem Hintergrund klagt die Verbraucherzentrale von Nordrhein-Westfalen, dass in Deutschland weiterhin keine direkte Kennzeichnungspflicht besteht, mit den Worten:

Für Verbraucher wünschenswerte, leicht verständliche Angaben wie "frei von Trans-Fettsäuren" oder die Angabe des konkreten Trans-Fettsäuren-Gehalts sind nicht zulässig.

Manche Webseiten listen Transfett-haltige Lebensmittel. Grob lässt sich Essen mit Transfett-Gefahr in vier Kategorien einteilen:

  1. Fastfood- und Gefrier-Fertig-Mahlzeiten sowie manche Brotaufstriche
  2. Krapfen, Donuts usw. sowie alle salzigen Frittierprodukte
  3. Gebäck mit Fett-Glasuren und/oder hohem Fettgehalt
  4. Süßwaren generell. „Auffällig ist“, warnt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung, „dass die Gehalte an Trans-Fettsäuren in den Lebensmittelgruppen große Unterschiede aufweisen.“ Die größte Spanne an Anteilen am Gesamtfett weisen laut DGE die Süßwaren auf: von Null bis 37,6 Prozent!

Ich frage beim BMEL nach, welche Maßnahmen und Info-Strategien angesichts der bald in Kraft tretenden EU-Verordnung jetzt, zu Jahresbeginn 2021, anstehen. Die Antwort besteht lediglich aus dem Hinweis, dass die Regelungen der Wirtschaft bekannt und ab 1. April anzuwenden seien. Und man verweist mich auf eine gemeinsame BMEL-Industrie-Initiative – aus dem Jahre 2012 (sic).

Wieviel Transfette enthalten welche Lebensmittel?

Zu den wenigen aktuellen und öffentlich zugänglichen Untersuchungen zählt „Trans-Fettsäuren in Lebensmitteln“, eine Studie des Niedersächsischen „Landesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit“ LAVES.

Unter dessen Laborlupe lagen in den Jahren 2017 bis 2020 mehr als siebenhundert Proben aus Lebensmitteln. Das Ergebnis lässt aufhorchen: Zu etwa 74 Prozent entstammten Proben mit Transfett-Anteilen von über 2 Gramm pro 100 g Fettanteil aus Erzeugnissen mit Milchfett. „Die Trans-Fettsäuren dieser Lebensmittel sind von der neuen Grenzwertregelung nicht erfasst, da sie natürlichen Ursprungs sind“, schreibt LAVES. Allerdings lagen im Falle erhöhter Transfettwerte in Milchfett-Produkten vergleichsweise niedrig (zwischen 2 g und 7,5 g Fett pro 100 g).

Womit kann man das vergleichen? Antwort: Mit den Spitzenwerten jener zehn Prozent der Proben, in denen die Transfette richtig dick auftrugen – zu „überwiegend 35 g bis 41 g“ pro 100 g Fett, wie das LAVES-Papier besagt. Und dies waren bei den LAVES-Untersuchungen: Die Frittierfette.

Nach Erfahrung des Landesamts:

bestehen Siedefette aus Bäckereien häufig aus teilgehärtetem Erdnussöl. (…) Hier wird es für das Bäckergewerbe notwendig, sich auf Trans-Fettsäure-arme Varianten umzustellen, um den neuen Anforderungen gerecht zu werden.

Hier geht’s zu einer älteren Untersuchung – aus Bayern, aus dem Jahr 2016.

Rückblick: Wie ich in Dessau mein Fett wegbekam

Oktober 2020. Dank Corona erhalte ich unerwartet Einblick in die okkulte Fettküche der Gastronomie:

Auf meiner Reportagefahrt durch die „Neuen Länder“ anlässlich dreißig Jahren „Deutscher Einheit“ mache ich Station in Dessau. In Sachsen-Anhalt sind alle Restaurants geschlossen, weswegen ich mich, zur Selbstversorgung, auf Einkaufstour begebe. Im „Landei“, in der Johannisstraße, verbreitet der Bioladenbesitzer trotz Verkaufsebbe, also trotz voll bestückten Regalen und Körben, beste Laune. Auf meine Frage, ob ich für Brötchen, die ich zu kaufen anvisiere, eine Portion Butter erstehen kann, heißt er mich kurz zu warten. Er geht in die Küche hinterm Verkaufsraum, kommt mit einem Paket Butter zurück und überreicht es mir mit den Wort „Schenke ich Ihnen“. Phase Professional Gold – A Brand by Rama prangt auf der goldglänzenden Packung. Ich frage, ob gehärtete Fette enthalten sind, die ich vom Biochemiestudium kenne und gegen die ich eine Aversion habe. Nein, sagt man mir, keine gehärteten Fette, nur eine Mischung von Butter und Pflanzenölen.

Wenn ich nun als eingefleischter Butter-Fan schreibe, wie lecker dieses Rama-Zeug schmeckt, brauche ich mich etwaiger Schleichwerbung nicht zu grämen: Phase Professional Gold steht nicht in den Ladenregalen – erwerben können diesen Rama-Brand nur Gastro-Profis. Nach dem Mahl entziffere ich im trüben Schein einer in weitem Bogen ausholenden 90er-Jahre-Hotelzimmerleuchte die Zutatenliste: Palm- und Rapsöl 72%, Buttermilch 10%, natürliches Aroma mit Milch, Emulgatoren usw. – Butter-Aroma! Als ich in Wikipedia die Zwischenüberschrift „Schädigende Wirkung“ erblicke, breche ich die Lektüre ab, denke an manch ungesunden Schmaus, unterwegs, während der zurückliegenden drei Tage. Und ich denke an den Schluss von Effie Briest „ …ein weites Feld… “.

Und die Moral von der Geschicht‘

Das Feld der Gesundheit ist zweitrangig, wo immer es um das pure Überleben geht. Deswegen darf man es Wilhelm Normann keinesfalls anlasten, wenn seine Erfindung – die Fetthärtung – im ersten Weltkrieg groß herauskam. Der Mangel an Fett tierischen Ursprungs ließ sich durch die Härtung kompensieren, heißt es auf den Seiten der Deutschen Gesellschaft für Fettwissenschaft: Die „geschmacklich kaum haltbaren Wal- und Fischöle“ kamen so als Grundstoff für Margarine infrage. (arme Wale, klar!)

Fetthärtung ist 120 Jahre alt

Bei der 1901 patentierten Fetthärtung werden Doppelbindungen in der Kohlenstoff-Kette der Fettsäuren thermisch und chemisch aufgebrochen, sodass daraus Einfachbindungen entstehen. Die zusätzlich angelagerten Wasserstoff-„Reste“ bewirken, dass viele flüssige Öle bei Raumtemperatur fest sind. In unvollständig gehärtetem Fett bleiben nicht nur Doppelbindungen übrig, es bleiben auch mehr Trans-Fettsäuren zurück als vor dem Härteprozess. Wikipedia tituliert Normann als „Wegbereiter der großindustriellen Margarineherstellung“.

Vor 60 Jahren erneut Konjunktur

Nach überwundenen Hungerzeiten leisteten sich die bundesrepublikanischen „Butterlande“ erstmals systematische Aufklärung darüber, wie schlecht uns zu viel Fett tierischen Ursprungs gesundheitlich bekommt. So war Margarine erneut en vogue.

„Zwischen den 1960er und 1980er Jahren", konstatiert die DGE, „stieg das Image von teilgehärteten Fetten (…). Und durch deren Eintrag ins Lebensmittelangebot stieg auch die Zufuhr von Trans-Fettsäuren maßgeblich an.“ Dieser Trend begann sich erst vor rund 30 Jahren umzukehren. Gehärtete Fette sind längst wieder out.

Wie wollen wir leben?

Ob wir uns gesund ernähren, wie wir vielleicht besser leben – auch für die Umwelt, ist in politisch-industriellen Spannungsfeldern selten klar zu verorten. Zumal es gefühlt ewig dauern kann, bis Erkenntnisse der Wissenschaft volle Überzeugungskraft entfalten. Oder bis wir unseren Hedonismus hintanstellen. Stichwort: Klearchs köstlicher Fried Fish, 2300 Jahre „alt“.

Als ich Ende 2020 nahe der Fischauktionshalle aufbreche, um nach Hause zu radeln, verdrängt die City rasch Gedanken an Erfindungen wie Frittieren oder Fetthärtung. Verkehr und Verbrennungsmotoren übermannen, umfangen mich. Fast eine Stunde lang pedaliere ich über bisweilen schmale, fast immer holprige, hin und wieder brandgefährliche Radwege aus Hamburg heraus.

Und meine es schon nicht mehr ironisch, sondern leider nur zynisch, wenn ich schreibe, wie herrlich es ist, dass die motorisierten Massen meine Sinne schärfen – mit Lärm, Lichtern, Auspuffmief.

Über jene eine Erfindung, denke ich mit Blick auf die Fahrspuren links neben dem Radweg, werden unsere Kindeskinder dereinst sagen: „Dass die Menschheit an diesem Quatsch derart lange festgehalten hat – schier unglaublich!“