Neonatur: Wenn Tiere grün leuchten und Altglasdeponien zu Schutzgebieten werden

In seinem neuen Buch „Die zweite Schöpfung“ erkundet der US-Autor Nathaniel Rich menschliche Eingriffe in die Natur, bleibt aber eine schlüssige Deutung schuldig

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Das Bild zeigt ordentlich angeordnete Fischköder – es sind selbst farbenfrohe kleine Fischlein mit Haken.

Mit seinem ersten Buch „Losing Earth” hat sich der Journalist Nathaniel Rich auch über sein Heimatland USA hinaus einen Namen gemacht. Akribisch hat er darin rekonstruiert, wie das Wissen um Gefahren und Dimension der vom Menschen verursachten Klimaveränderungen bereits in den 1970er Jahren vorhanden war – und wie Verantwortliche in Politik und Wirtschaft es ignoriert oder sogar gezielt verheimlicht haben.

In seinem neuen Buch hat sich Rich unser Verhältnis zur Natur zum Thema gewählt. „Die zweite Schöpfung” verspricht zu schildern, „wie der Mensch die Natur für immer verändert”. Ein solcher Fokus ist enorm wichtig, leidet doch die gesamte Umweltdebatte darunter, dass sie die menschlichen Eingriffe in das, was die Wissenschaft „Erdsystem” nennt und andere die „Natur”, sehr – zu sehr – auf das Klimathema verengt.

Natürlich birgt die Klimakrise auch isoliert betrachtet genug an Risiken – und auch Chancen für eine nachhaltigere Wirtschaftsweise –, um die ganze Aufmerksamkeit ganz zu fordern. Aber das reicht nicht.

Altglasdeponie als Naturschutzgebiet

Denn letztlich ist die Förderung und Verbrennung fossiler Brennstoffe nur ein kleiner Ausschnitt menschlicher Interaktion mit der Erde. Zudem ist es falsch, bei Treibhausgasen nur an Schornsteine und Auspuffe zu denken. Die Emissionen haben sehr viel mit unserem Umgang mit natürlichen Lebensräumen zu tun, wenn etwa Kohlendioxid aus brennenden Wäldern und austrocknenden Mooren entströmt.

Da Rich bereits mit seinem Klimabuch gezeigt hat, dass er an die Wurzel von Ereignissen gehen will, erscheint „Die zweite Schöpfung” wie eine logische Fortsetzung. Vielleicht müssen wir viel tiefer graben und an unserem Verhältnis zu allem Nicht-Menschlichen auf der Erde arbeiten, bevor eine Wirtschaftsweise entsteht, die nicht natürliche Ressourcen parasitiert und die Natur wie einen Wirt schwächt oder tötet, sondern sich in natürliche Kreisläufe einfügt.

In seiner Einleitung hebt Rich auf diese große Grundsatzfrage ab. Am Beispiel der Glass Beach in Kalifornien, einer früheren Deponie für Altglas direkt am Meer, schildert er, wie die Grenzen zwischen der menschlichen Zivilisation und dem, was wir früher von uns getrennt als Natur betrachtet haben, in unserer Zeit verschwimmen. Die Wellen haben das Altglas zertrümmert und die Scherben abgerundet, so dass der Strand nun aus Millionen bunten Scherben besteht, die zur Touristenattraktion geworden sind.

Es gibt sogar eine Debatte, ob man neues Altglas herankarren soll. Eigentlich eine harmlose Sache. Doch Rich erkennt darin mehr, ein Symbol einer neuen Erde: „Kaum ein Stein, Blatt oder Kubikmeter Luft ist nicht von unserer ungeschickten Hand gezeichnet”, schreibt er.

Die Natur, so Richs Botschaft, ist nicht länger der wilde Todfeind, als der sie dem orientalisch-westlichen Kulturkreis lange galt, ein Todfeind, den es zu bezwingen galt. Frühere Naturbilder seien ein „Freibrief für ihre Beherrschung, Zerstörung und Ausbeutung – und den Stolz darauf” gewesen. Jetzt gelte es zu verstehen, wie eng wir mit der Natur verbunden sind, gerade weil wir Menschen jeden Winkel der Erde auf die eine oder andere Art durchdringen.

Weder in einem verklärenden, romantischen Naturbild noch im Versuch, immer kleinere Areale „ unberührter Natur” zu schützen, sieht Rich eine Alternative. Vielmehr plädiert er dafür, Natur als Spiegelbild des Menschen zu begreifen: „Es ist unmöglich, alles, was wir ‘natürlich’ nennen, vor den Verheerungen des Klimawandels, vor Verschmutzung und psychopathischer Profitgier zu schützen, wenn wir nicht verstehen, dass die Natur, deren Verlust wir fürchten, unsere eigene ist.”

Wenn Menschen wie Götter agieren

Was auf diesen fulminanten Start folgt, ist aber keine systematische Entwicklung eines neuen Naturbilds, sondern eine lose gruppierte Sammlung von Reportagen, die Rich für verschiedene US-Medien wie das „New York Times Magazine” oder „The New Republic” geschrieben hat.

Im ersten, „Tatort” genannten Teil geht es um Umweltverschmutzung durch den Chemiekonzern Dupont, die ein hartnäckiger Anwalt aufgeklärt hat, um das mysteriöse Absterben von Seesternen in einem Meeresaquarium und um die Folgen eines ebenfalls nie ganz geklärten Methanlecks für Mensch und Natur.

Wie in „Losing Earth” wirken die Schilderungen akribisch recherchiert, wobei manche Details unwirklich erscheinen, etwa wenn Rich über die Folgen chemischer Verschmutzung schreibt: „Die Hirsche starben einen seltsamen Tod. Sie sanken in Gruppen zu Boden, wie Mitglieder einer Selbstmordsekte. Die Tennants hörten auf, ihr Fleisch zu essen, nachdem Jim beim Ausnehmen eines Bocks feststellte, dass seine Innereien leuchtend grün waren.”

Im zweiten Teil namens „Zeit des Zweifels” bietet Rich Berichte über die neuartige urbane Natur, die sich nach dem Hurrikan Katrina in New Orleans ausgebreitet hat und Ökologen vor Rätsel stellt, Einblicke in die Welt der Zucht von Hühnchenfleisch aus Zellkulturen im Labor und eine unheimliche Reportage darüber, wie Aspen von der Bergbausiedlung zur Ökoenklave von Milliardären geworden ist. Auch der dritte, „Wie Götter” überschriebene Teil des Buchs stellt unterschiedlichste Aspekte nebeneinander, vom Versuch, die ausgestorbenen amerikanischen Wandertauben wieder zum Leben zu erwecken bis zur Nutzung gentechnischer Methoden in der Kunst, die Kaninchen grün leuchten lassen.

Jede Reportage ist für sich genommen interessant – und natürlich ist es verständlich, wenn ein Reporter seine Arbeit an so vielen Fronten der Umweltdebatte unter ein gemeinsames Motto zu stellen versucht und in Buchform präsentiert. Doch wie schon beim Buch „Wir Klimawandler” der US-Reporterin Elizabeth Kolbert ergeben die Einzelteile nicht wirklich ein neues Ganzes. Zumindest hätte Rich nach dem großen naturtheoretischen Aufschlag, mit dem er „Die zweite Schöpfung” einleitet, am Ende eine Synthese bieten müssen.

Natürliche Lebensräume und Artenvielfalt fehlen im Buch

Eine solche Zusammenschau hätte darin bestehen können, was er bei seinen umfangreichen Recherchen über das übergreifende Thema gelernt hat; oder Rich hätte diskutieren können, ob die Ergebnisse seiner journalistische Arbeit die wissenschaftliche Hypothese stützt, die Menschheit habe mit ihren zahlreichen Eingriffen eine neue Erdepoche namens Anthropozän eröffnet. Rich überlässt die Deutung aber ganz dem Leser, dem er, wie schon bei „Losing Earth”, leider auch kein Quellenverzeichnis an die Hand gibt.

Wer lebendige und interessante Schilderungen von einigen der wichtigsten Themen an der Schnittstelle von Natur, Kultur und Technologie sucht, wird in diesem Sammelband fündig. Doch es klaffen zwei große Leerstellen: Der menschliche Umgang mit Arten, Biodiversität und Ökosystemen, also die wirklich großen Eingriffe in das, was früher „Natur” hieß, spielen in dem Buch keine Rolle. Und das in der Einleitung avisierte neue Naturbild ergibt sich daraus aber nicht. Das entwertet die Inhalte nicht, hätte aber für eine moderatere Präsentation als „Die zweite Schöpfung” gesprochen.

Nathaniel Rich, Die zweite Schöpfung, Rowohlt Verlag, 2022, 24 Euro

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