Fahrrad-Kunst: Nach Beuys und Duchamp fehlen ausdrucksstarke Protagonisten

Steigende Symbolkraft und radtechnischer Fortschritt schreien nach neuen künstlerischen Stilformen. Ein Plädoyer für laute, innovative „Radkunst“, jenseits von Deko und Design.

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Beuys fährt ii Mountainbike-Stil, gekleidet mit weißem Hemd und dunkler Hose, drei flache Steinstufen hinunter.

Marcel Duchamp (1887–1968) und der bekennende Radfahrer Joseph Beuys (1921–1986) besorgten en passant die Kunstanbindung des Fahrrads. Der eine reüssierte im revolutionären zeitlichen Umfeld des Ersten Weltkriegs; der andere emanzipierte sich künstlerisch in den streitbaren Zeiten der frühen Bundesrepublik. Beide schufen mithilfe des Rads neuartige, für Kontroversen sorgende Kunstformen.

Heute schraubt sich die intrinsische Ausdruckskraft von Radfahren und Fahrrad im Spiegel von Lebensstil, Mobilität und Umweltbewusstsein weiter nach oben. Daran gemessen finden zweirädrige Objekte zu wenig Resonanz in der Kunstwelt. Deswegen lautet die These dieses Beitrags:

In unserer radfahrorientierten Gesellschaft tut mehr künstlerische Einmischung Not.

Denn was wir in der Moderne erfahren durften: Wo immer künstlerisches Schaffen die Einführung, Durchsetzung oder Wiederauferstehung neuer Techniken und Technologien begleitet – sei es gleichsam unterfütternd oder aber kritisierend –, trägt Kunst zu gesellschaftlichen Diskussionen bei. Oder hilft zumindest dabei, solche zu initiieren.

Wo lagen die Anfänge, wo steht Fahrradkunst heute?

Zunächst beschäftigten sich Futuristen und Kubisten eher observierend mit der Dynamik eines Radfahrers oder eines ganzen Radrennens. Wie in diesem Beirtag noch zu sehen sein wird, abstrahierte Marcel Duchamp von einer rein beschreibenden Rezeption des Fahrrads. Künstlerisch zitiert wurde Duchamp von Pablo Picasso, viel später von Ai Weiwei (Forever Bicycles, 2003 – erweitert 2020). Aber es waren vielleicht die post-duchamp’schen, oft an Radteilen reichen Kinetik-Installationen von Jean Tinguely, die als Wegbereiter der heute so inflationären Darstellungen und Variationen des Vehikels Fahrrad fungierten.

Heute verschaffen Suchkombinationen wie Fahrrad+Kunst, bicycle+artoder bicicleta+arte Einblicke in eine nicht endende Bilderwelt. Konjunktur, im Privaten wie auch Kommerziellen, hat das Upcyclingvon Fahrradteilen, gern praktiziert von mechanisch Versierten und Bastlern. Auch zieren frisch restaurierte oder kaum mehr intakte Räder manche Wände, Vorgärten und Vestibüle.

Neben dem Vorderrad eines Fahrrads stapeln sich drei alte Koffer. Der oberste ist geöffnet und ihm entschweben entspeichte Fahrradfelgen gen Decke.
„Ein Koffer voller Ideen“ heißt ein Teil der Rauminstallation, von Ingmar Stolle gezeigt 2021 in Lübeck. Stolle sieht sich selbst als Upcyclist (von eingedeutschten Begriff, der „aufwertendes“ Recycling meint) und Fair-Werter, sprachlich angelehnt ans Verwerten alten Materials.

Was ist Kunst – und was bloß Dekoration?

Aber: Die Mehrzahl solcher Installationen besitzt wenig Strahlkraft. Der Großteil dessen, was heute mit dem Etikett Fahrrad-Kunst ausgezeichnet ist, ist kaum mehr als bloße Dekoration.

Wollte man es noch etwas provokanter formulieren, ließe sich behaupten: Heutige Fahrrad-Kunst verharrt in ihrer teils niedlichen Bildlichkeit und Politik-Harmlosigkeit auf dem Kunstniveau von vor über hundert Jahren – was das Werk Duchamps und dessen inspirierende Wirkung hinein in die Gegenwart keinesfalls schmälern soll.

Nun galten Fahrräder nach ihrer anfänglichen, einst vor allem das Leben der arbeitenden Bevölkerung sowie der Frauen revolutionierenden Zeit, als eher harmlose Vehikel. Aber sind Fahrräder das heute weiterhin? Sind Räder, die heute – nicht in Schwellenländern, aber in vielen Industrienationen – als Symbol gelten für vernünftigen Fortschritt und Klimabewusstsein, für Verkehrswende und „Metropolen-Rettung“ harmlose Gerätschaften?

Schreiten zum Beispiel auch Entwicklungen in der Fahrradtechnologie nicht derart rasant voran, dass im überfordernden Stimmengewirr aus protziger Werbung, klugen Ratgebern und pfiffigen Erfindungen mehr Kunst hörbar werden sollte?

Die Jahre 1913 und 1982

Gleichsam das Tretlager des Plädoyers für mehr unbequeme Fahrrad-Kunst ist ein bestimmtes Werk von Joseph Beuys. Es heißt Is it about a bicycle?, hat vor vierzig Jahren in Italien für Furore gesorgt und wäre zumindest ausschnittsweise heute noch in England zu sehen. Lagerte dieser Ausschnitt nicht in einem Museumsmagazin. Bevor wir später zumindest per Hyperlink einen Blick werfen auf Beuys’ Bicycle, bedarf es einiger Worte dazu, woher Beuys, der als Schlüsselfigur gilt für den Begriff der Sozialen Plastik, seine Inspirationskraft schöpft.

Die heute wie selbstverständlich wirkende Kunstpraxis, Alltagsgegenstände einzusetzen und diese in einen anderen Kontext zu stellen beziehungsweise zu verfremden, geht auf Marcel Duchamp zurück. Anhand vorfabrizierter Objekte befreit Duchamp auch das Rad aus seinem engen (Fahrrad-)Rahmen.

Readymades nennt der einige Jahre in New York lebende, aus der Normandie stammende Franzose seine entfremdeten Gegenstände. Kunst müsse nicht unbedingt erschaffen werden, meint Duchamp, sondern könne auch einfach gefunden, gleichsam aufgegriffen werden – als sogenanntes Objet trouvé.

weißer Hocker, auf dem, kopfunter, eine Fahrradgabel mit zugehöriger unbereifter Felge montiert ist.
Roue de bicyclette, Marcel Duchamp 1913/1964. Eine von mehreren Nachbauten des verloren gegangenen Originals aus dem Jahre 1913 steht derzeit in der „Beuys & Duchamp“-Ausstellung der Kunstmuseen Krefeld, deren Kustodin im zugehörigen Katalog zum Thema „Vehicle Art“ schreibt: „Das Rad verlagert die funktionelle Bewegung in den Akt der Betrachtung von Bewegung und der im Geist sich vollziehenden potenziellen Erzeugung einer anderen (…) Dimension“.

Ohne es wohl zu wollen, wird Duchamp zum Impulsgeber für eine Kunst, die Alltagsgegenstände in den Fokus rückt. 1913 kreiert er mit dem Fahrrad-Rad sein erstes Readymade: ein rein ästhetisches Werk, „ohne künstlerische Gestaltung und damit ohne persönlichen Ausdruck“.

Womöglich ist das Fahrrad-Rad tatsächlich nur für den privaten künstlerischen Gebrauch gedacht gewesen. In einem Interview bekennt er 1966, also mehr als ein halbes Jahrhundert nach „Erschaffung“, oder vielmehr „Findung“ das Fahrrad-Rads, es diene ihm dazu, sich von herkömmlichen Erscheinungsformen von Kunst zu befreien.

Beuys rieb sich an Duchamp

In den 1960er Jahren, also gegen Ende seiner Lebenszeit, erlebten Duchamps Readymades eine Art Wiederentdeckung und mutierten zu wichtigen Impulsgebern für neue Generationen von Kunstschaffenden. Beispiel Beuys: „Keinen anderen Künstler [als Duchamp; Anm. Autor] erwähnt Beuys in Interviews häufiger und kein anderer schien ihn stärker herauszufordern“, sagt Magdalena Holzhey, die mit zwei Kolleginnen die noch bis Ende Januar laufende Beuys-Duchamp-Ausstellung in Krefeld konzipiert hat.

Herausgearbeitet ist darin unter anderem Beuys’ Kritik daran, dass Duchamp sich so gut wie nie öffentlich oder gar politisch äußerte. Beuys fühlte sich zum Ende seiner Schaffensphase sogar zur Behauptung befugt „Duchamp muss sein Werk nicht ganz verstanden haben“.

Diese Beuys-Behauptung wurde posthum ausgegraben von der Kunsthistorikerin Antje von Graevenitz (Essay vermerkt im Kultur-Kompendium). Von Graevenitz stieß in einem Vortrag des Künstlers auch auf den Satz:

Angesichts der bedrängenden Fragen über die Zukunft in der Kunst zu schweigen, ist unsinnig.
Schwarzweiß-Foto mit Beuys im Vordergrund. Im Hintergrund hängt das sogenannte „Schweigen“-Plakat an der Wand.
Joseph Beuys vor dem aufgehängten Resultat seiner Aktion „Das Schweigen von Marcel Duchamp wird überbewertet“, bei der er ein vorgefertigtes Plakat mit Schokolade, Farbe, Filz sowie einem Foto bearbeitete (am 11.12.1964 vom ZDF live aus Düsseldorf übertragen). Zu sehen ist die später über die Städtischen Museen Heilbronn vorgenommene Fotografie in der Krefelder „Beuys & Duchamp“-Ausstellung. Auf einem analogen Foto im Ausstellungskatalog ist per Lupe erkennbar: Das dem Plakat rechts unten zugefügte Foto enthält ein Fahrrad!

Beuys agiert am anderen Ende der Aktivitätsskala. Nicht nur dass der Kriegsfreiwillige wirre Fliegerabschuss-Geschichten und die „Heilung“ vonseiten der Krimtataren verbreitet. Oft und gern äußert er sich zu politischen Themen – versucht sich sogar als Grünen-Kandidat fürs Europaparlament, flankiert 1982 vom peinlich wirkenden Versuch, als gesellschaftskritischer Protestsänger in der ARD-Musiksendung Bananas zu reüssieren.

Beuys kennt kaum Hemmungen, seine Überzeugungen aufs Tapet zu bringen und in die Öffentlichkeit zu tragen. Zum Fahrrad hat er wohl eine spezielle Beziehung, wie schon das Titelbild dieses Beitrags suggeriert.

Die enge künstlerische Bindung ans Genre Fahrrad beginnt laut von Graevenitz in den 1960er Jahren, als Beuys manche Aktionen mit Radfotos ergänzte. In den 1970er Jahren reiste er mehrmals nach Dublin, wo er gemäß von Graevenitz mit einem absurden Werk des Schriftstellers Flann O’Brien bekannt wurde, das unter anderem Fahrräder und Radfahren thematisierte.

Wie die Kunsthistorikerin vermutet, eroberten Radthemen bei Beuys zunehmend mehr geistiges Terrain. Aber auch physisch rücken Fahrräder bei Beuys in den Vordergrund. So sind auf einer Fotografie des Jahres 1978 sogar drei Räder in seinem Atelier zu erblicken: „Dass es sich bei Beuys Atelier trotz Betonboden und Funktionsmobiliar nicht nur um einen Arbeits-, sondern vielmehr um einen Lebensraum handelt, bezeugen auch die (….) Fahrräder – ein bevorzugtes Fortbewegungsmittel des Künstlers“, schreiben Mitarbeiter der Reiss-Engelhorn-Museen (REM) im Mai 2021 zum hundertsten Geburtstag von Beuys.

Im Jahr 1982 äußert sich Beuys auf eine für den Aktionskünstler ungewöhnliche Weise: Er, der sich so gern mit griffigen oder provokanten Statements umgibt und Schwammiges meidet, formulierte eine Frage als Werktitel.

„Is it about a bicycle?“

Um eine mögliche Antwort vorwegzunehmen: Nein, natürlich geht es Beuys nicht ums Fahrrad oder Radfahren, sondern um die Gesellschaft. Was jedoch verbirgt sich hinter dem ominösen englischsprachigen Titel?

Es handelt sich um ein Gemeinschaftswerk, dessen Grundlage Beuys Schüler Johannes Stüttgen liefert. Im Rahmen der documenta 7 hält Stüttgen in einem Zelt vor Kassels Orangerie über 15 Wochen hinweg je ein Seminar über Beuys Werk. Aus diesen Seminaren gehen 15 schwarze Tafeln hervor, gefüllt mit Zusammenfassungen, Bonmots, Skizzen.

Beuys nahm noch einige eigene Inskriptionen vor und legt die 15 Tafeln im Korridor der Düsseldorfer Akademie aus. Wie von Graevenitz über Stüttgen in Erfahrung bringt, hat Beuys „den Besitzer eines roten Herrenrades, das im selben Raum herumgestanden hatte, dazu gebracht, es ihm (…) zu überlassen“.

Ein verstreutes Beuys-Werk – hier zusammengetragen

Mit dem roten Fahrrad, dass auf der dokumentarischen Fotografie (im Besitz der Tate Gallery) zu sehen ist, überfuhr Beuys mehrere Male die Tafeln von Nummer 1 bis 15. Die absichtlichen Verwischungen, verursacht durch die Reifen, ergänzte Beuys durch Spritzer weißer Farbe und Kreidestriche (über obigen Hyperlink ist eine Gardinenstange mit befestigter Kreide zu erkennen).

Ausgestellt wurde das Gesamtwerk (15 Tafeln plus Fahrrad) nicht in Deutschland, sondern in Venedig. Dort jedoch nicht im Rahmen der Biennale, sondern (zeitgleich) in einer venezianischen Kirche. Sammler aus Italien und Frankreich erwarben einzelne oder mehrere Tafeln sowie das Fahrrad. Letzteres stellte 1985 eine Galerie in Paris zusammen mit der vielleicht am wenigsten innovativen Tafel aus.

Denn von den Tafeln, die Beuys unter die Räder genommen hatte, entpuppt sich die Nummer 15 quasi als Werbetafel aus Zeiten der documenta 7, verkündet die 15 doch lapidar „Heute 18 Uhr, hier, Videofilm Joseph Beuys: Die Umwandlung der Zarenkrone in ein Friedenszeichen (anschließend ein Gespräch über diese Aktion und über die 7000 Eichen in Kassel).“

Warum ist Beuys so relevant für die Gegenwart?

Spannender für die Frage nach der Gegenwartsrelevanz von Is it about a bicycle? sind vor allem Tafeln eins bis zehn, die sich 1982 in Europa verstreut haben. Allerdings gibt es ein Buch des Kunstkritikers Bernard Lamarche-Vadel, das Fotografien aller Tafeln sowie ein Interview mit dem Künstler in einem Guss zusammenfügt (siehe Literaturliste im Kultur-Kompendium). Auszüge der ersten zehn Tafeln lauten

Gesamtkunstwerk / In Wirklichkeit bin ich der Neger / Triangel – Turbinengeräusch: Die 2 Elemente. Wo ist Element 3? /Jeder Mensch ist ein Künstler / das neue Prinzip: Kapital = Kreativität = der Mensch / Kunst = Kapital / die Aufgabe: das Kapital muß (kann!) vom Geld befreit werden!

Weiter heißt es auf Tafel 8 bis 10:

der denkende Mensch / Freizeit und Freiräume sind das Gegenteil von Freiheit / die Intelligenz, die benötigt wird, um eine Blutwurst weltberühmt zu machen, ist die Intelligenz der Blutwurst.

Beuys verbindet durch seine Fahrrad-Aktion die Tafeln und damit wesentliche Elemente des Daseins, wie Natur und Kultur, geistiges und wirtschaftliches Kapital. Er setzt die aufgeschriebenen und -gemalten Gedanken förmlich in Bewegung.

Beuys’ Kritik an zu viel „Freizeit und Freiräumen“ kann nahezu prophetisch angesehen werden. Seine Fahrrad-Aktion erfährt im Licht heutiger Klimadiskussionen und -Rechtsprechung eine seinerzeit nicht zu ahnende Relevanz. Man denke nur an die Fridays-for-Future-Bewegung, die häufig ebenfalls in Form von Fahrrad-Aktionen in Erscheinung tritt.

Am linken Bildrand macht sich ein älterer Herr Notizen, der vor einem knallbunten Bild einer Luftbild-Szene von Lübeck steht.
Hausbackene Malerei darüber, wie sich in Lübeck (Holstentor oben rechts) Fridays-for-Future-Aktivisten den Zukunftskurs vorstellen: keine Autos, nur Bahn und Fahrräder – letztere allerdings in sehr bescheidener Ausführung (weiße Markierung unten rechts vom Autor eingefügt). Das Foto entstand am 21. Januar 2022 am Rande einer Kundgebung in der Hansestadt.

Das Besondere am Fahrrad ist, dass es uns Menschen zugleich mit der Erde und der Atmosphäre in Verbindung bringt. Oder, metaphysisch betrachtet, mit der Vergangenheit und der Zukunft. Umso mehr eignen sich Fahrräder und Vehikeln im Allgemeinen, verrät Beuys im Lamarche-Vadel-Interview, gesellschaftliche Probleme zu adressieren.

Heute transportieren Fahrräder mehr denn je politische Lasten, Hoffnungen und, auch dies, Verzweiflung! Räder sind mehr als Vehikel, um dem Alltagstrott und -leiden zu entkommen – hinüber zu den „zweiten Welten“, wie der Philosoph Robert Pfaller sie sieht. Dort dürfen wir uns in gehörigem, manchmal unerhörtem, frechem Abstand zu unserem alltäglichen Leben unter Einsatz diversester Räder unseren Leidenschaften, Träumen und Räuschen widmen.

Der Kunst jedoch obliegt in diesen „Zweiten Welten“ die hehre Aufgabe, als Kristallisationskeim von innergesellschaftlichem Diskurs und dadurch demokratischer Gemeinschaft zu fungieren.

Was lehrt Beuys’ „Bicycle“?

Werke müssen sich nicht nur um sich selbst drehen, sondern dürfen auch eine Methodologie in den Vordergrund stellen, die sich erfassen und über die sich diskutieren lässt. „In Beuys’ Werk steckt immer ein Appell an die Verantwortung jedes Einzelnen“, sagt die Krefelder Sammlungskustodin Magdalena Holzhey.

Im Fall von Beuys tut dabei nichts zur Sache, dass sich Beuys in manchen Aspekten seines Denkens und Tuns von kritischer Warte aus als Scharlatan oder esoterisch verblendeter Phantast bezeichnen lässt. Von Werken und Aktionen, die gemäß von Graevenitz „als Transportmittel, als Vehikel für den Geist“ dienen, darf man unvoreingenommen eine befreiende, eine innovative Kreativität erwarten. Gerade in Zeiten politischer Umbrüche, wie sie Deutschland sich selbst verordnet hat.

Schon Duchamp erkennt: Ein Vehikel eignet sich hervorragend dazu, kreative Gedanken in Bewegung zu setzen.

Duchamps Gedankengebäude sublimiert Beuys in seiner transzendentalen „Vehicle Art“, in der er das Bewegliche und Veränderliche aufgreift und über die eigentlichen Gegenstände selbst hinausweisen lässt. Mit seiner selbst so apostrophierten Methodik einer „anthropologischen Kunst“ liefert Beuys, ohne es ahnen zu können, ein kaum eingesetztes Instrumentarium für unsere erst jüngst begrifflich so eingenordete Epoche: das Anthropozän.

Spannend bleibt, ob und wie sich jetzt wieder mehr Kunstschaffende eines Instrumentariums aus Radfahr-Programmatik und Fahrrad-Technik bedienen, um den gesellschaftlichen Diskurs zu befeuern.

Dieser Beitrag entstand mithilfe das Förderprogramms Neustart Kultur und läuft unter dem Buchstaben K und dem Eintrag „Kunst“ im laufend fortgesetzten Kultur-Kompendium zu Fahrrad und Radfahren, das auch Literatur zum Thema listet.

Praktische Informationen

Anlässlich seines hundertsten Geburtstags weihte Nordrhein-Westfalen 2021 im Rheinland die Radroute Beuys & Bike ein. In Krefeld öffnete gegen Jahresende die Ausstellung „Beuys & Duchamp. Künstler der Zukunft“ ihre Pforten; sie ist bis 30. Januar 2022 im Krefelder Kaiser-Wilhelm-Museum zu sehen – einer der weltweit wenigen Orte, die ein von Joseph Beuys noch selbst eingerichtetes Raumensemble beherbergen. Der hervorragende Ausstellungs-Katalog ist bei Hatje Cantz erschienen und bündelt in tiefgründigen Essays und Beschreibungen die Gemeinsamkeiten der beiden Künstler in Sachen künstlerischer Fragestellungen, Motive und Strategien (Herausgeberinnen: Magdalena Holzhey, Kornelia Röder, Katharina Neuburger).

Sehenswerte Arbeiten aus dem Bereich Fahrrad-Kunst schufen nach Beuys zum Beispiel Andy Warhol, Hannes Langeder und Guy Ben-Ner.

In dem weißen, simplen Fahrgestell des Vehikels strahlen von beiden Achsen jeweils sechs weiße Stäbe aus, an denen – quasi als Reifenersatz – weiße Sportschuhe befestigt sind.
Das „Berg-Veloziped“, eine Auftragsarbeit des Jahres 2000 aus den Museumswerkstätten, entstand auf Basis einer Karikatur, die 1896 in „Fliegende Blätter“ erschien. Das Technoseum apostrophiert die Montainbike-Persiflage nicht als Kunst, sondern als, Zitat Pressestelle, „gestaltendes Element“.