Die documenta fifteen jenseits der Antisemitismus-Debatte: Was gibt es zu sehen?

Eindrücke aus Kassel, wo in der weltweit größten Kunstausstellung kreative Antworten auf gesellschaftliche und ökologische Fragen gesucht werden.

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Zwei Stellwände, die demonstrierende Menschenmassen zeigen, rechts steht eine Besucherin.

Die „documenta fifteen“ setzt sich mit ihrer vom indonesischen Leitungskollektiv ruangrupa entwickelten hierarchielosen Organisationsstruktur markant von ihren Vorläufern ab. Da Gruppen mit politischer Agenda eingeladen wurden, kann es nicht überraschen, dass geschehen ist, was seit der Eröffnung der documenta im Juni die Medien beschäftigt: vereinzelte antisemitische Symbolik sowie eine strukturell israelkritische Haltung, die sich unter anderem dadurch äußert, dass in diesem Konzert der Stimmen die jüdische fehlt. Jenseits dieser beklemmenden Debatte und den darauffolgenden Schuldzuweisungen, wie so etwas in Deutschland passieren konnte, zeigt sich die aktuelle documenta jedoch als faszinierendes Panorama aktueller Fragen aus Ökologie und Gesellschaft. Ein Beitrag über die Chancen und Widersprüche eines weltumspannenden kollektiven Experiments.

Was bleibt nach zwei Tagen Documenta außer müden Beinen und dem Bedauern, nur einen Bruchteil der unzähligen Beiträge gesehen zu haben? Zunächst die Erkenntnis, dass nur ein Teil der über ein Schneeballsystem zur documenta eingeladenen Gruppen, sich so entschieden dem aktiven politischen Kampf verschrieben haben, wie etwa das mit dem Antisemitismus-Vorwurf konfrontierte indonesische Kollektiv Taring Padi. Die zuletzt in den Medien geführte Debatte erweckte den Eindruck, es handle sich bei der documenta um eine vorrangig politische Veranstaltung. Auch muss klargestellt werden, dass die Künstler*innen von Taring Padi keine Antisemiten sind, sondern gegen Unterdrückung und Korruption während des Suharto-Regimes gekämpft haben. Mit kunstvoll gemalten Plakaten, Bannern, und bildhaften Demo-Schildern wollten sie die Bevölkerung zum Widerstand gegen das Regime ermutigen. Sie bedienten sich deshalb gezielt einer volkstümlichen Symbolik, in der es aber unglücklicherweise Korrespondenzen zu antisemitischen Darstellungen gibt.

Das Foto zeigt einen mit Bildern vollgehängten Raum mit zahlreichen Besucher*innen.
Im ehemaligen Hallenbad in Kassel-Bettenhausen sind Arbeiten der indonesischen Gruppe Taring Padi ausgestellt, die im Freiheitskampf gegen das Suharto-Regime entstanden sind.
Das Bild zeigt drei kleine Wandbehänge, in die Foto-Porträts algerischer Frauen eingearbeitet sind.
Eines der im Fridericianum ausgestellten Archive zeigt Dokumente und Objekte der algerischen Frauenbewegung.
Bunte Bilder auf einer weißen Wand.
Die von der Künstlerin als Beitrag zum Feminismus verstandenen Textil-Collagen von Małgorzata Mirga-Tas setzen sich mit der Tradition der Roma auseinander.
Das Bild zeigt ein großes, altes Gebäude mit Säulen und Dreiecksgiebel.
Den digitalen Zähler auf dem Dach des Fridericianums hat der australische Künstler Richard Bell installieren lassen. Er soll anzeigen, wie hoch die Schulden des australischen Staats bei den Aborigines ist.
Das Foto zeigt eine Zeichnung, die eine Fülle von Bezügen zwischen Begriffen verdeutlicht.
Die documenta fifteen versteht sich nicht nur als Ausstellung, sondern auch als Plattform für Debatten zu selbstbestimmten Organisationsformen für Künstler*innen.