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Warum Kinder nicht so schwer an Covid-19 erkranken – und andere ImmunNachrichten
Warum Kinder nicht so schwer an Covid-19 erkranken – und andere wichtige Nachrichten über unsere Körperabwehr
Weitere Themen: wie Eisenmangel den Impfschutz mindert und welche Langzeitfolgen Brandverletzungen für das Immunsystem haben

September 2020 – Jeden Tag spült die biomedizinische Forschung unzählige neue Ergebnisse an den „Wissensstrand“. Einige wichtige Neuigkeiten rund um das Thema „Immunabwehr“ finden Sie in den „Nachrichten aus dem ImmUNIVERSUM“:
Eisenmangel senkt Wirksamkeit von Impfungen – Covid-19: Krankheitslast neu definieren – Covid-19: Erregernachweis im Speichel – Brandverletzung beeinträchtigt Immunabwehr dauerhaft – Covid-19: Impfstoff wirkt gegen alle Virusisolate – Covid-19: der schwierige Weg zur Herdenimmunität – Warum Kinder nicht so schwer an Covid-19 erkranken – Immunsystem im All geschwächt – Phänomen der Interferenz beeinflusst Verlauf von Epidemien;
1. Eisenmangel und Impfungen
Eines von fünf Kindern ist weltweit trotz Impfungen nicht ausreichend vor den jeweiligen Krankheitserregern geschützt. Die Unterversorgung mit wichtigen Nährstoffen könnte eine Ursache dafür sein. In der Studie eines internationalen Forscherteams in Kenia stellte sich heraus, dass der Immunschutz durch Impfungen etwa gegen Keuchhusten, Diphtherie oder die Masern schlechter ausfällt, wenn die Kinder unter einem Eisenmangel leiden. 70 bis 75% der kleinen Kinder in Kenia sind zum Zeitpunkt der Routine-Impfungen blutarm. Säuglinge, die schon früh Eisenpräparate erhalten, reagieren besser auf die Impfungen. Ein Eisenmangel beeinträchtigt offenbar besonders den Arm der Immunabwehr, der für die Produktion von Antikörpern sorgt.
Iron Deficiency Anemia at Time of Vaccination Predicts Decreased Vaccine Response and Iron Supplementation at Time of Vaccination Increases Humoral Vaccine Response: A Birth Cohort Study and a Randomized Trial Follow-Up Study in Kenyan Infants.Front. Immunol., 13 July 2020
2. Covid-19: Krankheitslast neu definieren
Seit Monaten werden wir darüber informiert, wie viele Menschen mit Sars-CoV-2 infiziert sind und wie viele mit oder an dem Virus gestorben sind. Gelegentlich werden zusätzlich Angaben über die Anzahl der „Genesenen“ gemacht. Um die tatsächliche Krankheitslast durch Covid-19 zu erfassen, reiche es nicht aus, allein die Todesfälle zu zählen, schreibt die Epidemiologin Nisreen Alwan im Fachmagazin „The Lancet“. Dringend notwendig sei es auch, genau zu analysieren, wie und bei wie vielen Menschen sich das Leben durch Covid-19 wegen gesundheitlicher Spätfolgen verändert habe.
Unser Wissen über die neue Viruserkrankung ist immer noch begrenzt. Genauso sind die Begriffe, die verwendet werden unscharf. Was zum Beispiel, kritisiert Nisreen Alwan, verstehe man überhaupt unter einer „milden“ Covid-19-Erkrankung? Wer ist genesen? Welche Spätfolgen gibt es, wer bekommt sie und wie lange halten sie an? Und was ist mit all den Menschen, die offensichtlich an Covid-19 erkrankt sind, jedoch offiziell nicht als infiziert gelten bzw. erfasst wurden, weil sie überhaupt nicht oder zu früh bzw. zu spät getestet wurden und der PCR-Nachweis daher negativ ausfiel. Exakte Definitionen und Datenerfassungen sind für die Entwicklung effektive Therapien und Schutzmaßnahmen unerlässlich, mahnt die Epidemiologin.
Surveillance is underestimating the burden of the COVID-19 pandemic. The Lancet 27. August 2020
3. Virusnachweis im Speichel
Forscher der Yale School of Public Health in New Haven haben herausgefunden, dass ein Sars-CoV-2-Virusnachweis mit Hilfe der PCR-Methode im Speichel mindestens genauso empfindlich ist, wie in Proben, die mit Hilfe eines Nasen-Rachen-Abstriches gewonnen wurde. Während des Krankheitsverlaufes scheint die Menge der Virus-RNA im Speichel sogar weniger stark zu schwanken als im Nasen-Rachenraum, falsch-negative Ergebnisse könnten daher seltener auftreten, wenn Speichelproben genutzt würden, vermuten die Yale-Forscher. Ein wichtiger Vorteil der Speichel-Untersuchung außerdem: die Probennahme erfordert keinen direkten körperlichen Kontakt zwischen der Testperson und dem medizinischen Personal.
Saliva or Nasopharyngeal Swab Specimens for Detection of SARS-CoV-2. The New England Journal of Medicine 24. September 2020
4. Brandverletzungen im Kindesalter stören Immunsystem dauerhaft
Menschen, die eine schwere Brandverletzung überlebt haben (jährlich weltweit rund 11 Millionen, WHO Stand 2004) leben danach mit einem erhöhten Risiko für diverse Erkrankungen, darunter Krebs, Diabetes und Infektionen. Warum das so ist, weiß man bisher nicht. Jetzt gibt es Hinweise dafür, dass das Immunsystem entscheidend beteiligt sein könnte.
Laut australischer Wissenschaftler waren die Konzentrationen von Immunbotenstoffen wie dem Tumornekrosefaktor oder einiger Interleukine im Blut von Kindern mehr als drei Jahre nach einer mittelschweren Brandverletzung erhöht. Auf Impfungen reagierten diese Mädchen und Jungen im Vergleich zu Altersgenossen ohne Brandverletzungen schlechter; in ihrem Blut fanden sich deutlich verringerte Antikörperspiegel gegen Tetanus, Diphtherie und Keuchhusten. Ganz offenbar hinterlässt die Brandverletzung einen bleibenden Eindruck bei den Immunzellen, wodurch womöglich die Anfälligkeit für zahlreiche andere Erkrankungen steigt.
Pediatric Burn Survivors Have Long-Term Immune Dysfunction With Diminished Vaccine Response. Front. Immunol., 21 July 2020
5. Covid-19: Wirkt der Impfstoff noch, wenn das Virus mutiert?
Sars-CoV-2 hat sich während seiner weltweiten Ausbreitung genetisch bisher nur minimal verändert. Daher spreche nichts dagegen, dass zukünftig ein einziger Impfstoff einen wirksamen Schutz gegenüber allen bisher kursierenden Virusvarianten auslösen werde, schreiben US-amerikanische Virologen. Sie hatten über 18.000 Sars-CoV-2-Proben, die sein Dezember 2019 gesammelt wurden, genetisch analysiert. Die meisten Mutationen sind selten und tauchen nur in vereinzelten Virusproben auf. Nur sieben Mutationen fanden die Forscher in mehr als 10% der Gensequenzen. Zwei Erbgutveränderungen tauchten in mehr als der Hälfte der Virusisolate auf, darunter eine Mutation (D614G) im Spike-Protein; Viren mit dieser Mutation breiteten sich Ende Januar von China nach Deutschland aus.
Wie sich diese genetische Veränderung auf das Spike-Protein auswirkt, ist wichtig zu untersuchen: Zum einen gelangt das Virus über das Spike-Protein in die Zellen. Zum anderen binden neutralisierende Antikörper an genau dieses Oberflächenprotein der Viren. Die Virologen um Bethany Dearlove geben jedoch Entwarnung: Die Mutation an der Position 614 sitzt zwischen den beiden Untereinheiten des Spike-Proteins und ist für Antikörper schwer zugänglich. Antikörper können beide Spike-Varianten, D und G, neutralisieren. Das Virus verändere sich zurzeit langsamer als es übertragen werde, daher nimmt die Verschiedenartigkeit innerhalb der Viruspopulation eher ab als zu.
A SARS-CoV-2 vaccine candidate would likely match all currently circulating variants. PNAS 31. August 2020
6. Herdenimmunität Sars-CoV-2
Immer wieder wird – mit Blick auf Schweden – der Versuch diskutiert, eine Herdenimmunität in der Bevölkerung gegen Sars-CoV-2 zu erzeugen, ohne die Krankenhauskapazitäten zu überlasten. Doch der Spielraum ist hier äußerst eng. Zu dieser Schlussfolgerung kommen Epidemiologen der University of Georgia nach Simulationen der Sars-CoV-2 Ausbreitung in Großbritannien. Die Maßnahmen des Social Distancing müssten über eine Zeitspanne von Monaten bis Jahren extrem präzise gesteuert werden, damit die Virusausbreitung nicht eskaliert. Das in der Praxis umzusetzen, sei unmöglich, so die Forscher.
Transmission dynamics reveal the impracticality of COVID-19 herd immunity strategies. PNAS 22. September 2020
7. Warum Kinder nicht so schwer an Covid erkranken
Forscher der Standford University haben einige Gründe zusammengetragenen, warum Kinder im allgemeinen nicht so schwer an Covid-19 erkranken, wie Erwachsene. Zu den Faktoren zählen unter anderem: die geringere Anzahl an Virusrezeptoren im kindlichen Atemtrakt, kreuzreaktive Immunität zwischen Sars-CoV-2 und anderen verbreiteten Coronaviren und die im Vergleich zu Erwachsenen verringerte Produktion von Entzündungsstoffen als Antwort des Immunsystems auf die Virusinfektion. Je besser man versteht, warum manche Menschen nach einer Infektion weniger stark erkranken, desto eher lassen sich wirksame therapeutische Maßnahmen für die Schwerkranken entwickeln.
Reduced development of COVID-19 in children reveals molecular checkpoints gating pathogenesis illuminating potential therapeutics. PNAS 3. September 2020
8. Immunsystem und Schwerelosigkeit
Die Arbeitsweise unserer Immunabwehr ist an die Verhältnisse auf der Erde angepasst. In der Schwerelosigkeit funktionieren einige Abwehrzellen nicht so gut. Dazu zählen etwa die Makrophagen (Fresszellen), die sehr schnell nach dem Eindringen von Krankheitserregern in den Körper aktiv werden und diese unschädlich machen. Die Reifung und die Funktion der Makrophagen ist während eines Raumfluges herabgesetzt. Auch andere Immunzellen wie T- und B-Zellen scheinen im All weniger aktiv zu sein – vermutlich wegen bisher unbekannter Veränderungen im Knochenmark, dem Organ, in dem die Immunzellen heranreifen. Die Immunschwäche kann sich für Astronauten, die sich länger im All aufhalten, nachteilig auswirken. Latent im Körper vorhandene, „schlafende“ Viren, wie Herpes-Viren, können aktiviert und den RaumfahrerInnen zu schaffen machen; unter Erdbedingungen eigentlich gutartige mikrobielle Mitbewohner auf der Haut oder den Schleimhäuten gefährlich werden.
To Immunity and Beyond: Exploring the immune system during spaceflight. Immunobites 8. September 2020.
9. Wie sich Viren gegenseitig beeinflussen
Wir haben einen spannen Herbst vor uns. Wie stark wird sich Sars-CoV-2 ausbreiten? Wie werden sich die Hygienemaßnahmen und das Social Distancing auf die Erkältungsklassiker und das Grippevirus auswirken?
Wenn eine Zelle mit einem Virus infiziert ist, schüttet sie Interferon aus. Ein Schutzmechanismus des Körpers, der verhindern soll, dass die gleiche Zelle oder benachbarte Zellen ebenfalls von Viren befallen werden. Dieses Phänomen der Interferenz, das vor über 60 Jahren zum ersten Mal beschrieben wurde, spielt sich nicht nur auf der Ebene von Zellen ab, sondern auch innerhalb eines Menschen oder gar einer Menschengruppe. Wenn jemand sich mit einem Schnupfenvirus angesteckt hat, ist es unwahrscheinlich, dass er gleichzeitig die Grippe bekommt. Ist in der Bevölkerung zu einem bestimmten Zeitpunkt das Schnupfenvirus gerade sehr verbreitet, kann sich die Grippe nicht so gut ausbreiten.
Forscher der Yale University School of Medicine haben herausgefunden, dass die Ausbreitung der Influenza-Pandemie in Europa im Jahr 2009, die „Schweinegrippe“, vermutlich durch die jährlich im Herbst auftretende Schnupfen-Welle unterbrochen wurde. Das Phänomen der Interferenz kann also den Verlauf einer Epidemie oder einer Pandemie stark beeinflussen – die Ausbreitung von Erkältungs- oder Grippeviren also auch die Ansteckungswelle mit Sars-CoV-2 (und umgekehrt) verändern.
Interference between rhinovirus and influenza A virus: a clinical data analysis and experimental infection study. The Lancet Microbe 4. September 2020