Winterblues und Schlafmangel: Warum wir gerade jetzt viel Spazieren gehen sollten

Je kürzer die Tage werden, desto schwächer wird der zentrale Zeitgeber der inneren Uhr des Menschen: das Tageslicht. Gleichzeitig haben wir zum Ende des Jahres oft besonders viel zu tun. Eine gesunde Zeitkultur ist deshalb jetzt besonders wichtig.

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Zwei Spaziergänger gehen auf einem Feldweg an einem Waldrand entlang. Man sieht sie von hinten, Sonnenstrahlen fallen von vorne durch die Bäume.

Fühlen auch Sie sich derzeit überfordert? Die Tage werden kürzer, eine Menge Arbeit muss zum Jahresende noch erledigt werden? Sie schlafen schlecht oder zu wenig? Auch Kleinigkeiten stressen Sie über Gebühr? Was Ihnen helfen könnte, ist eine neue Zeitkultur. Dazu gehört vor allem ein sorgfältiger, biologisch sinnvoller Umgang mit der Zeit. Er sorgt dafür, dass Sie tiefer und erholsamer schlafen und unterstützt Sie nebenbei, körperliche und psychische Anstrengungen besser auszuhalten.

Schon vor fünf Jahren lieferte eine Erhebung der DAK-Gesundheit erschreckende Daten: Vier von fünf Werktätigen in Deutschland klagen demnach über zu wenig oder zu schlechten Schlaf. Am Trend hat sich auch neueren Studien zufolge wenig geändert. Einer der Hauptgründe ist eine falsche Zeitkultur. Unser Umgang mit der kostbaren Ressource Zeit raubt vielen von uns permanent ein Stückchen Schlaf und gefährdet die Gesundheit. Wir leben in einer unausgeschlafenen Gesellschaft.

Es ist mittlerweile ein Luxus geworden, tagsüber einen Spaziergang zu machen und genügend Zeit für Bewegung, soziale Kontakte und eine Lichtdusche zu haben. Mit Lichtdusche ist die intensive Erregung spezieller Lichtsinneszellen des Auges gemeint, die auf Sonnenlicht geeicht sind.

All das ist fatal, denn je kürzer die Tage sind, desto wichtiger wird es, wenigstens ein wenig des auch unter einer dichten Wolkendecke noch kostbaren hellen Lichts abzubekommen. Es synchronisiert unsere innere Rhythmik mit dem realen Wechsel aus Tag und Nacht. Damit sorgt es dafür, dass wir ausreichender, tiefer und erholsamer schlafen.

Dabei wäre es sogar sinnvoll, nicht nur häufiger nach draußen zu gehen, sondern auch noch zur individuell richtigen Zeit. Menschen haben unterschiedliche Chronotypen, sie sind Eulen, Lerchen oder Durchschnittstypen. Licht am Morgen macht uns lerchenhahfter, Licht am Abend verschiebt unseren Rhythmus in Richtung Eule. Je nachdem wie gut unsere Arbeitszeiten oder bei Lernenden die Schulzeiten zu diesen natürlich Aufsteh- und Zubettgehzeiten passen, desto geringer ist etwas, was die Expert*innen „sozialer Jetlag“ nennen. Es ist der Unterschied zwischen dem aufgezwungenen sozialen Rhythmus und dem natürlichen, angeboren Rhythmus der eigenen inneren Uhr. Je größer der soziale Jetlag, desto größer die Gefahr, chronisch zu wenig zu schlafen – und desto heftiger die negativen Auswirkungen der dunklen Jahreszeit.

Die falsche Zeitkultur

Was hilft, ist neben ausgiebigen täglichen Spaziergängen eine allgemeine neue Zeitkultur. Die ganze Gesellschaft würde von einer effektiveren Nutzung der individuellen Chronotypen profitieren. Arbeitgeber sollten ihre Angestellten gemäß dem angeborenen Tempo ihrer inneren Uhren einsetzen: Spätaufsteher – also Eulen – erst ab mittags, Frühaufsteher – also Lerchen – schon ab morgens. Wenn Sie nicht wissen, welchen Chronotyp Sie haben und wie groß Ihr sozialer Jetlag ist, rechne ich beides gerne für Sie persönlich aus.

Die falsche Zeitkultur ist weit verbreitet und macht sich in allen Lebensbereichen bemerkbar: Wir erwarten Höchstleistungen, wenn unser Körper Ruhe erwartet und fahren herunter, wenn wir am leistungsfähigsten sind. Wir essen, wenn unsere Organe fasten wollen und nehmen Medikamente, wenn sie uns mehr schaden als nutzen. Wir suchen das Licht, wenn wir es dunkel brauchen und die Dunkelheit, wenn wir Helligkeit benötigen. Wir ignorieren unser Bedürfnis nach Pausen und Auszeiten.

Kurz: Wir haben verlernt, im Einklang mit der biologischen Taktung zu leben. Dadurch drohen Übergewicht und Krankheit, mangelnde körperliche wie geistige Leistungskraft, hohe Infektanfälligkeit, verringerte Lern-, Reaktions- und Konzentrationsfähigkeit, fehlende Kreativität und Lebensfreude, Reizbarkeit bis hin zur Depression. Nicht umsonst steigt die Häufigkeit von Stoffwechselkrankheiten und psychischen Leiden in unserer Gesellschaft seit geraumer Zeit an.

In der Corona-Pandemie schliefen viele Menschen länger

Die Ursachen für all diese negativen Entwicklungen sind vielfältig. Arbeitszeiten, Schul- und andere Lebensrhythmen diktieren uns ein Leben gegen das biologische Zeitmaß. Kurioserweise schliefen Schüler*innen und ihre Eltern zu Beginn der Coronakrise, als sie mehrheitlich im Homeschooling und Homeoffice waren, sogar mehr als sonst. Sie konnten morgens den Wecker später stellen und eher ausschlafen.

Doch davon ist heute kaum noch etwas übrig. Stattdessen dominieren anhaltende Müdigkeit, zusätzliche Arbeitsbelastung und die Klagen über mangelndes Sonnenlicht. Das ist fatal: Denn chronischer Schlafmangel und aus dem Takt geratene biologische Rhythmen erhöhen im Zusammenspiel mit außerordentlichen Belastungen, die über einen langen Zeitraum hinweg anhalten, das Risiko für psychische Leiden wie ADHS oder Burnout-Syndrom. Und sie erhöhen das Risiko für Diabetes Typ 2, Krebs, Herzinfarkt, Sucht und Schlaflosigkeit.

Die Wissenschaft weiß Rat

Doch es gibt wissenschaftlich fundierte Lösungsansätze. Jede unserer Zellen folgt nämlich der Vorgabe einer eigenen inneren Uhr und stimmt sich mit den Uhren anderer Zellen ab. Letztlich ist der ganze Organismus rhythmisch organisiert. Und er ist zwingend darauf angewiesen, diese inneren Rhythmen mit den Rhythmen der Umwelt abzugleichen.

Fast alle Körperfunktionen folgen einem Tagesrhythmus. Ob es um Hormone, Konzentrationsfähigkeit, Körpertemperatur oder die Arbeit der Verdauungsorgane geht, immer steuern innere Uhren das Geschehen. Der bekannteste biologische Rhythmus ist der sich im Tages- und Nachtablauf wiederholende Zyklus aus Schlaf- und Wachphasen. Deshalb fällt es uns spät abends und nachts wesentlich leichter einzuschlafen als tagsüber.

Die biologische Uhr

Über das Jahr und auch bei Reisen verändern sich die Tageslänge und der Sonnenstand. Damit wir uns daran gewöhnen können und entsprechend flexibel bleiben, benutzt der Körper einen Trick: Die inneren Uhren gehen nur ungefähr richtig. Um sich täglich zu korrigieren, brauchen sie Informationen darüber, wann die Sonne am Himmel steht und wann nicht.

Wenn wir zum Beispiel vor allem morgens und mittags kaum noch ans Tageslicht gehen und dafür bis spät in den Abend auf Computer oder Smartphones blicken, verschieben sich unsere inneren Uhrzeiten. Wir werden jeden Morgen etwas später wach und abends später müde. Und nicht nur das: Wir schlafen nachts auch weniger tief und fühlen uns tagsüber weniger wach.

Tags aktiver werden für einen bessere Nacht

Auch deshalb ist es derzeit so wichtig, sich ausreichend Pausen zu gönnen und jeden Tag noch am Tageslicht spazieren zu gehen oder eine Runde zu joggen oder Fahrrad zu fahren. Dabei bitte keine Sonnenbrille aufsetzen, damit die speziellen Sinneszellen im Auge, die unsere innere Uhr steuern, das Licht überhaupt registrieren können. Das Sonnenlicht stabilisiert gemeinsam mit der körperlichen Aktivität unsere biologischen Rhythmen, sorgt für besseren und tieferen Schlaf und stärkt die Gesundheit. Zur Not hilft auch das zur richtigen Tageszeit eingesetzte kaltweiße Licht aus einer Lichttherapie- oder Tageslichtlampe.

Es empfiehlt sich zudem, Monitore abends herunterzudimmen und die Blautöne herauszufiltern. Denn die inneren Uhren unseres Körpers reagieren auf bläuliches LED-Licht besonders empfindlich – vor allem, wenn sie bereits im Nachtmodus arbeiten. Auf den meisten Smartphones und bei manchen Computern lässt sich das in den Systemeinstellungen oder über eine App einstellen, für andere PCs und Laptops gibt es kostenlose Software, zum Beispiel f.lux.

Leider fehlt es oft an Zeit und Motivation, tagsüber Pausen zu machen und nach draußen zu gehen. Doch wer sich daran hält, wird merken, dass dadurch die Arbeit leichter von der Hand geht und die Stimmung steigt. Wenn sich Schlafdauer und –qualität erhöhen, werden wir nämlich kreativer, freundlicher, schöner und gesünder.

Glauben Sie nicht? Ich versuche, Sie zu überzeugen:

Kreativer werden

Wer ausreichend schläft, ist kreativer, konzentrierter und trifft die besseren Entscheidungen. Denn im Schlaf verarbeitet unser Gehirn die Erfahrungen des Vortages. Es wirft Überflüssiges weg, verstärkt, was wichtig war, knüpft neue Erfahrungen in unseren Bewusstseinsteppich. Klar, dass man anschließend einfach besser und schneller denken kann sowie leichter auf neue Ideen kommt.

Freundlicher werden

Wer kennt sie nicht, die Kolleg*innen, die stets granteln, nichts witzig finden und bei kleinster Kritik abgehen wie einst das „HB-Männchen“ in der Werbung der 1980er-Jahre. Meist sind es jene, die in langweiligen Sitzungen wegnicken, obgleich sie sich selbst mangels menschlichen Sinnesorgans für chronischen Schlafmangel für bestens ausgeschlafen halten.

Ich empfehle als Gegenmittel mehrere Powernappings und kurze Spaziergänge während der Arbeitszeit. Dass man dienstliche Gespräche auch bei einem gemeinsamen Spaziergang im Park erledigen kann, und vor allem auch, wie gut uns das tut, haben wir fast alle während der Corona-Pandemie gelernt. Wer morgens einen Wecker braucht, sollte sich um einen späteren Arbeitsbeginn kümmern. All das wirkt Wunder. Denn Schlafmangel macht reizbar. Ausschlafen macht kooperativ, teamfähig und sanft.

Schöner sein

Im Schlaf schüttet unser Körper Wachstumshormon aus. Das ist nicht umsonst ein beliebtes Dopingmittel unter Spitzensportlern. Es regt die Zellen in vielen Organen zum Teilen an, sorgt für Erneuerung. So hält es uns jung, fit und schön, aber nur, wenn wir auch wirklich genug davon bekommen. Nicht nur Top-Athlet*innen, sondern auch Freizeitsportler sollten also einfach mal ausreichend schlafen. Das steht jedenfalls nicht auf der Dopingliste. Gerade in der dunkeln Jahreszeit ist es deshalb wichtig, tagsüber viel Licht zu tanken, damit der Körper nachts im Gegenzug mehr Wachstumshormon produzieren kann.

Gesünder sein

Anders als die alten Griechen dachten, ist der Schlaf kein kleiner Tod. Er ist genauso vital wie das Wachsein, nur dass wir im Schlaf andere Aufgaben erledigen. Unser Immunsystem bekämpft Infektionen. Der Stoffwechsel findet ins Gleichgewicht. Energiereserven werden abgebaut. Ausgeschlafene Menschen sind durchschnittlich dünner als unausgeschlafene, sie bekommen seltener Infekte, Burnout oder Depressionen und haben ein geringeres Risiko für Volkskrankheiten.

Wann, wenn nicht inmitten einer Pandemie mit ihren vielen zusätzlichen Stress-Faktoren könnten wir diese Eigenschaften besonders gut gebrauchen?

Fazit

Mit vergleichsweise kleinen Maßnahmen verändern wir also unsere Zeitkultur. Auf diesem Weg könnten wir ausgeschlafener, leistungsfähiger und gesünder werden. Je nach Maßnahme betreffen die Auswirkungen uns als Individuen oder die ganze Gesellschaft. Gebündelt habe ich sie in einem Programm zur Zeitgewinnung mit – nicht gegen – die biologische Zeitmessung. Dieser „Wake up!“-Plan, den ich erstmals in meinem Buch „Wake up! Aufbruch in eine ausgeschlafene Gesellschaft“ vorgestellt habe, erklärt, wie wir alle aus der Schlafmangelfalle herausfinden können.

Der Wake-up-Plan für eine neue Zeitkultur

1. Gehen Sie tagsüber nach draußen. Helles Licht stärkt Ihre innere Rhythmik. Das macht Sie am Tag aktiver und leistungsfähiger und lässt Sie nachts besser und tiefer schlafen. Angestellte sollten Anspruch auf kurze Spaziergänge oder Lichtduschen während der Arbeitszeit haben. Tageslichtlampen können in Innenräumen helfen.

2. Meiden Sie spätabends und nachts helles Licht. Zu helle Innenraumbeleuchtung, aber auch der Blick auf den Computermonitor oder das Smartphone zögern den Zeitpunkt des Müdewerdens hinaus und stören den Beginn des Schlafs. Die letzte Stunde vor dem Zubettgehen sollten E-Mail-Lesen und Computerspielen tabu sein.

3. Achten wir mehr auf unseren Chronotyp. Die ganze Gesellschaft würde von einer effektiveren Nutzung der individuellen Chronotypen profitieren. Arbeitgeber sollten ihre Angestellten gemäß dem angeborenen Tempo ihrer inneren Uhren einsetzen: Spätaufsteher erst ab mittags, Frühaufsteher schon ab morgens. Wenn Sie nicht wissen, welchen Chronotyp Sie haben, rechne ich ihn gerne für Sie aus.

4. Weg mit der Sommerzeit! Wir sollten Schlafräuber aller Art konsequent aus unserem Leben verbannen. Späte Krimis im TV, der starke Kaffee nach dem Abendessen, zu viel Alkohol, aber auch zu viele Überstunden oder Öffnungszeiten rund um die Uhr gefährden unseren Schlaf und damit die Leistungsfähigkeit. Volkswirtschaftlich gesehen gehört vor allem die Sommerzeit abgeschafft. Sie raubt rund zwei Dritteln der Bevölkerung für sieben Monate permanent kostbare Schlafenszeit.

5. Denken wir bei Schicht- und Nachtarbeit um. Nachtarbeit darf nur noch erlaubt sein, wenn sie unvermeidbar ist. Schichtpläne sollten an die Chronotypen der Mitarbeiter angepasst werden und nicht mehr rund um die Uhr rotieren.

6. Die Schule muss später beginnen. Jugendliche benötigen mehr Schlaf als Erwachsene und werden aus biologischen Gründen abends spät müde und morgens sehr spät wach. Die Schule sollte deshalb später beginnen: für Grundschüler und die Unterstufe der weiterführenden Schulen nicht vor halb neun, für die Mittelstufe nicht vor neun und für die Oberstufe nicht vor zehn Uhr.

7. Helden machen Pausen. Wir müssen lernen, bei der Arbeit auch mal inne zu halten, abzuschalten, ein Nickerchen oder einen Spaziergang zu machen. Diese Strategie sorgt für gesundes, kreatives Personal, das trotz der Pausen mehr Arbeit mit besserer Qualität erledigt. Vorgesetzte sollten diesen Trend vorleben. Und Unternehmen sollten ihn zum Beispiel mit Powernapping-Seminaren und Ruheräumen unterstützen.

8. Essen wir regelmäßig. Drei große Mahlzeiten täglich, meist zur gleichen Zeit unterstützen die innere Rhythmik, halten schlank, leistungsfähig und gesund – und helfen vielleicht sogar beim Schlafen. Sport ist vor allem tagsüber erlaubt, bei Problemen mit dem morgendlichen Aufstehen am ehesten vormittags.

9. Helfen wir Eltern. Kaum jemand kann so wenig schlafen und muss so viel leisten, wie Eltern von Säuglingen und kleinen Kindern. Die Gesellschaft sollte sich vermehrt darum kümmern, diese Gruppe zu entlasten.

Buch zum Thema

Peter Spork: Wake up! Aufbruch in eine ausgeschlafene Gesellschaft. Hanser, München 2014.

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