Von Alzheimer bis Corona: Wann nützt ein medizinischer Test Patienten wie viel?

Zur Sicherheit lieber mehr Diagnostik: Klingt überzeugend, bringt aber manchmal neue Probleme. Und oft kommt die Frage zu kurz: Was haben Patienten tatsächlich davon?

vom Recherche-Kollektiv Plan G:
5 Minuten
Auf einem Tablet sind verschiedene medizinische Testergebnisse zu sehen. Daneben liegt ein Stethoskop.

Wie aussagekräftig ist das Ergebnis eines Corona-Schnelltests bei Menschen ohne Symptome? Was bringt älteren Personen eine Alzheimer-Frühdiagnostik? Und wie lässt sich der Nutzen von medizinischen Tests und Untersuchungen überhaupt belegen?

Um solche Fragen ging es beim diesjährigen Herbstsymposium des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) unter dem Titel: „Diagnostik: Warum genau nicht genug ist“.

Die Idee, so Institutsleiter Jürgen Windeler: „Diagnostik ist kein Selbstzweck“. Es stehe eigentlich immer die Frage dahinter, was danach kommt – also zum Beispiel eine Behandlung für die erkannte Krankheit.

Frühdiagnostik von Alzheimer: Nützlich, sinnlos oder sogar schädlich?

Wenn wirksame Therapien aber fehlen, lässt sich darüber streiten, wie nötig und sinnvoll eine Untersuchung ist, um eine Krankheit zu diagnostizieren. Wie komplex die Argumente dabei sein können, beleuchtete Elmar Gräßel, Professor für medizinische Psychologie und Demenz-Forscher an der Universität Erlangen am Beispiel der Frühdiagnostik von Alzheimer-Demenz.

Frühdiagnostik werde dabei zum einen in einer präklinischen Phase angeboten, wenn Menschen noch keine Symptome haben. Zum anderen aber auch bei leichten kognitiven Einschränkungen, die aber nicht die Kriterien einer Alzheimer-Demenz erfüllen, oder auch dann, wenn Patient:innen subjektiv den Eindruck haben, ihre Gedächtnisleistung hätte sich verschlechtert. Für die Frühdiagnostik werden unterschiedliche Untersuchungen eingesetzt, etwa kognitive Tests, bestimmte Biomarker im Blut oder im Hirnwasser oder bildgebende Verfahren wie etwa Magnetresonanztomografie (MRT).

Allerdings ließe die Genauigkeit bisher zu wünschen übrig, die Verfahren eigneten sich also wegen der niedrigen Sensitivität und Spezifität eher schlecht, um zuverlässig die Entwicklung einer Alzheimer-Demenz vorherzusagen oder auszuschließen. Dazu trage auch bei, dass nicht alle Betroffenen mit Symptomen einer Alzheimer-Demenz entsprechende Biomarker wie Ablagerungen im Gehirn aufwiesen und umgekehrt. Eine leichte kognitive Einschränkung entwickelt sich auch nicht immer zu einer Alzheimer-Demenz.

Noch gravierender sei es allerdings, dass es bisher keine wirksamen Behandlungen, egal ob mit oder ohne Medikamente, gebe, um das Fortschreiten der Erkrankung in einem sehr frühen Stadium aufzuhalten. Bei einer bestehenden Demenz können Arzneimittel oder andere Behandlungen lediglich die Symptome leicht lindern oder etwas verzögern. Hinzu komme, dass das „frühe Wissen“ die Betroffenen stark emotional belasten könne bis hin zum Wunsch nach Suizid. Mit der Diagnose Alzheimer sei immer noch oft eine Stigmatisierung verbunden, die sich bei früh Erkrankten im Berufsleben auswirken könne.

Andererseits hätten Betroffene mit einer frühen Diagnose die Möglichkeit, ihre Versorgung und rechtlichen Angelegenheiten wie Testament oder Betreuung noch selbstbestimmt zu regeln. Das sei in einem fortgeschrittenen Stadium der Krankheit rechtlich schwierig bis unmöglich. Angehörige könnten sich frühzeitig auf die Situation einstellen und sich Unterstützung suchen. Wenn eine Ursache für Beschwerden gefunden würde, könne das auch entlastend sein. Schließlich könnten früh diagnostizierte Betroffene auch an klinischen Studien zu Therapien teilnehmen.

Die Frage der Frühdiagnostik bei Alzheimer-Demenz sei schließlich eine Gratwanderung zwischen dem „right to know“ (Recht auf Wissen) und dem „right not to know“ (Recht auf Nichtwissen), so Gräßel, über die Betroffene ausreichende Aufklärung vor den Untersuchungen bräuchten.

Corona: Wie genau sind Schnelltests?

Wie der Kontext die Aussagekraft medizinischer Tests beeinflussen kann, beleuchtete Jörg Meerpohl von der Cochrane Deutschland Stiftung am Beispiel der Antigen-Tests auf SARS-CoV-2.

So finden sich in den Beipackzetteln der Selbsttests zwar Angaben zur Genauigkeit der Tests im Hinblick auf Sensitivität und Spezifität, allerdings keine Hinweise, wie diese genau ermittelt wurden. Das sei aber schon deshalb relevant, weil sich die Viruslast in verschiedenen Krankheitsphasen deutlich unterscheide. So sei eine Infektion mit SARS-CoV-2 kurz nach der Ansteckung, wenn noch keine Symptome bestehen, mit Schnelltests oft noch nicht nachweisbar.

Deshalb seien Studien zur Genauigkeit unter Alltagsbedingungen wichtig. Meerpohl verwies auf einen Cochrane-Review, demzufolge sich die Sensitivität der Tests deutlich unterscheidet, je nachdem ob Menschen mit oder ohne Symptome getestet werden oder wie lange die Beschwerden bereits bestehen. Selbst bei Menschen mit Symptomen sei die Mindestanforderung der Weltgesundheitsorganisation WHO nach einer Sensitivität von mindestens 80 Prozent nur von wenigen der untersuchten Tests erfüllt. Bei Menschen ohne Symptome liege sie oft weit darunter.

Sinnvoll seien außerdem nicht nur Studien zur Genauigkeit der Tests selbst, sondern randomisierte kontrollierte Studien zu den Auswirkungen von Teststrategien. Denn sonst lasse sich nicht feststellen, welche Auswirkungen etwa regelmäßige Tests in Schulen hätten. Das sei aber wichtig, wenn Folgen wie schnelle Ergebnisse und eine mögliche Verringerung des Infektionsgeschehens mit unnötig versäumtem Unterricht wegen falsch-positiver Schnelltests oder den finanziellen Kosten gegeneinander abgewogen werden müssen. Allerdings seien aussagekräftige Studien zu möglichen Teststrategien komplex und deshalb schwierig durchzuführen – also nicht verwunderlich, dass es solche Studien kaum gebe.

Diagnostik: Welche Studien sind nötig?

Manchmal lautet die Frage nicht „Testen oder nicht?“, sondern „Welcher Test soll genutzt werden?“. Um den patientenrelevanten Nutzen verschiedener diagnostischer Methoden zu vergleichen, brauche es in vielen Situationen randomisierte kontrollierte Studien, unterstrich Sandra Janatzek vom Medizinischen Dienst (Bund). Denn die Frage sei in der Regel, ob Betroffene länger leben, weniger beeinträchtigt sind oder eine bessere Lebensqualität haben, wenn die eine oder andere Diagnostik genutzt werde, um Therapieentscheidungen zu leiten.

Wie die Studien genau aussehen müssen, hänge von der speziellen Fragestellung ab: Soll etwa ein neuer Test einen alten ersetzen, weil er genauer ist? Soll ein Test Patient:innen vorsortieren, um einigen von ihnen ein etabliertes, aber belastendes Diagnoseverfahren zu ersparen? Oder eine bestehende Diagnostik ergänzen, um die Diagnose genauer zu machen? Je nach Situation sind dann unterschiedliche Studien-Designs nötig.

Was aber tun, wenn solche aussagekräftigen Studien fehlen? Antonia Zapf, Biometrikerin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf beleuchtete Möglichkeiten und Grenzen des linked evidence approach: Dabei verbinden Fachleute Bausteine aus verschiedenen Datenquellen, etwa aus Untersuchungen zur Krankheitshäufigkeit, Studien zur Testgüte, also Sensitivität und Spezifität, oder dem Nutzen von Behandlungen, zu einer „Evidenz-Kette“. Allerdings müssen dafür bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Wenn das nicht gegeben ist, resultiere eine große Unsicherheit.

Medizinische Tests: Viel Wildwuchs bei IGeL

Ein Blick in den medizinischen Alltag macht klar: Es gibt sehr unterschiedliche Anlässe für Tests und Untersuchungen. Dazu gehört etwa die Abklärung von Beschwerden. Dass aber oft mehr Tests nicht mehr Informationen für Behandlungsentscheidungen liefern, zeigte IQWiG-Chef Windeler mit Verweis auf die internationale Choosing-Wisely-Kampagne. Im Rahmen von Choosing Wisely entwickeln medizinische Fachleute Empfehlungen zu unnötigen Untersuchungen oder Behandlungen. So sei etwa bei unkomplizierten Rückenschmerzen ein Röntgenbild in der Regel überflüssig.

Windeler beklagte aber auch den Wildwuchs von anlassloser Diagnostik, die nicht bei Beschwerden durchgeführt wird, sondern bei symptomfreien Menschen. So seien etwa 75 Prozent der angebotenen individuellen Gesundheitsleistungen (IgeL) diagnostische Maßnahmen, die allermeisten ohne medizinischen Anlass. Für viele sei ein Nutzen nicht gesichert, manche auch regelrecht absurd wie ein „Covid-Präventions-Check“. Die meisten angebotenen Früherkennungsuntersuchungen mit Computer-Tomografie seien darüber hinaus illegal, da nicht für diesen Zweck zugelassen. Windeler sprach sich deshalb dafür aus, IGeL zukünftig stärker als bisher zu regulieren.

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