„Wenn die Fahrer Pause machen und der LKW lädt, dann passt das schon.“

Waren von A nach B zu transportieren, das muss in Zukunft möglichst ohne Treibhausgas-Emissionen und trotz zunehmender Wetterextreme funktionieren. Teil 3 unserer Serie #BetriebsKlima

vom Recherche-Kollektiv Klima & Wandel:
22 Minuten
Ein junger Mann in blauer Winterjacke steht vor einer weißen Zugmaschine an einer Ladesäule

Für die Logistik-Branche bedeuten Klimawandel und Klimaschutz vor allem, elektrische Lastwagen oder Lastenräder in ihren Arbeitsalltag zu integrieren. Sich außerdem an schnell zunehmende, akute Extremwetter-Ereignisse wie Starkregen, Überschwemmungen und Stürme anzupassen, nimmt das Transport-Gewerbe dagegen bisher weniger ernst – womöglich leiden die Betriebe noch nicht genug darunter. Teil 3 unserer Serie #BetriebsKlima

Der Elektrotrucker ist wieder auf Sendung. Er filmt seine Arbeit auf Landstraßen und Autobahnen, auf Rastplätzen und an Verladerampen. Die Kamera läuft, wenn er vor Tagesanbruch seinen Lkw vom Hof der Spedition holt, wenn er ihn nach Dienstschluss abstellt und bevor er auf einer mehrtägigen Tour abends in seine Koje im Fahrerhaus kriecht – alles landet dann auf seinem Kanal bei Youtube. Tobias Wagner heißt der Elektrotrucker im realen Leben, und in seinen Filmen klingt er oft so begeistert von seiner Arbeit, als hätte er sich einen Kindheitstraum erfüllt.

Das mit dem Traum stimmt tatsächlich, wie er im ersten Video seiner Serie erklärt. Aber Wagner ist keinesfalls auf geradem Wege auf den Beruf Fernfahrer zugesteuert. Vorher gründete er noch unter anderem ein Start-Up-Unternehmen für Ladesäulen. Den Lkw-Führerschein hat er dann gemacht und sich einen Job gesucht, weil Elektro-Lkw, wie er sagt „das nächste große Ding“ werden. Aber ein Kindheitstraum war es eher nicht, denn in Wagners Kindheit sprach man noch vom Brummi, wenn man die 40-Tonner in ein halbwegs freundliches Licht rücken wollte. Die Zugmaschinen für Sattelzüge, die Wagner jetzt mit Begeisterung fährt, brummen aber nicht. Sie surren.

Wo bei anderen Lastwagen ein großer Dieselmotor dröhnt, arbeitet in seinem Volvo oder Iveco ein Elektroaggregat. Wo sich die Bremsen konventioneller LKW auf Gefällestrecken aufheizen, weil zig Tonnen Fracht im Rücken bergab schieben, speist im E-Lkw der Motor die überschüssige Energie wie ein Dynamo zurück in den Akku. Und statt der Tanks für den Treibstoff und das Zusatzmittel AdBlue für den Dieselfilter hängen am Fahrgestell zwischen den Achsen gewaltige Batterien mit Kapazitäten von 500 Kilowattstunden und mehr. Einen Auspuff gibt es nicht, die Luft bleibt also so sauber, wie sie war. Der Elektrotrucker testet mit seiner Arbeit die Eigenheiten, Vorteile und Grenzen der Elektro-Trucks.

Die Energie für den Transport von Fracht in Batterien statt in Tanks zu speichern, ist nur eine der Veränderungen, die durch Klimawandel und Energiewende auf die Welt der Logistik zukommen (mit grünem Wasserstoff zu fahren, halten viele Expert:innen auf absehbare Zeit für unrealistisch). Die Branche versucht damit, wie mit vielen anderen Maßnahmen, ihren Klima-Fußabdruck zu verringern und die Erderhitzung aufzuhalten. Angesichts praktisch ungebremst steigender Emissionen in den vergangenen Jahrzehnten sehen sich die Firmen inzwischen aber auch dem Zwang gesetzlicher Maßnahmen wie CO2-Abgaben auf Treibstoffe und Berichtspflichten für Nachhaltigkeit gegenüber.

Gleichzeitig müssen sich die Unternehmen und ihre Beschäftigten an die bereits bemerkbaren und unvermeidlichen Folgen der Klimakrise anpassen und sich davor schützen. Das gilt sowohl für sichere Arbeitsbedingungen als auch für die Geschäftsmodelle und Profitabilität der Unternehmen, von denen wiederum die Sicherheit der Arbeitsplätze abhängt. „Auch wir haben in den vergangenen Jahren die Auswirkungen von Extremwetterereignissen zu spüren bekommen. Starkregen, Stürme und Überschwemmungen haben teilweise unsere Lieferketten beeinträchtigt“, erklärt Kathrin Caro Pulido, die beim Lebensmittel-Logistik-Konzern Transgourmet Deutschland für die Nachhaltigkeit zuständig ist. „Diese Erfahrungen haben uns noch stärker sensibilisiert und verdeutlichen, wie wichtig Klimaschutzmaßnahmen sind, um langfristig die Widerstandsfähigkeit unseres Unternehmens zu sichern.“

Schon seit mehr als zehn Jahren warnen Fachleute davor, dass zunehmende Extremwetter die Verkehrsinfrastruktur treffen werden. Die Risikokarten für eine extreme Sturmflut in Hamburg zeigen zum Beispiel, wie bei einem solchen „Jahrhundertereignis“ weite Bereiche südlich der Elbe überflutet würden, darunter Hafenanlagen, aber auch die Elbinsel Wilhelmsburg mit ihren Gewerbegebieten und den dort angesiedelten Logistikfirmen (und etwa 55.000 Einwohnern). Beide Autobahnen aus Süden, die A1 Richtung Elbbrücken und die A7 Richtung Elbtunnel, würden dann durch Überschwemmungsgebiete führen und stünden laut Karte teilweise unter Wasser.

In einem Arbeitspapier des Umweltbundesamts von 2013 heißt es dazu: „Für Logistik und Supply Chain entstehen die wesentlichen Herausforderungen des Klimawandels durch zukünftig veränderte Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit von Transportinfrastruktur, welche zu Verzögerungen und Ausfällen in Logistikprozessen führen kann.“ Mittelbar kann aber auch die europäische Klimapolitik die Branche stark beeinflussen. Eine Studie der Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers (PwC) von 2020 spricht darum die veränderten wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen an: „Neben den physischen Gefahren führen insbesondere auch regulatorische Entwicklungen, neue Technologien sowie Markt- und Kundenanforderungen zu tiefgreifenden Veränderungen.“ Wer versäume, seine Arbeitsweise rechtzeitig zu ändern, setze bis zu 20 Prozent seiner Gewinnmarge aufs Spiel. Das betrifft nach Zahlen des Bundesverbands Logistik eine Branche mit etwa drei Millionen Beschäftigen in Deutschland und einem Jahresumsatz von mehr als 300 Milliarden Euro.

Die Logistik hat darum – wie eigentlich alle Teile der Wirtschaft und Arbeitswelt – zwei wichtige, gleichzeitig zu bewältigende Aufgaben: einerseits nicht weiter zum Fortschreiten der Klimakrise beizutragen, andererseits die eigenen Arbeitsprozesse und Beschäftigten vor eben diesem Fortschreiten zu schützen. Dieser Recherche zufolge stellt sich das Transport-Gewerbe bisher aber trotz aller Warnungen nur der ersten mit Engagement. Und schon das erfordert innerhalb der Branche und Betriebe verstärkte Kommunikation über Ideen, Initiativen und Vorbilder. Neben dem vom Elektrotrucker genutzten Medium YouTube werden auch ungewöhnliche Kommunikationsmittel wie Planspiele, Podcasts oder ein Kinderbuch eine Rolle in diesem Artikel spielen, aber natürlich auch die Gespräche in den Betrieben zwischen Kollegen und Kolleginnen sowie mit ihren Vorgesetzten.

Logistik steht vor einer radikalen Trendwende

Das Kinderbuch als Kommunikationsmittel geht auf eine Idee von Moritz Petersen zurück, der an der Kühne Logistics University (KLU) in Hamburg zu nachhaltiger Logistik forscht und lehrt (Meine Welt der Logistik, Bachem Verlag). Es ist ein Wimmelbuch ohne Text, die Seiten sind aus dickem Karton und die Illustrationen so groß, dass die Zielgruppe im Kindergartenalter sich strecken muss, um ihren Eltern die immer wieder auftauchenden Papierflieger, Teddybären oder Windradflügel zu zeigen.

„Ursprünglich war das Buch für meine Kinder gedacht, auch wenn die schon zu groß waren, als es fertig wurde“, sagt Petersen. Eltern in der Branche könnten damit ihrem Nachwuchs zeigen, was sie eigentlich beruflich machen. „Aber gleichzeitig“, ergänzt er, „findet man darin auch einige der Ideen zur Nachhaltigkeit in der Logistik.“ Es ist die stark verdichtete Version einer nahen Zukunft, in der Digitalisierung und die Nutzung erneuerbarer Energiequellen schon weit fortgeschritten sind.

Für die künftige Kreislaufwirtschaft wird effiziente Logistik zu einem Schlüsselfaktor: sie muss ganz andere Herausforderungen bewältigen als heute. Die Branche hat noch nicht ganz verstanden, dass das wichtig ist.

Moritz Petersen, Kühne Logistics University Hamburg

„Richtig auffallen tut Logistik eigentlich nur dann, wenn etwas nicht funktioniert“, ergänzt der Hamburger Professor. Doch für eine nachhaltige Ökonomie, die sich auf eine Kreislaufwirtschaft und das immer häufigere Recyclen und Wiederbenutzen von Ressourcen zubewegt, sei effiziente Logistik ein Schlüsselfaktor, die ganz andere Herausforderungen bewältigen muss als heute. „Die Branche hat noch nicht ganz verstanden, dass das wichtig ist.“

Fachleute sprechen inzwischen von einer radikalen Trendwende, die der Branche bevorsteht. „Mit reinen Effizienzsteigerungen ohne Verkehrsverlagerung und den Übergang zu alternativen Antrieben und Kraftstoffen ist diese nicht zu bewältigen“, so die Einschätzung von Nicole Röttmer von PwC Deutschland. Daher ist das Austesten eines alternativen Antriebs für LKW, dem sich der Elektrotrucker Tobias Wagner widmet, tatsächlich Pionierarbeit. Etliche der neuen Routinen, Handgriffe und Begriffe, die er sich erarbeitet, dürften bald zum Alltag der Fernfahrer gehören (der Frauen-Anteil in dem Beruf liegt übrigens bei drei Prozent).

Um die elektrischen Trucks zu fördern, setzt der Bund die Maut aus

Für Wagners Chef Nanno Janssen, Besitzer der gleichnamigen Spedition in Leer, sind die Elektro-LKW schon gesetzt als Zukunft seines Betriebs. Er hat – auch aufgrund von Förderzusagen – nicht nur einen Ladepark auf dem Hof und Photovoltaik auf dem Dach installiert, sondern auch gleich 20 E-Laster in verschiedenen Größen bestellt. Innerhalb der kommenden drei Jahre will er fast seinen ganzen Fuhrpark von 60 Fahrzeugen auf Batteriebetrieb umstellen. Das rechnet sich für ihn vor allem, weil die LKW-Maut von zurzeit 36 Cent pro Kilometer wegfällt. Und wenn der Strom weniger als 40 Cent pro Kilowattstunde kostet, fahren die Sattelzüge auch preiswerter als mit Diesel. Große Hindernisse im Einsatz sieht er nicht. „Die Fahrzeuge sind absolut fernverkehrstauglich, das hätte ich vor einem Vierteljahr auch nicht gedacht“, sagt Janssen. Inzwischen zeige sich nämlich, dass eher die Lenk- und Ruhezeiten der begrenzende Faktor sind, nicht die Reichweite der Trucks. „Wenn die Fahrer Pause machen und der LKW lädt, dann passt das schon.“

Seine Leute seien bis auf den Quereinsteiger Tobias Wagner anfangs eher skeptisch gewesen. „Aber wenn die mal 14 Tage drin saßen, dann geben die den Elektro-LKW nicht mehr her.“ Janssen hat inzwischen auch trotz allgemeinem Fahrermangel neue Mitarbeiter gefunden, die von Konkurrenz-Unternehmen zu ihm wechselten, eben weil sie elektrisch fahren wollten. „Das hat schon einen Schub in der Mitarbeiterschaft ausgelöst, und alle gehen mit.“ Dazu trägt natürlich bei, dass der Elektrotrucker nicht nur in seinen Videos seine Geschichten erzählt, sondern auch in der Firma im direkten Gespräch die Fragen der Kollegen beantwortet.

Die Fahrzeuge sind absolut fernverkehrstauglich. Wenn die Fahrer mal 14 Tage drin saßen, dann geben sie den Elektro-LKW nicht mehr her.

Nanno Janssen, Spediteur in Leer

Derart in die Kommunikation und die Entwicklungsperspektiven des Unternehmens eingebunden zu sein, steigert die Motivation und Zufriedenheit der Mitarbeiter. Eine Studie aus Bayern, die Berufskraftfahrer in Nah- und Lieferverkehr zum Thema hatte, bestätigt einmal mehr diese an sich nicht sonderlich überraschende These. „Aufrichtig und ehrlich miteinander zu sprechen, hilft auf jeden Fall, damit das Wohlbefinden besser ist“, sagt Nicole Lubecki-Weschke vom Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen in Nürnberg über ihr Projekt Leitfahr3. In die Abläufe eingebunden und informiert könnten die Männer und Frauen am Lenkrad zum Beispiel neue Assistenz-Systeme, die zum energie-effizienten Bremsen und Gasgeben animieren, als hilfreich und nicht als Gängelung empfinden: „Die Fahrer wissen um den Klimawandel und die Rolle der Emissionen und wollen nicht als die ‚Bösen‘ gelten.“

Elektro-LKW können vermutlich noch mehr zu einem gewandelten Image und Selbstbild ihrer Fahrer beitragen. Angesichts des allgemeinen Fachkräftemangels, der auch die Logistik betrifft, müssen die Fahrer wenig Sorgen haben, ihren Job zu verlieren – auch wenn sie sich an Versuchen beteiligen, andere Transportmittel als ihre gewohnten LKW einzusetzen. Eine Initiative wäre, Teile der Transporte von der Straße auf die Schiene zu verlegen, im sogenannten Kombiverkehr. Ein Beispiel dafür ist der Autozulieferer Schaeffler, der regelmäßig Getriebeteile und Antriebskomponenten von einem Werk in Baden zu einem anderen Standort in Ungarn verschickt. In einem erfolgreichen Pilotversuch, den die Fachzeitschrift trans aktuell mit angestoßen hat, werden die Auflieger der Sattelschlepper jetzt auf dem Großteil der Strecke per Frachtzug transportiert. LKW, teilweise auch bereits mit Elektromotoren und Batterien, übernehmen nur noch die Anfangs- und Endstrecken zwischen den Werken und den Bahnhöfen.

Lastenräder ersetzen Autos im innerstädtischen Lieferdienst – und sind besser

Auf kurzen Strecken könnte im Prinzip auch der Umstieg auf kleinere Fahrzeuge mit weniger Rädern helfen, den unter anderem der Textil-Dienstleister Mewa erprobt. Das Unternehmen hat sogenannte City-Hubs in den Innenstädten von Berlin und Hamburg angelegt, von denen aus die frisch gewaschene Mietkleidung etwa für Hotels oder Handel nicht mehr per Kleinlaster, sondern per Lastenrad transportiert wird. Darüber hat 2022 der damals zuständige Manager Kay Simon ausführlich in einer Episode des Podcasts „Das Gleiche in Grün“ berichtet, in dem der KLU-Professor Moritz Petersen Nachhaltigkeits-Initiativen in der Logistik-Branche vorstellt (siehe Kasten).

Dafür hat Mewa eine Fläche im Parkhaus des Einkaufszentrums Mall of Berlin nicht weit vom Potsdamer Platz gemietet. Hier wird die Wäsche von der Wäscherei am Stadtrand angeliefert und dann auf elektrische Lastenräder umgeladen. „Wir haben in Berlin gelernt, dass wir die gleiche Menge, die wir bisher mit einem 5,5-Tonnen-Sprinter transportieren, auch mit dem Lastenrad transportieren können“, erzählte Simon. „Natürlich müssen wir immer wieder ins Hub zurückkommen und dort nachladen.“ Die Lastenräder kämen in der City aber oft schneller ans Ziel, auch das Parken sei viel einfacher. Eine intelligente Tourenplanung minimiere die Fahrzeiten, und der planmäßige Austausch von Reserve-Akkus unterwegs verleihe den Rädern praktisch unbegrenzte Reichweite. Laut Mewa soll das Konzept 2025 auf weitere Städte übertragen werden.

Ein ähnliches System mit Mikrodepots und Lastenrädern als Ergänzung zu batteriebetrieben Kleinlastern baut zurzeit auch der Paketdienstleister Hermes in etlichen deutschen Städten auf. Bis Ende 2025 soll die Logistik in insgesamt 80 Kommunen ohne lokalen Ausstoß von CO2 funktionieren; Zweiräder sind dort Teil des Konzepts, wo die Bedingungen passen. „Wir hören von vielen Zustellern, dass die gar nicht mehr vom Rad in ein Auto zurückwollen“, erklärt Florian Abel, der als Nachhaltigkeitsbeauftragter in einer Stabstelle der Geschäftsführung arbeitet. „Es gibt so viele positive Eigenschaften im Verkehr, im Stau, beim Parken. Außerdem sind die Räder angenehm zu fahren, und die Kollegen bekommen viel positiven Zuspruch von den Kunden, oder sogar einfach auf der Straße.“

Abels Arbeitgeber, Hermes Germany, gehört zur Otto-Group und wickelt darum unter anderem die Bestellungen des Online-Versandhauses ab. Wie der Mutterkonzern hat sich Hermes darum feste Nachhaltigkeitsziele gegeben. Und das Unternehmen muss aufgrund einer EU-Richtlinie, meist nach dem englischen Begriff CSRD (Corporate Sustainability Reporting Directive) genannt, ab dem 2025 beginnenden Geschäftsjahr regelmäßig über den Einfluss der eigenen Geschäftstätigkeit etwa auf das Klima oder die Artenvielfalt berichten. Diese Reports müssen zusammen mit dem wirtschaftlichen Jahresabschluss zertifiziert werden; viele Unternehmen arbeiten daher gerade daran, die nötigen Zahlen zusammen zu bekommen und dabei ein System zu entwickeln, damit das in Zukunft routinemäßig und reibungslos funktioniert.

Klimaschutz in der Logistik ja, Klimaanpassung eher nicht?

Über ihre Bemühungen, Treibhausgas-Emissionen und andere schädliche Einflüsse auf die Umwelt zu reduzieren, sprechen vielen Unternehmen mit Stolz. Da ist es verblüffend, dass eine konkrete Vorbereitung auf akute Extremwetterereignisse kaum eine Rolle spielt oder dass die Firmen einfach nicht darüber reden möchten. Dabei gehört die Auseinandersetzung mit den Folgen etwa von Starkregen und Stürmen laut der erwähnten Studie der Unternehmensberater von PwC zu einer ganzheitlichen Strategie, bei der Unternehmen den eigenen Einfluss auf den Klimawandel genauso analysieren wie die Risiken, die daraus für das Geschäftsmodell und den Betrieb resultieren – um beide dann möglichst zu senken. In der Begrifflichkeit der Berichterstattung über Nachhaltigkeit heißt das „doppelte Wesentlichkeitsanalyse“. Sie betrifft vordergründig die Wirtschaftlichkeit der Firmen, aber indirekt auch die Arbeitswelt ihrer Beschäftigten.

In einem Mittelgebirgstal fährt ein Sattelschlepper durch eine Wasserfläche. Das Wasser reicht fast bis zu den Achsen und spritzt vorne bis über die Scheinwerfer. Neben dem LKW erkennt man die Leitplanke der Straße, im Hintergrund schauen Fahrradfahrer zu, die noch auf Asphalt stehen.
Lastwagen können mit ihren großen Reifen und hohen Achsen auch manche überschwemmten Straßen befahren – wie hier 2024 bei einem Hochwasser an der Mosel auf der B50. Aber Gefahren bleiben: Der Fahrer sieht womöglich Senken oder Löcher nicht. Ein- und Aussteigen könnte ebenfalls ein Risiko bedeuten. Und den oft engen Zeitplan kann die Spedition in jedem Fall vergessen.

In der Realität aber sind für viele Unternehmen Extremwetter-Ereignisse nur eine weitere Ursache für Verzögerungen neben Baustellen, Verkehrsunfällen, maroden Brücken, Streiks, Pandemien oder nicht zu beeinflussenden Ereignissen in weit entfernten Regionen – etwa wenn der Suezkanal wegen eines querliegenden Containerschiffs oder nach Angriffen jemenitischer Rebellen nicht zu nutzen ist.

Dabei herrscht oft ein Fokus auf Vergangenheit und Gegenwart vor; die Zukunft, in der der Faktor Klimawandelfolgen deutlich wachsen dürfte, spielt noch keine große Rolle. Auf die Frage, warum sich Unternehmen nicht stärker auf Extremwetterereignisse vorbereiten, folgt zum Beispiel oft der Hinweis, man könne ja auch bisher schon mit schlechtem Wetter umgehen. In der Tat: Wenn zum Beispiel ein Lieferdienst vor Weihnachten den jährlichen Höhepunkt im Paketvolumen hat, muss der Betrieb auch für viel Regen, Schnee und Wind gewappnet sein. Allerdings haben Extremwetter-Ereignisse wie die Ahrflut 2021, die Sturmflut an der Ostseeküste im Herbst 2023 und die Überschwemmungen im Saarland und anderen Regionen im Frühjahr 2024 doch ganz andere Größenordnungen als ein früher Wintereinbruch.

Offenbar sprechen viele Unternehmen ungern über Extremwetter, zumindest öffentlich oder mit der Presse. Womöglich sorgen sie sich, bei Geschäftspartnern könne der Eindruck entstehen, die Firma könne ihre angebotenen Leistungen im Zweifel nicht hundertprozentig erfüllen.

Dass sich der Blick meist noch nicht in die Zukunft richtet, zeigt sich auch bei Gefährdungsbeurteilungen im Rahmen des Arbeitsschutzes, in denen mögliche Risiken für Beschäftigte vermerkt werden (siehe auch Teil 1 dieser Serie). Die Frage, ob darin Starkregen, Überschwemmungen oder Stürme eine Rolle spielen, beantworten Pressestellen mit Sätzen wie diesem: „Im Zuge unserer Gefährdungsbeurteilungen setzen wir uns mit aktuell, also konkret auftretenden Gefährdungen auseinander und ergreifen geeignete Maßnahmen.“ Das bedeutet, der jeweilige Arbeitgeber setzt sich mit den Erfahrungen auseinander, welche äußeren Umstände heute die Beschäftigten betreffen, aber berücksichtigt noch nicht die Erwartungen dessen, was ihnen demnächst passieren dürfte.

Damit Arbeitgeber dieses wichtige Instrument im Arbeitsschutz weiterentwickeln und nicht nur als lästige Pflicht betrachten und mit minimalem Aufwand abarbeiten, vernetzt die Gewerkschaft Verdi die Betriebsräte verschiedener Unternehmen der Branche, damit die sich über Ideen, Argumente und Erfolge austauschen können.

Hinzu kommt, dass offenbar viele Firmen ungern über Extremwetter sprechen, zumindest öffentlich oder mit der Presse. Ungewöhnlich viele Firmen wimmelten Anfragen mit dem Verweis auf „Terminschwierigkeiten“ ab, andere ließen jeweils mehrfache Kontaktversuche unbeantwortet. Die Sorge der Unternehmen ist womöglich, dass in ihrem geschäftlichen Umfeld der Eindruck entsteht, die Firma könne ihre angebotenen Leistungen im Zweifel nicht zu einhundert Prozent erfüllen. So gerät die Beschäftigung mit Extremwettergefahren immer stärker unter eine Art Tabu und wird zum Betriebsgeheimnis, während nach außen eine womöglich falsche Gewissheit vermittelt wird.

Es gibt allerdings auch Beispiele, bei denen mögliche Behinderungen im Verkehrsfluss, die bei Extremwetter auftreten können, offen angesprochen und durch Veränderungen der Infrastruktur abgefangen werden. Zum Beispiel an der Rader Hochbrücke, die an der A7 über den Nord-Ostsee-Kanal führt. Damit sie nicht mehr so oft bei starkem Wind für LKW gesperrt werden muss, bekommt der momentan errichtete Neubau auf Druck der Logistik-Branche drei Meter hohe Windschutzwände.

Grundsätzlich sollte Vorsorge – der öffentlichen Hand wie der Firmen – die LKW-Fahrer davor bewahren, in überschwemmte Gebiete zu geraten oder mitten in einen Sturm. Oder in einem viel häufigeren Falle davor, dass Verzögerungen den Routenplan zur Makulatur machen, und unerwartete Stopps erzwingen, weil die erlaubte Lenkzeit abläuft, bevor das Ziel erreicht ist. In diesem Fall riskiert der Fahrer bei einer Kontrolle erhebliche Strafen, wenn er trotzdem weiterfährt. Lösen muss solche Probleme dann die sogenannte Disposition, also die Abteilung, die Transportaufträge den einzelnen Fahrern und Sattelzügen zuordnet. Aber bisher, sagt Ralf Fiedler vom Fraunhofer-Center für maritime Logistik, „sind der Klimawandel und Extremwettereignisse in ihrer täglichen Bedeutung für die Disposition vernachlässigbar“. Es ist einfach sonst zu viel los.

In der Logistikbranche, ergänzt Moritz Petersen von der Logistik-Uni in Hamburg, betrachteten sich viele der Verantwortlichen, die Routen planen oder Ressourcen disponieren, „als Feuerwehrleute: Dass es Aussetzer im System gibt, ist für sie eher die Regel als die Ausnahme.“ Eine Quelle von Problemen mehr oder weniger bringt sie nicht dazu, ihre ganze Arbeitsweise zu überdenken.

Aber auch hier zeigt sich: Der Blick richtet sich vor allem auf die Erfahrungen der – auch jüngsten – Vergangenheit. Und nicht auf begründete Erwartungen, was die Zukunft bringt.

Hinweis: Die Artikelserie ist zunächst bei Klimafakten erschienen im Rahmen einer Projektkooperation mit der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG), koordiniert vom Centre for Planetary Health Policy (CPHP). Das Projekt „Arbeit Sicher und Gesund“ wurde dabei vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales finanziert. Diese Artikel wurden unter redaktioneller Unabhängigkeit recherchiert und verfasst. Die inhaltliche Verantwortung trug allein Klimafakten. Der Text spiegelt die Haltung des Autors wider.

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