Kommt das Paket bald per Straßenbahn?

Logistikexpert:innen aus Praxis und Forschung testen die emissionsfreie Zustellung im Zentrum per Straßenbahn und Cargobike

vom Recherche-Kollektiv Busy Streets:
6 Minuten
Ein Lastenrad-Container steht im Eingangsbereich einer Straßenbahn, deren Türen geöffnet sind

Immer mehr Menschen ziehen in die Städte. 2050 sollen etwa 68 Prozent der Weltbevölkerung in den Zentren leben. Mit ihrer Zahl wächst auch der tägliche Bedarf an Gütern und Lebensmitteln. Verkehrsplaner:innen und Logistikexpert:innen suchen deshalb nach Alternativen und Ergänzungen zu den bestehenden Zustellkonzepten. Eine davon ist die Gütertram. Sie fungiert in den Innenstädten als Bindeglied zwischen Lkw und E-Lastenrad. In Hessen und Baden-Württemberg gab und gibt es dazu bereits verschiedene Pilotprojekte. Laut einem Whitepaper des Berliner Cargobike-Herstellers Onomotion und der Frankfurter University of Applied Science ist die Kombination aus Lkw, Tram und E-Transportrad günstiger als die Zustellung per Diesel-Transporter und reduziert zudem noch die Emissionen.

„Zwei Drittel bis 80 Prozent der innerstädtischen Lieferung könnten in Frankfurt am Main mit dieser drei stufigen Lieferkette zugestellt werden“, sagt Kai-Oliver Schocke. Er ist Professor im Forschungslabor für Urbane Logistik an der Frankfurt University of Applied Sciences und Mitherausgeber des Whitepapers „Intermodale Logistikkette im urbanen Raum – Wie der Einsatz standardisierter Container die letzte Meile optimiert“. Schocke ist auf diesem Gebiet einer der Vordenker in Deutschland. Bereits 2019 hat er im Rahmen eines Pilotprojekts mit dem Logistikunternehmen Hermes die Zustellung von Paketen im Stadtzentrum per Straßenbahn und Cargobike getestet.

Kai-Oliver Schocke hat kurze dunkelbraune Haare, eine dunkle Brille und trägt einen Anzug und eine Krawatte
Kai-Oliver Schocke ist Professor im Forschungslabor für Urbane Logistik an der Frankfurt University of Applied Sciences

Auf den ersten Blick wirkt der Einsatz von Straßenbahnen für den Warentransport wie ein Revival. Lange Zeit war es selbstverständlich, Post und Güter über die Schiene in die Zentren zu bringen. In Hannover, Stuttgart und Wuppertal wurden bis in die 1960er-Jahre Kohle, Lebensmittel und andere Produkte auf diesem Weg in die Innenstadt transportiert. Anfang des 21. Jahrhunderts hat der Autohersteller Volkswagen in Dresden sogar eine eigene Gütertram installiert, um seine „gläserne Manufaktur“ mit Fahrzeugteilen zu beliefern. Die klimafreundliche Zustellung war damals die Voraussetzung für die Ansiedlung des Werks mitten im Stadtzentrum. Als die Produktion vor ein paar Jahren umgestellt wurde, war die Tram nicht mehr ausgelastet und sie wurde Ende 2020 eingestellt.

„Die Containisierung der City-Logistik startet jetzt“, sagt Professor Schocke

Damit die Verbindung reibungslos funktioniert, müssen allerdings bestimmte Bedingungen erfüllt sein. Entscheidend ist der Einsatz standardisierter Behälter. „Die Onomotion-Container haben Europaletten-Breite“, sagt Schocke. Dieser Standard, die Witterungsbeständigkeit des Behälters und die Rollen am Boden machen den schnellen Wechsel vom Lkw in die Tram und dann aufs Lastenrad überhaupt erst möglich.

„Die Containisierung der City-Logistik startet jetzt“, sagt der Professor. In der Praxis sieht die dreistufige Lieferkette so aus: Die vorsortierten Container werden per Lastwagen vom Depot am Stadtrand zur Endhaltestelle der Straßenbahn gebracht. Dort verstaut ein Mitarbeiter die rund 23 Container in die Tram. Dafür hat er etwa 15 Minuten Zeit. Anschließend begleitet er die Gütertram auf ihrer Fahrt durch die Stadt und entlädt einzelne Container an den Haltestellen im Zustellgebiet. „Das dauert maximal drei Minuten“, sagt Schocke. Damit der straffe Zeitplan überhaupt eingehalten werden kann, müssen die Haltestellen barrierefrei ausgebaut sein. An den einzelnen Stationen nehmen die Cargobike-Fahrerïnnen die Container direkt in Empfang oder sie werden in sogenannten Mikrodepots zwischengelagert. Das können Lagerräume sein, aber ebenso abschließbare Gitterboxen wie man sie von Flughäfen kennt. Von dort schwärmen die Fahrerïnnen aus und verteilen die Waren in einem Radius von etwa zwei Kilometern.

Der Container des Lastenrads befindet sich hinter dem Fahrradsattel. Das Lastenrad hat einen Witterungsschutz, das den Fahrer vor Nässe von vorn und von oben schützt. Auch auf Fußhöhe gibt es einen Rundumschutz vor Nässe
Die Container sind in der Regel an die Standardmaße einer Europalette angepasst
Der Container befindet sich hinter dem Fahrradsattel
Die Verkleidung schützt den oder die Fahrerin vor Regen von oben und von vorn. Allerdings fehlt der Rund-um Nässeschutz für die Füße
Allerdings gibt es für die Verbindung zum Fahrzeug momentan noch sehr individuelle Lösungen
Das Lastenrad hat eine geschlossene Fahrerkabine ohne Seitenfenster. Der Transportcontainer befindet sich im Heck des Fahrzeugs
Beim Lastenrad Onomotion ist das Fassungsvermögen der Transportbox beispielsweise besonders groß
Die Illustration zeigt eine Straßenbahn ohne Sitze
Zweitverwertung: Ausrangierte Straßenbahnen könnten in Gütertrams umgebaut werden