Per Rad durch alle Bundesländer: Von Ossis in Mecklenburg und Fischen aus der Elbe
Kapitel 2 aus "Zwei Räder, ein Land", dem Deutschlandbuch des RadelndenReporters
Die Provinz macht unser Land aus, in dem nur ein Drittel der Bevölkerung in Großstädten lebt! Jenseits der Metropolen bin ich per Rad durch Deutschland getourt, staune im Norden über ein Ehepaar, das alte Apfelsorten rettet; im Süden, wie ein Rentner über Deutschland wettert. Nach Etappen im Westen glaube ich nicht länger, dass alle Schüler*innen jüngste deutsche Geschichte ignorieren; nach Etappen im Osten, dass nach der Einheit alles schief lief. Erlebnisse und Gespräche meiner 2451 Kilometer langen Fahrt durch alle Bundesländer habe ich aufgeschrieben in "Zwei Räder, ein Land". Das Buch erscheint Kapitel für Kapitel in meinem Projekt RiffReporter.de/Deutschland. Bereits erschienen: Kapitel 1 Milch und Miseren in Holstein.
16 Länder per Rad, Kapitel 2:
Blüten der Ostalgie in Mecklenburg
Zweiter Fahrtag: ›Heimat bewahren‹ begrüßt mich ein AfD-Plakat am Rande Boizenburgs. DDR-Heimat wird von der AfD wohl nicht gemeint sein. Dabei bietet Boizenburg den sogenannten Ostalgikern zwei anschauliche Objekte. Das eine ist essbar und schmeckt lecker. Im anderen Objekt kann man essen, aber es wirkt völlig geschmacklos. Aber der Reihe nach.
Von Leisterförde nach Boizenburg sind es zwanzig flache Kilometer, gesäumt von Wald und bespielt vom Bach namens Boize. Im Gegensatz zu Berlin bietet das Städtchen Frühstücksgarantie: ›Handwerksbäckerei‹ weist im Zentrum ein Schild in die Königstraße. Fünf Minuten später stehe ich, noch ohne Frühstück, bei Thomas Stenschke in der Backstube.

Stenschke holt aus einem großen Plastikeimer sein liebstes Kind: den Teig aus dem er ›Ossis‹ macht. »Drinnen steckt eine ganz besondere Zutat« schmunzelt der 53-Jährige »und das ist Zeit«. Stenschke setzt abends einen Vorteig an, den er frühmorgens ein zweites Mal durchknetet. Täglich bäckt er an die hundert jener Doppelbrötchen, die er an der Straße als ›DDR-Brötchen‹ bewirbt, die im Laden aber einfach ›Ossis‹ heißen und deren Korb auch so beschriftet ist. Wie reagieren die Menschen in Boizenburg auf Stenschkes ›Ossis‹? »Beschwert oder gemeckert hat niemand« sagt der Bäcker. »Das hat sicher auch damit zu tun, dass ich von hier stamme. Meine Oma übernahm den Laden vor dem Krieg.« Zu DDR-Zeiten übernahm Stenschkes Vater. Der buk nach der Wende weiter DDR-Brötchen, aber jedes Jahr nur einmal: zum einstigen ›Tag der Republik‹. Politischen Hintergrund dafür gab es keinen, sagt Stenschke. »Das war ein reiner Werbegag.« Seit Oktober 2015 bietet der Bäcker seine ›Ossis‹ nun täglich in der Königstraße feil.
Als ich mich nach ›Ossi‹-Lehrgang und -Frühstück verabschiede, lasse ich mir für 60 Cent eines der aromatisch duftenden Doppelbrötchen einpacken. Wenn es nicht bis zur Nordsee dümpelte, wurde das Brötchen vielleicht von einem Schwan oder einem Fisch gefuttert, und das kam so:
Ich fuhr raus aus Mecklenburg – Brücke über die Elbe – holprige Holzbohlen am Geländer – Brötchentüte nicht sicher verzurrt auf dem Packsack – ›Ossi‹ hopst in die Elbe.
Noch ist es nicht so weit mit mir, noch habe ich mein Brötchen und bin in Boizenburg. Am Ortsausgang gab es zu DDR-Zeiten eine Kontrollstelle, sieben Kilometer vor dem finalen Grenzzaun. Heute heißt der Flachbau ›Checkpoint Harry‹. Ein Harry S. kaufte ihn nach der Wende und baute ihn als Imbiss, Gaststätte, Partyservice aus. Neben dem Eingang prangt mannshoch ein Fliesenmosaik an der Wand. Es zeigt einen lächelnden DDR-Grenzer, winkend, mit glänzenden Schaftstiefeln, in der Rechten hält er ein halbvolles Gläschen mit rotem Sekt.

FORTSETZUNG unterhalb BUCH-COVER
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Per Rad durch alle Bundesländer
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Abstecher ins Apfelparadies im südlichsten Teil Hamburgs (Foto)
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