Kleiner Weinbaubetrieb etabliert sich in Schleswig-Holstein

Der Klimawandel begünstigt den Anbau von Trauben im nördlichsten Bundesland. Das Keltern hilft manchen Höfen zu überleben.

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Von fern herangezoomter, sattgrüner Weinberg, umstanden von Bäumen.

Frust und Feierlaune liegen nah beieinander auf Höfen in der Holsteinischen Schweiz. Im Weiler Bergfeld sorgt sich ein traditioneller 290-Hektar-Hof um seine Existenz. Zehn Radkilometer westlich, im Dorf Malkwitz, dürfen dagegen Hofbetreiber anstoßen auf den wirtschaftlichen Erfolg der letzten dreißig Jahre.

Zuprosten können sich die Menschen vom Ingenhof mit hauseigenem Secco, der deutschen Prosecco-Variante. Der Hof stellte vor knapp dreißig Jahren zunächst einen Teil des Ackerlands auf Erdbeeren um, dann kamen Ferienwohnungen hinzu und seit 2009 gehört Weinbau zum Portfolio des 300-Hektar-Hofs.

Zwei Perl- sowie je fünf Rot- und Weißweine keltert Inhaberin Melanie Engel mit Lebenspartner Karsten Wulf und dem Hofteam. Der Ingenhof betreibt den nördlichsten Weinbaubetrieb Deutschlands, der eigene Trauben nicht nur anbaut, sondern auch vergärt und abfüllt. Und dies in einer Gegend mit feuchten, langen und grauen Wintern und Sommern, die manchmal nach Herbst schmecken.

Schon 2009 wurde das nördlichste Bundesland Schleswig-Holstein Weinland – noch vor Niedersachsen, das diesen Titel erst 2016 errang. Wie kam es dazu und warum könnte Malkwitz sozusagen die Schmalspur-Variante von Montalcino in einer Art norddeutscher Toskana werden?

Kurzinterview: Weinbau-Rechte vom Rhein

Drei Fragen an Stefanie Sandersen, der „rechten Hand“ von Gutsinhaberin Melanie Engel.

RadelnderReporter (RR): Was bewog den Ingenhof, mitten in Schleswig-Holstein, auf etwa gleichem Breitengrad etwa wie das russische Ufa oder das nordirische Belfast, mit Weinbau zu beginnen?

Stefanie Sandersen: Wir haben einen Ackerhang mit 35 Grad Neigung und Südausrichtung, der sich nur schwer mit herkömmlichem Gerät bewirtschaften lässt. Vor zwölf Jahren, als wir rätselten, was wir mit dem Feld anstellen, wurde publik, dass Schleswig-Holstein die Wein-Rechte für einige Hektar Rebenanbau von Rheinland-Pfalz übernommen hatte.

Wir bekamen den Zuschlag für 3 Hektar.

Wir bewarben uns in einem komplexen, teuren Verfahren, mit verschiedenen Gutachten, zum Beispiel zum Klima und zum Boden – der wegen der Gesteinsanteile gut Wärme speichert. Wir bekamen den Zuschlag für 3 Hektar. Inzwischen sind es knapp 8 Hektar.

RR: Welche Rebsorten bauen Sie an?

Sandersen: Wir haben vor allem pilzresistente, früh reifende Sorten, wie zum Beispiel Solaris, Regent und Cabernet Cortis. Die letzten beiden sind Rotweinsorten, Solaris ist weiß – ebenso wie Muscaris, Souvignier Gris und Sauvitage. Daraus machen wir Landweine sowie einen Secco. Dieser Perlwein besitzt etwas weniger Kohlensäure als Sekt.

RR: Wie beurteilen Sie die Wein-Perspektiven unter dem Gesichtspunkt des Klimawandels?

Sandersen: Zehn Weinjahrgänge sind zu wenig, um auf einen sicheren Trend zu verweisen, zumal bei uns die klimatischen Verhältnisse jedes Jahr teils extrem variieren. Gemünzt auf unser Metier, scheint uns hier in Holstein eine Klimaerwärmung in die Karten zu spielen. Was nicht heißt, dass das Grund zu purer Freude ist. Zunehmende Dürren, mehr Stürme und steigende Meeresspiegel machen mir Sorgen, die schwerer wiegen als jeder wirtschaftliche Profit.

Die Klimaerwärmung spielt uns in die Karten.

Das Pendant zum Rhein (in Deutschlands einzigem Bundesland mit „Weinbau-Ministerium“) ist in der Holsteinischen Schweiz die Schwentine. Sie entspringt am höchsten Massiv Schleswig-Holsteins, das auf dem Bungsberg die stolze Höhe von 168 Metern über dem Meer erreicht, und speist unterhalb von Malkwitz und Bergfeld mehrere Seen.

Neben der Inschrift „Ingenhof“ prangt eine stilisierte Traube. Im Hintergrund ragt ein Schild auf mit der Aufschrift „Ferien auf dem Ingenhof“.
Ziseliert vor wenigen Jahren neben hundertjährigen Flechten: goldene Traube am Findling, der Besucher des Ingenhofs begrüßt.
An gespannten Drähten rankt sich eine Rebe entlang, aus der vor kurzem die ersten Blätter gesprossen sind.
Mit erntereifen Beeren im September: Rebstöcke im Demo-Feld neben dem Hof. Die „echten“ Weinhänge liegen knapp zwei Kilometer entfernt.
An der Straße ruht eine übermannshohe Schlauchtrommel. Sie ist grün gestrichen, mit alten farbigen Kinderstiefeln dekoriert und trägt die Aufschrift „Landleben – leben & leben lassen“.
Doppeldeutiger Aufruf in Bergfeld/Kasseedorf, inmitten der Holsteinischen Schweiz: Gefährdet sind die Bauernkinder (durch den Verkehr) sowie die Existenz des Agrarbetriebs an sich (durch den Kostendruck).

Friedrichsens Kolleg·inn·en zehn Kilometer weiter westlich auf dem Ingenhof machen nach vielen schweren Jahren endlich Profit. Doch das hängt Inhaberin Melanie Engel ungern an die große Glocke. Sie fühlt sich weiter in einem Boot mit den Bauern und Bäuerinnen auf dem Land zwischen Ost- und Nordsee. Zumal zu Engels Ingenhof nach wie vor traditioneller Ackerbau gehört.

Agrarwesen hat Schlagseite

Seit 2010 haben Landwirtschaftsbetriebe in Deutschland um 12 Prozent abgenommen. In Schleswig-Holstein schrumpfte die Zahl im gleichen Zeitraum sogar um 13,5 Prozent. Derzeit werden im nördlichsten Bundesland knapp 1 Million Hektar Land bewirtschaftet, etwas mehr als zum Beispiel in Sachsen, das rund 1,2-mal so groß ist wie Schleswig-Holstein. Die meisten Landwirtschaftsflächen besitzt nach wie vor Deutschlands größtes Land, Bayern (gut 3 Millionen Hektar).

Auftrieb für Hofläden

Dort gibt es auch die meisten Bio-Hofläden. Deren Zahl nahm nach Angaben der Agrarmarkt Informations-Gesellschaft (AMI) binnen zwei Jahren um 1.126 zu und belief sich Ende 2019 auf 2.948. Neben Wochenmärkten, die vielleicht auch nach der Corona-Pandemie ihre zurückgewonnene Wertschätzung und den verstärkten Zulauf behalten, könnten Hofläden laut AMI für manche Agrarbetriebe zum Rettungsanker werden, sodass der zunehmende Effizienz- und Kostendruck weniger Höfe „fortspült“. Trotz des markanten Höfesterbens in Schleswig-Holstein entstehen auch hier zahlreiche Hofläden. Deren Anzahl verdoppelte sich nahezu im Zeitraum 2017 bis 2019.