Michoacán bis Mittelmeer: Explodierender Avocado-Anbau setzt trockenen Gegenden weiter zu

Warum ich diesen Winter eine Alternative zu Discount-Avocados aus Mexiko suchte und Crowdfarmer wurde.

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Ansammlung weißer Häuser mit roten Dächern inmitten einer bergigen, grün durchsetzten Mittelmeerlandschaft.

Schätzen gelernt habe ich das Hinterland der südspanischen Costa Tropical vor zehn Jahren auf dem Rad, als ich für ein Magazin Routen recherchierte. Liebend gern würde ich die exotische Gegend zwischen Málaga und Almería bald wieder mit dem Fahrrad durchstreifen. Wann das überhaupt möglich ist, hängt von der Entwicklung der Pandemie ab. Glücklicherweise kam die Costa Tropical kürzlich zu mir, und das hat mit einer Frucht zu tun, die bei mir und vielen anderen Menschen immer häufiger auf dem Speiseplan steht: Es geht um Avocados, diese eiförmig-cremig-grünen Geschöpfe der Natur, die im Salat, auf Brot oder in tausend anderen Zubereitungsformen köstlich schmecken. Und obendrein die Gesundheit fördern.

Leider gibt es ein Problem: Die meisten Avocados werden unter ökologisch prekären Bedingungen angebaut.

Deshalb wurde ich hellhörig, als ich über soziale Medien erfuhr, dass sich zwei Avocadobauern vom Küstenstreifen südlich Granadas einer spanischen Initiative für Direktvermarktung angeschlossen hatten. Die beiden warben um Unterstützerinnen und Unterstützer, um Menschen, die es ihnen ermöglichen, Avocados umweltschonender anzubauen als üblich.

Crowdfarming heißt das Prinzip

Konsument·innen ordern vorab Produkte, so dass deren Anbau vorfinanziert ist und die Bauern nicht im Risiko leben, auf hohen Investitionen für eine umweltfreundlichere Landwirtschaft und auf verderblicher Ware sitzen zu bleiben. Die Idee entstand auf einer Plantage für Orangen in Spaniens Osten; nach und nach kamen andere Obstbauern dazu, wie jetzt die beiden Landwirte aus Andalusien.

Die neuen Anbieter werben mit nachhaltiger Landwirtschaft. Das macht mich neugierig, denn seit einiger Zeit plagt mich ausgeprägte Avocado-Scham: Herkömmlich gehandelte Früchte kaufe ich nur mit schlechtem Gewissen, seit ich von den ökologischen Folgen des ausufernden Avocado-Booms erfuhr.

Anbaukurve wird immer steiler

Wertvolle Fettsäuren und viel B-Vitamin zeichnen Avocados aus. Da ich immer weniger Lebensmittel tierischen Ursprungs kaufe, spricht mich das sehr an. Mein persönlicher Avocado-Konsum beschreibt annähernd dieselbe Kurve wie die des globalen Anbaus. 1979, ich war zwölf Jahre alt und bekam meine erste, privat von den Kanaren eingeflogene Avocado vorgesetzt, ernteten Pflücker aller Länder noch 1,5 Millionen Tonnen von den Bäumen. Vierzig Jahre später, im Jahr 2019, waren es der Welternährungsorganisation FAO zufolge 7,2 Millionen Tonnen.

Zwei verschiedene Avocado-Sorten in Nahaufnahme einer Fruchtauslage.
Typische Supermarkt-Auslage: Avocados aus Übersee. Noch dominieren im Winterhalbjahr Früchte aus Chile (Foto). Diesen könnten Avocados aus Mexiko bald schon den Rang ablaufen – mit womöglich schwer wiegenden Folgen für die Umwelt Mittelamerikas (siehe unten im Text).

Der weltweite Trend hat fatale Folgen, weil die Bäume so viel Wasser benötigen – im globalen Durchschnitt knapp das Sechsfache von beispielsweise Tomaten, wie die ZEIT vor einigen Jahren recherchierte: Rund 1.000 Liter Wasser verstoffwechseln Avocadopflanzen für ein Kilogramm Früchte. Zum Vergleich: Die auch nicht eben genügsamen Tomatenpflanzen schlucken rund 130 Liter Wasser pro Kilogramm Frucht. Das wäre in Regionen mit ausreichend Wasser kein Problem. Doch Avocados gedeihen nicht in gemäßigtem Klima. Sie werden in Regionen angebaut, die bereits zu trocken sind und durch die Klimakrise noch trockener zu werden drohen. Jeder zusätzliche Wasserverbrauch ist in solchen Gegenden gefährlich.

Das einzige exportierende EU-Land

Obwohl viele Regionen immer mehr austrocknen, ist kein Wendepunkt in der „Avocado-Kurve“ in Sicht. So steht es im Fachmagazin EuroChoices vom 13. Dezember 2020. Darin rechnen gemeinsam ein Ökologe und ein auf Ernährung spezialisierter Wirtschaftsexperte für den Zeitraum zwischen 2017 bis 2027 mit einer jährlichen Produktionssteigerung weltweit um 6,2 Prozent pro Jahr. Binnen einer Dekade würden dann fast dreieinhalb mal so viele Avocados produziert: Statt 6,2 Millionen Tonnen im Jahr 2017 also knapp 22 Millionen Tonnen zehn Jahre später. Die Experten richten ihren Blick auch auf Spanien, der mit 90.000 Tonnen global zwar nur ein kleiner Avocado-Player ist (ein Siebzigstel der Weltproduktion), aber innerhalb Europas der Hauptproduzent. „Und das einzige exportierende EU-Land“, schreiben die Autoren.

Vortreffliche Anbaubedingungen auf Spaniens Festland herrschen ausgerechnet an der zunehmend austrocknenden Mittelmeerküste – und zwar dort, wo sie punktuell als subtropisch gilt. Zum Beispiel südlich von Granada. Es ist jene von Naturparks flankierte Gegend zwischen Granada und der Costa Tropical, die mich seinerzeit faszinierte. Gern würde ich erkunden, wie sich die Landwirtschaft dort binnen zehn Jahren verändert hat. Einstweilen muss ich meine alte Carte Michelin heranziehen um zu ermitteln, wo die beiden Avocadobauern leben, die sich über Social Media an potenzielle Unterstützer·innen wandten.

Hier beginnt das Avocado- und Mispel-Land

Südlich von Granada führt ein Sträßchen vom Pass des „Maurenseufzers“ noch gemächlich bergan im semiariden Hochland, hinauf zu einer von Spaniens historisch inflationären „Mönchsschenken“ (Venta del Monje). In der Sierra de Almijara stürzt sich das Asphaltband förmlich hinab, in etlichen Serpentinen, um mehr als tausend Höhenmeter. Um Otívar, rund 300 Meter hoch gelegen und auf dem Titelfoto dieses Beitrags zu sehen, ist die feuchtwarme Vegetationszone erreicht. Hier beginnt das Avocado-, Mango- und Mispel-Land.

Ich lasse die knittrige Michelin-Karte und setze mich vor den Bildschirm. So kann ich zumindest per Street View eine Runde um Otívar drehen. Unterhalb des Dorfs sehe ich, wie zu Zeiten der Filmaufnahmen die Verladestation des Traditionsbetriebs Frutas Fajardo aussieht. José Antonio Fajardo betreibt seit über dreißig Jahren Anbau und Export, vorrangig der drei genannten Fruchtsorten. Aus der virtuellen Distanz sehen die Plantagen rund um Otívar aus wie ich sie von fast überall entlang des Mittelmeers kenne: intensiv bewirtschaftet und ziemlich ausgemergelt.

Brauner offener Pappkarton, gefüllt mit Avocados.
Foto, geschickt vonseiten der „Hacienda Altos de Cantarriján“ in der Mailbestätigung, wo es heißt: „Mit dieser Bestellung erhältst Du 1 × Avocados – 4-Kilogramm-Kiste“.

José Antonio Junior geht andere Wege als sein Vater. Der zwanzigjährige Sohn der Frutas-Familie verfolgt die „Vision einer zukünftigen nachhaltigen Landwirtschaft“, wie er auf der Vermarktungsplattform Crowdfarming mitteilt. Meine Versuche, den Junior über die sozialen Medien oder anhand von We-Eintragungen zu kontaktieren, schlugen fehl; eine Anfrage über Crowdfarming blieb ohne Antwort. Auf der Seite Crowdfarming erklärt José Antonio Junior,

…in erster Linie mit Regenwasser zu bewässern. (…) Dazu haben wir ein Sammelbecken im untersten Teil der Finca. Wasser wird ins Becken im oberen Teil der Finca gepumpt.

Zurzeit sei er in der Bewässerung autark, schreibt José Antonio junior. Er setze auf Tropfbewässerung, „damit nicht ein einziger Tropfen verschwendet wird“. Es gebe allerdings einen Brunnen als Notreserve.

Auch wenn der Junior noch kein Biosiegel für seinen Anbau besitzt (angeblich beantragt): Ich bestelle. Eine Kiste Avocados à 4 Kilogramm zu knapp 34 Euro, inklusive Versand. Der erfolgt über den Fruchthandel des Vaters sowie das Außenlager einer WeinUnion in Deutschland, wie ich später herausfinde.

Preisvergleich zu Hause

Für einen Preisvergleich radle ich in Lübeck zu einer Niederlassung von Alnatura. Dort gibt es Bio-Avocados aus Spanien. Ob sie wasserschonend oder anderweitig nachhaltig angebaut sind, darüber vermag mir später weder die Verkäuferin Auskunft geben noch die Webseite; immerhin stoße ich auf eine gute Warenkunde.

Nebendran besuche ich eine real-Filiale. Die Kette soll eine streng nachhaltige Produktlinie namens „Permakultur“ betreiben: „Perma-Avocados“, so die Webinformationen, sind nicht nur „bio“, sondern auch „wasserschonend“ angebaut.

Avocados in einer Plastikkiste mit der Preisauszeichnung „Spanien EG Bio, Kilogramm 7,70 Euro“.
Dreimal so teuer wie das Sonderangebot im Discounter, aber nur unwesentlich höher im Preis als direkt beim spanischen Erzeuger georderte Ware: Avocados aus einem Biosupermarkt.

Und die Preise? Bei Alnatura kosten Bio-Avocados an jenem Tag 7,70 Euro das Kilogramm – nur einen Tick weniger als meine direkt aus Andalusien georderten. Bei real umkreise mehrmals all die vielen Frischwaren-Körbe. Aber Perma-Avocados sind nicht in Sicht; mehr noch: Eine auskunftswillige Mitarbeiterin will davon noch nicht gehört haben. Die Filialleitung antwortet später auf meine Anfrage: „Leider können wir nicht selbst disponieren, denn Permakultur-Artikel liegen in der Hand der Zentrale, von wo sie den Märkten zugeteilt werden.“

Bei real finde ich Supermarkt-übliche Ware aus Chile: zum einen Discount-Avocados zu 1 Euro das Stück; daneben „real Quality“ zu 2,79 Euro. Das Gewicht pro Stück überschlagend macht das in etwa 2,50 beziehungsweise 7 Euro pro Kilogramm.

Wo sich der globale Anbau konzentriert

Chile gehört zu den zehn Ländern, in denen weltweit am meisten Avocadobäume wachsen. Chile und acht weitere Länder bewegen sich auf einem vergleichbaren Anbauniveau von circa 180.000 Tonnen pro Jahr. Mexiko dürfte laut FAO inzwischen das Siebenfache produzieren: knapp 1,3 Millionen Tonnen jährlich.

Damit konzentriert sich der Avocado-Export zunehmend dort, wo Avocadoplanzen ursprünglich herkommen. Es handelt sich um das Gebiet, wo einst die Náhua-Völker lebten, wo sich heute unter anderem der Bundesstaat Michoacán breitet. Aus der Náhua-Sprache Náhuatl leitet sich als eine der möglichen Transkriptionen des Worts für Avocado „Ahuacatl“ ab. Avocado geht daraus etymologisch hervor. Aguacate heißt sie auf Spanisch.

Mexiko im Fokus

Ruben Sommaruga, federführender Autor des Beitrags „Avocado Production: Water Footprint and Socio‐economic Implications“, leitet an der Uni Innsbruck die „See- und Gletscher-Ökologie“. Auf die Frage, warum er sich mit dem Anbau von Avocados beschäftigt, sagt er: „Ich interessiere mich sehr für alle Aspekte rund ums Thema Wasser – auch in Vorlesungen, in denen ich Studierende das Thema Global Change Ecology nahebringe. Die sich verschärfende Problematik in Sachen Wasser behandeln wir auch konkret in Bezug auf Avocados.“

Seine Forschungsreisen haben den Wissenschaftler sensibilisiert. Sommaruga und sein Koautor schauen deshalb besorgt auf das zunehmende Handelsvolumen aus Mexiko. In EuroChoices schreiben sie: „Im April 2020 aktualisierte die EU ihr Freihandelsabkommen mit Mexiko, mit dem Resultat, dass die EU nun Avocados aus Mexico zollfrei importiert.“

Severe Water Risk

Das befeuert nach Auffassung des Wissenschaftlers den illegalen Anbau, oft verbunden mit unkontrollierten Waldrodungen. Ein US-Sender berichtete gar über mafiaähnliche Zustände. Laut EuroChoices ist der sogenannte Wasser-Footprint für den Avocadoanbau in Mexiko mit Abstand am größten und betrage beispielsweise für 2018 rund das Sechsfache des Footprints, den die übrigen Top-10-Produzenten verursachen. Aber nicht nur für Mexiko prognostiziert Sommaruga „future severe water risk“. Stark betroffen von zunehmendem Wassermangel seien auch

  • Chile
  • Peru
  • USA
  • Israel
  • Spanien.
Geöffneter Karton mit vier Kilogramm Avocados auf verschneitem Rasen.
Zwölf Tage nach der Bestellung treffen die Avocados, geerntet nah an der andalusischen Mittelmeerküste, bei mir unweit der Ostsee ein.