Raus aus der Kohle

Versicherungen, Pensionskassen und Städte steigen aus

7 Minuten
Demo in Berlin gegen Kohlekraftwerke.

Die Botschaft der Demonstranten „Stop Kohle“ ist klar und deutlich und geht an die Kohlekommission. Viele sind skeptisch, weil die kürzlich eingesetzte „Kommission Wachstum Strukturwandel Beschäftigung“ weder die Begriffe „Kohle“, noch „Klima“ im Namen führt, und der Ausstoß der Klimagase trotz aller schönen Pläne auf Papier nahezu unvermindert weitergeht.

Kohle produziert mehr Kohlendioxid je Energieeinheit als irgendeine andere Energiequelle, deshalb bietet sie den effektivsten Hebel, um die CO2-Emissionen rasch herunterzuschrauben. Sie steht daher im Fokus der Divestment-Bewegung: Freiwillige setzen sich in lokalen Gruppen dafür ein, dass Universitäten und Stiftungen, staatliche und religiöse Einrichtungen, aber auch große Investoren ihr Kapital aus der Industrie der fossilen Energieträger abziehen. Obwohl diese mächtige Fürsprecher in der Politik hat, wie die Studie „Revolving Doors and the Fossil Fuel Industry“ jüngst für Europa zeigte, beginnen auch einflussreiche Investoren sich abzuwenden.

Die Swiss Re, das weltweit zweitgrößte Rückversicherungsunternehmen nach der Munich Re, bietet seit Anfang Juli Firmen, die in der Kohlewirtschaft tätig sind, keinen Versicherungsschutz mehr an. Betroffen sind alle Unternehmen, die über einer Grenze von 30 Prozent in Kohle investieren oder zu über 30 Prozent Kohle in der Elektrizitätsproduktion verwenden. Gleichzeitig entwickelte der Versicherer für die Solarindustrie eine neue internationale Versicherungsrichtlinie, welche die bis zu 25 Jahre langen Garantiezusagen der Solarpanel-Hersteller anspricht.

Für die Schweizer ist das nun der vorläufig letzte Schritt im Rahmen ihrer Divestment-Politik. Bereits Anfang 2016 beschlossen sie, nicht mehr selbst in Unternehmen zu investieren, die mehr als 30 Prozent ihres Umsatzes mit Kohle machen. Von entsprechenden Firmenbeteiligungen trennte sich der Versicherer. Mit der Entscheidung, diese Unternehmen nicht mehr zu versichern, erfüllt die Swiss Re nun auch ihre Selbstverpflichtung im Rahmen der Pariser Klimakonvention. So hatte sie zugesagt, ihre Geschäftspolitik auf das Ziel auszurichten, die Erderwärmung auf 1,5 bis 2 Grad Celsius zu begrenzen.

Die Swiss Re war damit nicht einmal Vorreiter: Der Versicherer Allianz hatte schon vor der Pariser Klimakonferenz einen Ausstiegsbeschluss mit einer 30-Prozent-Regel gefasst. Und auch Union Investment, Axa und Zurich sind längst auf Klimaschutz-Kurs. Denn „wenn unsere Welt vier Grad heißer wird, ist sie nicht mehr versicherbar“, erklärte Axa-Vorstand Thomas Buber die einfache Überlegung hinter der Divestment-Entscheidung. Viele andere jedoch zögern noch, wie ein Konzern-Ranking des Londoner Asset Owners Disclosure Project zeigt.

Eine einfache Rechnung

Die globale Divestment-Bewegung will den Kohleausstieg aber nicht den Selbstverpflichtungen der Unternehmen und Staaten oder den Marktkräften überlassen. Begonnen hatte alles 2012, als erste US-Universitäten ihre Geldanlagen entsprechend umschichteten. Der US-amerikanische Umweltaktivist Bill McKibben formulierte das Kalkül der Bewegung folgendermaßen: Würde die fossile Industrie die gesamte Kohlenstoffmenge verfeuern, die als ihre Reserve im Boden schlummert, wäre das fünfmal so viel als sie eigentlich nutzen dürfte, um die Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen. Mit dieser Rechnung wurde, in McKibbens Worten, aus der fossilen Industrie eine „Schurkenindustrie“ – und damit das Divestment zur moralischen Pflicht.

"We need to view the fossil-fuel industry in a new light. It has become a rogue industry, reckless like no other force on Earth. It is Public Enemy Number One to the survival of our planetary civilization. Bill McKibben in: „Global Warming’s Terrifying New Math“, 2012, RollingStone

McKibben beließ es 2012 nicht bei einem Artikel im Magazin „Rolling Stone“, sondern gründete gleich mit anderen die Umweltgruppe 350.org. Umgehend startete er damals die Kampagne „Go Fossil Free“ mit dem Ziel, die fossile Energieindustrie ihrer sozialen Legitimation zu berauben. Inzwischen sollen sich Stand Juli 2018 über 893 öffentliche institutionelle Anleger aus über 76 Ländern der Bewegung angeschlossen haben, die zusammen über ein Vermögen von über 6,15 Billionen US-Dollar verfügen.

Es gehören richtige Schwergewichte dazu: Zuletzt kündigte die Stadt New York Anfang 2018 an, 189 Milliarden ihres Rentenfonds umzuschichten. Auch Institutionen der katholischen Kirche deinvestieren seit kurzem. Die Caritas Internationalis verabschiedete sich zu 100 Prozent aus Investitionen in fossile Energieträger, die Bank für Kirche und Caritas in Deutschland teilweise. In seiner Umwelt-Enzyklika „Laudato si“ hatte Papst Franziskus 2015 die sozialen Folgen der Umweltzerstörung angeprangert und als „wichtigste aktuelle Herausforderung an die Menschheit“ den Schutz des Klimas „als gemeinsames Gut“ eingefordert. Anfang Juli 2018 bekräftigte Franziskus seine Überzeugung, dass nicht nur politische, wirtschaftliche und religiöse Institutionen, sondern vor allem zivilgesellschaftliche Gruppen sowie die Finanzwirtschaft den dringend benötigten „Paradigmenwechsel“ jetzt herbeiführen müssen.

Die Info-Grafik zeigt Bill McKibben ist Vordenker der Divestmentbewegung und Mit-Gründer der zivilgesellschaftlichen Umweltorganisation 350.org. Er sagt: „The core Bbsiness of the fossil fuel industry is digging up stuff and burning it“ und „The only way to make them stop is to isolate them and turn them into the pariahs they should be.“ (Grafik: Trocaire, CC-BY-2.0)
Bill McKibben ist Vordenker der Divestmentbewegung und Mit-Gründer der zivilgesellschaftlichen Umweltorganisation 350.org (Grafik: Trocaire, CC-BY-2.0)

Die finanzielle Wirkung der Divestment-Bewegung, so stellte eine Analyse von Stanford-Wissenschaftlern Ende 2017 fest, ist bisher gering, da die Zahl der Divestments noch überschaubar ist und sich kaum auf die Aktienkurse der fossilen Industrie auswirkt. Doch in einer Netzwerk-Textanalyse stellen die Forscher fest, dass die Bewegung auf eine andere Weise erfolgreich ist, da sie die Klimawandel-Debatte in den USA „dramatisch“ verändert habe: Zuvor noch marginalisierte finanzielle Instrumente wie die CO2-Steuer oder das CO2-Budget erhielten in der Debatte größere Aufmerksamkeit. Neue Begriffe wie „stranded assets“ und „nicht verbrennbarer Kohlenstoff“ wurden von Finanzjournalisten des Economist, von Fortune oder Bloomberg aufgegriffen, womit verstärkt die finanziellen Risiken fossiler Energieträger diskutiert wurden. Der Blick richtet sich dabei in eine nicht allzu ferne Zukunft, in der Kohle-, Öl- und Gasvorkommen als „gestrandete Vermögenswerte“ nichts mehr wert sind, weil sie keiner mehr haben möchte. Möglicherweise sind die Reserven daher schon jetzt völlig überbewertet.

Mitte 2018 zeigen sich erste, nachweisbare Effekte in der Energiebranche. Der niederländische Energiekonzern Shell ging in seinem im März veröffentlichten Jahresbericht erstmals so weit, die Divestment-Bewegung sowie die Klimaklagen als treibende Kraft des Klimaschutzes anzuerkennen: Sie werden als „materielle Risiken“ für den Endgewinn des Konzerns benannt. Yossi Cadan, Divestment-Campaigner von 350.org bewertete dies gegenüber dem Online-Energieportal CleanTechnica als „großen Erfolg“ der Divestment-Bewegung.

Derzeit wird in zahlreichen Stadträten an Rhein und Ruhr diskutiert, Anteile an RWE abzustoßen. Bochum und der Landkreis Osnabrück haben schon vor längerer Zeit den Aktienverkauf beschlossen. Der Konzern ist sich des Themas wohl bewusst. In seinem aktuellen Nachhaltigkeitsbericht schreibt er: „NGOs und Initiativen werben zunehmend für eine kurzfristige Stilllegung älterer Kohlekraftwerke zur Erreichung der Klimaziele, sowohl vor dem Hintergrund der Treibhausgas- als auch anderer Emissionen.“ Auch seitens der Investoren werde der Klimaschutz „mit in die Bewertung von Unternehmen einbezogen“, und Kunden würden zunehmend auf „die Nachhaltigkeit und CO2-Intensität des von uns gelieferten Stroms“ achten. In seinem Geschäftsbericht wertet der Konzern dies jedoch anders als Shell noch nicht als Risiko.

Ausstiegsbeschlüsse in Deutschland

Bundesweit machen lokale Gruppierungen der „Fossil Free Deutschland“-Bewegung Druck, dass noch mehr Unternehmen und öffentliche Stellen sich mit ihren Investments zur Energiewende bekennen: über Investitionsstopps, Sponsoring-Verbote oder Defunding, also die Verhinderung von fossilen Vorhaben durch Mittelentzug. Der dickste Fisch: Die Bundesländer haben mehr als vier Milliarden Euro für Versorgungsrücklagen der Beamtenpensionen angelegt. 2016 hatte das Recherchezentrum Correctiv enthüllt, dass sieben Bundesländer fast 400 Millionen Euro in Unternehmen angelegt hatten, deren Ziele mit den Klimaschutzzielen der Bundesregierung im Konflikt standen. Darunter waren die Mineralölunternehmen Shell, BP und Total sowie der australische Minenkonzern BHP Billiton.

Berlin war 2016 das erste Bundesland, das die Pensionskasse seiner Beamten in Höhe von 823 Mio. Euro umschichtete. Diesen Erfolg schreibt sich die Aktivistengruppe „Fossil Free Berlin“ zu. Im Auftrag des Landes Berlin wurde ein ethisch-ökologischer Aktienindex namens BENEXX entwickelt, den die Bundesbank 2017 veröffentlichte. Er soll Unternehmen, aber auch Ländern und Kommunen dabei helfen, Investitionen in kohlenstoffreiche Energieträger zurückzuschrauben. Der Index schließt alle Kohle-, Öl- und Gasunternehmen sowie die Atom- und Rüstungsindustrie aus. Dadurch kann Berlin die durch seine Investitionen verantworteten Emissionen im Vergleich zum Euro Stoxx 50-Index um 62,9 Prozent reduzieren. Schleswig-Holstein verwendet inzwischen ebenfalls den Berliner Nachhaltigkeitsindex.

„Fossil Free Berlin“ demonstriert vor dem Brandenburger Tor für den Investitionsausstieg aus CO2-intensiven Industrien
„Fossil Free Berlin“ demonstriert für den Investitionsausstieg aus CO2-intensiven Industrien

Weitere Länder wie Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz folgten 2016 mit Ausstiegsbeschlüssen. Auch die Städte Bremen, Freiburg, Göttingen, Leipzig, Münster, Oldenburg und Stuttgart sowie die Evangelische Landeskirche Hessen-Nassau haben sich inzwischen zu klimafreundlichen Anlagen verpflichtet. Das Presseversorgungswerk und die Berliner Ärzteversorgung haben ihre Kohle-Investitionen reduziert. Auch große Unternehmen wie die Allianz und die Deutsche Bank haben sich zu Divestments bekannt.

Der Bund soll bei seinen drei Pensionsfonds umsteuern, fordert „Fossil Free Deutschland“. Es geht insgesamt um rund 22,6 Milliarden Euro. Laut Die Zeit werden 16,1 Milliarden Euro vom „Versorgungsfonds des Bundes“ und der „Versorgungsrücklage des Bundes“ verwaltet, dazu kommt der „Versorgungsfonds der Bundesagentur für Arbeit“ mit 6,5 Milliarden Euro. 20 Prozent der Pensionsgelder darf der Bund in Aktien investieren. Weil er sich bislang am Aktienindex Euro Stoxx 50 orientiert, ist er aber auch an sieben Konzernen beteiligt, deren Geschäft auf fossilen Energien basiert.

Derzeit erarbeitet das Innenministerium ein Nachhaltigkeitskonzept für Aktienanlagen, wobei auch die Anlageregeln der Bundesländer überprüft werden. Spätestens 2025 sollen auch staatliche Subventionen in fossile Energieträger beendet werden. Derweil macht „Fossil Free Berlin“ Druck und lädt Mitglieder des Deutschen Bundestages ein, den „Berliner Konsens für Klimastabilität und Rücklagen des Bundes“ persönlich zu unterzeichnen. „Wenn dieser Konsens weiterwächst, ist bald zum Beispiel ein parteiübergreifender Gruppenantrag im Bundestag möglich“, glaubt Sprecher Mathias v. Gemmingen.

Wann platzt die Kohlenstoff-Blase?

Möglicherweise kommt auch der Bund wie die Swiss Re zu dem inzwischen naheliegenden Schluss, dass man das Risiko von „stranded assets“ gezielt verringern sollte. Diese These der „verlorenen Investitionen“ war längere Zeit umstritten, doch die Konkurrenz durch die Wind- und Sonnenergie ist im vergangenen Jahr wesentlich stärker geworden, weil diese nun günstiger Energie erzeugen. Anfang Juni veröffentlichte ein internationales Forscherteam in Nature Climate Change eine Analyse, die davor warnt, dass die sogenannte „Kohlenstoff-Blase“ bereits 2035 platzen könnte, da der technische Fortschritt die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen stark reduzieren könnte. Ein Gutachten für das Bundesfinanzministerium sah diese Gefahr 2016 noch allein bei einer abrupten Anpassung von CO2-Preisen bzw. der Übertragung der ökonomischen Kosten des Klimawandels auf den Finanzmarkt.

Die CO2-Preise sind noch längst nicht angepasst, doch wenn jetzt große Versicherer beginnen, die Risiken in ihr Geschäftsmodell einzupreisen, ist das ein weiterer finanzieller Hebel, der sich möglicherweise als folgenreich herausstellen könnte. Den Versicherern dürften bald die Banken und Zentralbanken folgen. Der Klimawandel gilt nämlich ersten Ratingagenturen bereits als Finanzmarktrisiko. So rechnet Moody’s, wie KlimaSocial berichtete, regionale Klimarisiken bereits in Bonitätsnoten um. Mathias v. Gemmingen von „Fossil Free Berlin“ ist überzeugt: „In der öffentlichen Wahrnehmung ist das noch nicht so angekommen: Der Finanzmarkt kennt die Risiken und wird jetzt den Klimaschutz stärker voranbringen als die Politik.“

VGWort Pixel