Frühlingsbücher

Lesetipps zur Natur von den Flugbegleitern Joachim Budde, Christiane Habermalz, Markus Hofmann, Anne Preger und Christian Schwägerl

vom Recherche-Kollektiv Flugbegleiter:
10 Minuten
Lesetipps zur Natur von den Flugbegleitern Joachim Budde, Christiane Habermalz, Markus Hoffmann und Christian Schwägerl

Der Frühling ist da – wenn auch die Freude darüber bei vielen von uns in diesem Jahr etwas gedämpfter ausfallen dürfte und wir mehr Zeit in den eigenen vier Wänden verbringen werden, als üblicherweise in dieser Jahreszeit. Damit es Ihnen dabei nicht langweilig wird, haben wir wieder einige Bücher für Sie gelesen, die wir hier vorstellen wollen. Es geht um das Sozialleben von Insekten, die spannende Interaktion zwischen Tieren und Pflanzen, die Schönheit von Vogeleiern und – um Leichen. Ein echter Lesekrimi also, bei dem wir viel Spaß wünschen.

Linke Bildhälfte: Der Autor steht mit verschränkten Armen auf einer Allee und schaut in die Kamera. Rechte Bildhälfte: Das Cover des Buchs, Der Autor hält ein Röhrchen in die Kamera.
Der Experte für forensische Entomologie Marcus Schwarz öffnet in „Wenn Insekten über Leichen gehen“ den Blick in die Abgründe des menschlichen Wesens.

Für Krimifans mit Ekeltoleranz

Von Joachim Budde

Wenn ein Mensch stirbt, wird sein Körper zu einem Büfett, an dem die Natur ein Festbankett feiert. Wie die Gäste dieses Banketts den Ermittlern bei der Arbeit helfen, beschreibt Marcus Schwarz, Experte für Forensische Entomologie, in seinem neuen Buch „Wenn Insekten über Leichen gehen“. Er stellt die sechsbeinigen Helfer seiner Arbeit vor und schildert detailliert und anschaulich, was nach dem Tod mit einem Körper geschieht, welche Bakterien, Pilze, Insekten und anderen Tiere sich an einer Leiche einfinden. Sogar wenn der Tote schon weitgehend verwest ist, können Insektenmaden und -puppen Rechtsmedizinern letzte Chancen bieten, Gift nachzuweisen. Denn wenn der Todeszeitpunkt zu lange zurückliegt, sind Mageninhalt, Hirnsubstanz und das Blut in Herz und Oberschenkelvenen schon so weit zersetzt, dass eine toxikologische Analyse schwierig bis unmöglich ist. Doch Rückstände von Medikamenten, Drogen oder Schwermetallen lassen sich auch dann noch in den Insekten nachweisen, die sich an der Leiche satt gefressen haben.

Marcus Schwarz hat seine Faszination für Insekten und Leichen erst relativ spät entdeckt, als er schon im Masterstudium war. Denn zuerst hat er Forstwissenschaften studiert. Zum Glück, wie sich bei diesem Fall zeigt: Eine Gruppe Vatertagsausflügler findet auf ihrer Tour im Wald einen menschlichen Schädel. Eine junge Fichte hat Fasern der Kleidung des Toten beim Wachsen aufgenommen. Schwarz schneidet von ihrer Wurzel genau dort, wo die Fasern anhaften, mit einem feinen Skalpell eine Scheibe heraus. Er zählt die Jahresringe und stellt fest, dass die kleine Fichte mindestens 16 Jahre benötigt hat, um den Körper zu durchdringen. „Damit lieferten wir der Polizei den entscheidenden Hinweis, für welchen Zeitraum sie die Vermisstenmeldungen der Region durchsuchen mussten.“

Auch wenn sich manche Passagen etwas zu sehr wie ein forensisches Gutachten lesen – das Buch bietet viele interessante und fundierte Einblicke sowohl über Insekten als auch über die Abgründe der menschlichen Natur, die ihnen immer wieder zu einem Festbankett verhelfen.

Marcus Schwarz: „Wenn Insekten über Leichen gehen. Als Entomologe auf der Spur des Verbrechens“, Droemer–Knaur-Verlag. Knapp 290 Seiten, 16,99 Euro.

Linke Seite: Das Cover des Buches. Rechte Seite: Der Autor im Wald mit einer Kamera in der Hand.
Radomir Jakubowski lädt in seinem „Workshop Naturfotografie vor der eigenen Haustür“ dazu ein, Landschaft und Tierwelt in groß und klein mit der Kamera zu erkunden.
Doppelseite aus dem besprochenen Buch: Links sind Anweisungen zu lesen, rechts ein Beispielbild.
So sieht ein Workshop aus: Radomir Jakubowski beschreibt, welche Ausrüstung dafür nötig ist und was zu tun ist. In diesem Fall: An einem sonnigen Tag Stativ, Bohnensäckchen und Teleobjektiv einpacken, und ein Objekt für eine Makroaufnahme suchen. Unter dem Foto steht, welche Ausrüstung und Kameraeinstellungen der Fotograf für diese Aufnahme verwendet hat.

Workshop Naturfotografie

Von Joachim Budde

Die Natur schenkt uns dauernd wunderschöne Momente. Aber wenn wir sie fotografieren, um sie als Erinnerung mit nach Hause zu nehmen, ist das Ergebnis oft enttäuschend. Für Leute, die ihre fotografischen Fähigkeiten verbessern wollen, hat Radomir Jakubowski das Buch „Workshop Naturfotografie vor der eigenen Haustür“ geschrieben. Der allgemeine Teil des Buches richtet sich eher an Anfänger und gibt Tipps, welche Ausrüstung für Landschafts-, Tier- und Makrofotos sinnvoll ist und welche Apps fürs Smartphone die Planung erleichtern. Außerdem bietet er einen guten Einstieg in Aufnahmetechnik und Bildgestaltung.

Der eigentliche Workshop-Teil stellt den LeserInnen Aufgaben und zeigt, wie sie gelingen können: Wie etwa Graufilter den perfekten Himmel auf den Chip zaubern, wie ein Polarisationsfilter die Farben im verregneten Wald herauskitzelt, wie man Zoo- oder Parktiere ins Visier nimmt oder mit einem Diffusor Makroaufnahmen verbessert. In diesem Teil des Buchs dürften auch fortgeschrittene Fotografen wertvolle Anregungen finden. Wichtig ebenso das Kapitel, in dem Jakubowski seinen LeserInnen den Wert guter Fotos ins Gedächtnis ruft: „Sie investieren viel Zeit, Mühen und Geld in Ihr Hobby. Sobald Sie Ihre Fotos umsonst weitergeben, bedeutet das, dass Sie sagen, Ihre Fotografie sei wertlos.“ Außerdem machten solche Leute denen die Preise kaputt, die mit Fotografie ihren Lebensunterhalt bestreiten.

Radomir Jakubowski: „Workshop Naturfotografie vor der eigenen Haustür“, Humboldt Verlag. Knapp 260 Seiten, 26,99 Euro.

Das Ei des Guirakuckucks ist von einer weissen kreidigen Schicht überzogen. Während des Brütens verschwindet diese mit der Zeit, sodass die blaue Farbe der Eierschale zum Vorschein kommt.
Das Ei des Guirakuckucks aus Südamerika wirkt wie eine Skulptur. Die weisse kreidige Schicht verschwindet während des Brütens, sodass die blaue Farbe zum Vorschein kommt.
Das Ei der Zippammer ist am stumpfen Ende mit einem Muster feiner und dunkler Striche überzogen. Diese entstehen kurz vor dem Legen am Ende des Eileiters durch Rotation. Dieses Muster ist nicht nur schön, sondern es dient auch der Tarnung.
Wie viele andere Vogeleier ist auch das Ei der Zippammer ein Meisterwerk abstrakter Maleier. Die Muster entstehen durch Rotation des Eis im Eileiter kurz vor dem Legen. Sie sind nicht nur schön, sondern sie dienen auch der Tarnung.

Eier – Ursprung des Lebens

Von Markus Hofmann

Als ich die Vogeleier zum ersten Mal im Original sah, dachte ich: Da haben sich ein paar moderne Maler einen Scherz erlaubt und Ostereier verziert. Über das Ei des Rotstirn-Blatthühnchens hat wohl der Action-Maler Jackson Pollock schwungvoll schwarze Farbe auf rostrotem Hintergrund verteilt. Und die Anhänger der monochromen Kunst haben sich gleich mehrerer Vogelarten angenommen: etwa dem moosgrünen Ei des Perlsteisshuhns oder dem Ei des Rotflügel-Pampahuhns, das wie eine Aubergine glänzt.

2014 zeigte das Naturhistorische Museum in Genf eine grosse Vogel-Show. Ein Höhepunkt davon waren die Exponate aus der Vogeleier-Sammlung des Schweizers Werner Haller (1913 bis 1980). Das Genfer Museum bewahrt aus dieser Kollektion 29'235 Eier von 1049 Vogelarten. Der Rest der rund 47'000 Vogeleier lagert im Naturhistorischen Museum in Bern. Die Sammlung Haller ist eine der grössten ihrer Art. Sie besticht nicht nur durch die Menge, sondern auch durch die vollständige wissenschaftliche Dokumentation.

Meistens sind die Vogeleier im Archiv sicher verstaut. Nur Wissenschaftlerinnen dürfen sie – mit Samthandschuhen – untersuchen. Das Publikum bekommt sie lediglich zu besonderen Gelegenheiten in grösserem Umfang zu Gesicht. Doch nun erhielt der französische Naturfotograf Paul Starosta Zutritt zur Genfer Vogeleier-Sammlung. Er porträtierte eine Auswahl der Eier im besten Licht vor schwarzem Hintergrund und fügte sie in einem großformatigen Bildband zusammen. Ein Aufsatz des Schweizer Ornithologen Laurence Valloton zur Vogeleierkunde leitet das Buch ein. Auch werden spezielle Eigenheiten einzelner Vogeleier kurz beschrieben. Das Buch ist eine Ode an die Schönheit des Vogeleis.

Paul Starosta und Laurent Vallotton: „Eier. Ursprung des Lebens“, Elisabeth Sandmann Verlag, München, 224 Seiten, 200 Fotografien, 78 Euro.

Porträtfoto von Madlen Ziege
Madlen Ziege ist nicht nur promovierte Verhaltensbiologin, sondern hat ihre Arbeit auch schon beim Science Slam vorgestellt.

Alle Sinne auf Empfang beim Waldspaziergang

Von Anne Preger

Wer aufmerksam durch den Wald geht, kann einige Hinweise auf Unterhaltungen zwischen Tieren erkennen: Vogelrufe verraten, ob es sich eher um Balzverhalten oder um einen Grenz-Konflikt zwischen zwei Territorien handelt. Auch der Kot von Tieren kann signalisieren: Weg hier, das ist mein Gebiet. „Ganz häufig bekommen wir aber gar nicht mit, wie Lebewesen kommunizieren“, sagt die promovierte Verhaltensbiologin und Science Slamerin Madlen Ziege.

In ihrem Buch „Kein Schweigen im Walde“ beschreibt sie, wie Pflanzen und Tiere in den Austausch treten. Es geht um die besonderen Symbiosen zwischen Pilzen und Pflanzen, um das Anlocken von potenziellen Sexualpartnern durch Duftstoffe oder darum, wie Seerosen es hinbekommen, dass sie besonders weiß erscheinen. Eine Art, mit der sich Madlen Ziege besonders gut auskennt, ist das Wildkaninchen. In ihrer Doktorarbeit hat sie unter anderem untersucht, wie sich das Verhalten von Land- und Stadtkaninchen unterscheidet.

Das Buch vermittelt begeisternd und anschaulich, wie kreativ Pflanzen und Tiere kommunizieren. Wer es gelesen hat, wird seine Sinne beim nächsten Waldspaziergang sicherlich besonders weit auf Empfang stellen. Und sicher einiges entdecken, was auch mit unseren menschlichen Sinnen wahrnehmbar ist, was er oder sie aber vorher übersehen, -hört oder -rochen hat. Selbst wer wegen der aktuellen Coronavirus-Ausgangsbeschränkungen solo im Wald unterwegs ist, fühlt sich so vielleicht ein bisschen weniger allein.

Madlen Ziege: „Kein Schweigen im Walde. Wie Tiere und Pflanzen miteinander kommunizieren“, Piper, Hardcover, 240 Seiten, 22 Euro.

Das Buchcover des besprochenen Buches.
„Ein wunderbares Buch, das zugleich wehmütig stimmt, weil viele der von Nischk beschriebenen Arten im Begriff sind, für immer von der Erde zu verschwinden.“
Porträt Frank Nischk
Frank Nischk

Aus Liebe zu den Schaben

Von Christiane Habermalz

Was hat eine Schabe, was ein Blauwal nicht hat? Zum Beispiel ihre Genügsamkeit. Im Notfall können sich zwölf ausgewachsene Tiere eine Woche lang von der Gummierung einer Briefmarke ernähren. Und Schaben sind hoch soziale Tiere. Nacht für Nacht versammeln sie sich in ihren Ritzen, um gemeinsam auf ihren Kothäufchen zu schlafen. Einige Arten säugen sogar ihre Nachkommen mit einer Art Schaben-Muttermilch. Diejenigen unter uns, die nicht auf Anhieb dem Charme einer Kakerlake erliegen, dürften nach der Lektüre dieses Buches zumindest mit anderen Augen auf die flinken Plagegeister schauen.

Mit viel Witz und großer Liebe zum Kerbtier gelingt es dem Biologen und Journalisten Frank Nischk, seiner Leserschaft die Schönheit und Faszination von Insekten und anderen „niederen“ Tieren nahezubringen. Die in der Regel in der Öffentlichkeit und im Naturschutz weitaus weniger Aufmerksamkeit und Anteilnahme erfahren, als die „höheren“ Tiere mit Knopfaugen und Kuschelpelz. Eine Einteilung, die Nischk treffsicher als menschengemachte „Zweiklassengesellschaft“ enttarnt, in der wie durch ein Wunder an der Spitze Homo Sapiens und seine nächsten Verwandten, die Affen stehen – und ganz unten all die Wirbellosen, Insekten, Faden- und Ringelwürmer, Hohl- und Nesseltiere dieser Welt. Diesen Deklassierten, den Verachteten und Getretenen der Schöpfung, mit ihren erstaunlich komplexen Verhaltensweisen gilt die Hingabe des Autors – spätestens, seit er als angehender Biologe gezwungen war, sich für seine Diplomarbeit statt mit schillernden Kolibris ein Jahr lang mit Blattella germanica, der gemeinen Küchenschabe, zu befassen. Genauer, mit ihrem Kot.

Wie es dazu kam und wie er seine Liebe zu Schaben entwickelte, ist eine von vielen äußerst amüsanten Geschichten, die dieses Buch ausmachen. Eine andere, wie er als Bioakustiker in die Regenwälder Ecuador reiste, um den Gesang tropischer Grillenarten zu studieren. Oder wie er dort einmal seine Hütte heroisch gegen ein heranrückendes, alles vernichtendes Heer von Wanderameisen verteidigen musste. Das alles erzählt der Autor unterhaltsam und mit viel Sinn für Situationskomik. Ein schönes Detail am Rande: Per QR-Scan lassen sich seine Aufnahmen vom Gesang der Spinnengrillen oder anderen tropischen Nachtbewohnern – darunter ein seltsamer Vogel namens „Tagschläfer“ – nachhören. Ein wunderbares Buch, das zugleich wehmütig stimmt, weil viele der von Nischk beschriebenen Arten im Begriff sind, für immer von der Erde zu verschwinden. Ein kleiner Trost: Blattella germanica, die gemeine Küchenschabe, wird aller Wahrscheinlichkeit selbst das Anthropozän überleben.

Frank Nischk: „Die fabelhafte Welt der fiesen Tiere. Von fürsorglichen Schaben, tauchenden Libellen und boxenden Krebsen“, Verlag Ludwig, 254 Seiten, 20 Euro.

Die Zeichnung zeigt einen Magerrasend mit einer Fülle von Pflanzenarten und gaukelnden Schmetterlingen.
Lebensraum Magerrasen: Segelfalter und andere prächtige Schmetterlinge sind Hungerkünstler, die Vegetation auf nährstoffarmem Untergrund bevorzugen.

Eintauchen in die Fülle der Schmetterlingswelt

Von Christian Schwägerl

Schöner als die Illustrationen, die dieses Buch prägen, sind nur die Schmetterlinge selbst. Jetzt, wo wir gehalten sind, in häuslicher Isolation zu leben, bringt „Wie Schmetterlinge leben" diese Faszination von der Natur zu uns. Was der Künstler Johann Brandstetter an Tableaus geschaffen hat, wäre auch ohne die Texte und Beschreibungen der Biologin Elke Zippel, interessanterweise keine Entomologin, sondern Kustodin der Dahlemer Saatgutbank am Botanischen Garten Berlin, ein eigenes Buch wert. Die Beiträge – im ersten Teil geht es um Lebensräume, im zweiten um Arten – geben dem Projekt noch Tiefe und Nutzwert.

Eine Portion mehr Esprit und ein bisschen Mut zum Schmetterlingsfeuilleton hätten dem Buch gut getan, es ist aber schon ein großer Gewinn, so viel und so kompakt Wissenswertes über Schmetterlinge, ihre Lebensweise, Symbiosen und Habitate zu erfahren. Kauf oder Verschenken sind uneingeschränkt also empfohlen. Allein im Tableau des Magerrasens, das wir hier zeigen, kann man sich an einem Coronaabend versenken und ins Schwärmen geraten, wie wir nach der Pandemie wieder ins Freie strömen werden. Dort warten die Schmetterlinge, die nun in einer merkwürdig menschenleeren Welt herumflattern. Wir sollten sie noch mehr schätzen und noch stärker für ihren Schutz eintreten – dafür braucht es keine weiteren Begründungen, wenn man dieses Buch gelesen und genossen hat.

Johann Brandstetter und Elke Zippel: „Wie Schmetterlinge leben. Wundersame Verwandlungen, raffinierte Täuschungen und prächtige Farbenspiele“, Haupt Verlag, 224 Seiten, 34 Euro.

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