Erneuerbare Energien: Naturschützer rufen Brüssel gegen Ampel zur Hilfe und kündigen Klagen an
Lange haben Naturschutzverbände nur verhalten auf den massiven Abbau des Artenschutzes im Zuge der Energiewende reagiert. Gestützt auf ein Gutachten wirft der Naturschutzbund Nabu der Ampelkoalition nun systematische Verstöße gegen EU-Recht vor und kündigt im Gespräch mit RiffReporter Klagen an
Osterpaket zum schnelleren Ausbau der Windenergie vor den Küsten, Sommerpaket für den Turbo an Land und die Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes: Um die selbstgesteckten Ziele bei der Energiewende zu schaffen, verabschiedet die Ampelkoalition Gesetzesänderungen im Fließbandtempo.
Ein Rechtsgutachten im Auftrag des Naturschutzverbandes Nabu macht darin systematische Verstöße Deutschlands gegen EU-Recht aus. Der Nabu wendet sich mit einem Brandbrief an die EU-Kommission und fordert Brüssel zum Eingreifen auf. Im Gespräch mit RiffReporter kündigt Bundesgeschäftsführer Leif Miller Klagen an.
Bundesumweltministerin Steffi Lemke feierte die Einigung auf das Osterpaket als Durchbruch. Es sei ihr und ihrem für die Energiewende zuständigen Parteifreund und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck gelungen, den seit vielen Jahren schwelenden Konflikt zwischen einem schnelleren Ausbau der Erneuerbaren Energien und der Bewahrung der Natur zu lösen, lobte die Grünen-Politikerin den Kompromiss.
Durchbruch in der ökologischen Doppelkrise oder Demontage des Artenschutzes?
Der sieht unter anderem vor, dass durch Änderungen im Bundesnaturschutzrecht bundesweit einheitliche Standards bei der Genehmigung von Windrädern gelten, um den Ausbau zu beschleunigen. „Mit unserer Vereinbarung wird der notwendige schnelle Ausbau von Windkraft bei höchsten ökologischen Schutzstandards ermöglicht“, sagte Lemke bei der Vorstellung der Eckpunkte im vergangenen Frühjahr „Wir gehen damit bei der Bekämpfung der doppelten ökologischen Krise, der Klimakrise und dem Artenaussterben, entschlossen voran.“
Naturschützer dagegen reagierten geradezu entsetzt auf die Neuerungen. Wenig verwunderlich – denn in dem als Teil des Osterpakets schließlich im vergangenen Juli geänderten Bundesnaturschutzgesetz ist wenig von der von Lemke beschworenen Augenhöhe zwischen Naturschutz und Energieerzeugung auszumachen.
Die Neuerungen gehen nach Meinung führender Rechts- und Naturschutzexperten stattdessen ausschließlich zulasten des Arten- und Naturschutzes: Windkraftanlagen dürfen künftig viel näher an die Brutplätze auch seltener Arten heranrücken. Die Liste der Vogelarten, für die es überhaupt Risikoprüfungen geben muss, wurde radikal zusammengestrichen. Und Ausgleichszahlungen für Windkraftbetreiber werden auf Summen gedeckelt, die Investitionen selbst an solchen Standorten attraktiv machen, die mit dem Artenschutz kaum vereinbar sind.
Schon vor der Verabschiedung des Osterpakets warnten Umweltexperten auch davor, dass einige der Änderungen gegen europäisches Recht verstoßen könnten und damit statt zu mehr Rechtssicherheit und beschleunigtem Windkraft-Ausbau zu neuen Klagewellen führen könnten. „Die Schutzstandards des Artenschutzrechts werden abgesenkt, ohne dass sich damit ein Gewinn für den forcierten Ausbau der Windenergie verbindet“, lautete etwa das Fazit des renommierten Umweltrechtlers Martin Gellermann im RiffReporter-Interview.
Konflikt mit Lemke – Ein Dilemma für die Naturschützer
Dass die Kritik an den Beschlüssen von Seiten der Naturschutzverbände lange Zeit dennoch eher verhalten war, lag zum einen an der Hoffnung, im Gesetzgebungsverfahren noch Verbesserungen für den Naturschutz erreichen zu können. Auch spielt eine Rolle, dass alle maßgeblichen Verbände grundsätzlich den Umstieg auf Erneuerbare Energien inhaltlich voll unterstützen. Vor allem aber lag es an einer Person: an Bundesumweltministerin Steffi Lemke.
Mit der erfahrenen Grünen-Umweltpolitikerin gebe es seit langem wieder eine Umweltministerin, die kundig sei und der Naturschutz glaubwürdig am Herzen liege, sagt der Vorsitzende eines großen Umweltverbandes. Es werde auch wahrgenommen, dass das Umweltministerium als einziges Ressort versuche, Naturschutzstandards unter schwierigen Bedingungen aufrecht zu erhalten.
Im Ringen mit ihrem Parteifreund und Wirtschaftsminister Robert Habeck könne Lemke sich aber zu oft nicht durchsetzen. Das liege auch an der mangelnden Unterstützung in Sachfragen durch SPD-Politiker. Hinzu komme, dass Lemke oft faktisch gegen drei Koalitionspartner kämpfen müsse: SPD, FDP und die eigene Partei – vor allem in Gestalt Habecks und seines Ministeriums. Insofern treffe die Kritik mit Lemke eigentlich die falsche Person, aber zugleich auch die zuständige Ministerin, sagt ein anderer Verbandschef. „Das Umweltministerium trägt am Ende mit, was im Wirtschaftsministerium angeschoben wird – und das ist entscheidend.“
Nabu geht auf Konfrontationskurs für mehr Naturschutz
Die Zurückhaltung gegenüber der Ampel scheint nun beendet. Gestützt auf ein Gutachten des Berliner Verwaltungsrechtlers Thorsten Deppner geht der Nabu in die Offensive für mehr Naturschutz und fordert die EU-Kommission in einem Beschwerde-Schreiben zum Einschreiten auf.
Deppner hat das Osterpaket im Auftrag des Verbandes analysiert und kommt zu dem Ergebnis, dass die Änderungen im Bundesnaturschutzgesetz in mindestens fünf zentralen Punkten gegen EU-Recht verstoßen.
Im Kern geht es um die Frage, wie nah Windräder an die Nester betroffener Vogelarten heranrücken dürfen, in welchem Umkreis um ein Nest eine Risikoanalyse stattfinden muss und welche Arten überhaupt berücksichtigt werden müssen: zentrale Fragen in jedem Genehmigungsverfahren. Das Gutachten kritisiert beispielsweise, dass die neuen Prüf-Radien nicht auf Basis wissenschaftlicher Standards festgelegt worden seien. „Die Grenze wird vielmehr willkürlich gezogen, basierend auf politischen Erwägungen.“
Weniger Arten, geringere Prüfradien
Tatsächlich sind die zu prüfenden Schutzabstände zwischen Nestern und Windkraftanlagen für zahlreiche Arten nun deutlich geringer als von den Fachbehörden empfohlen und als bislang in vielen Bundesländern praktiziert. Für Fischadler beispielsweise galt in vielen Bundesländern ein „signifikant erhöhtes Tötungsrisiko“ bislang im Radius von 1000 Metern um den Horst herum als gegeben. Viele Genehmigungsbehörden genehmigten in diesen Bereichen bislang keine Windräder.
Im geänderten Bundesnaturschutzgesetz liegt dieser „Nahbereich“ nur noch bei 500 Meter. Noch schlechter könnte es für den hierzulande vom Aussterben bedrohten Schreiadler laufen. Die als Fachbehörden der Länder bislang zuständigen Vogelschutzwarten empfehlen für ihn einen „Tabubereich“ von 6000 Metern, und Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern als Hochburgen der Vorkommen sehen zumindest einen 3000-Meter-Schutzradius vor. Im geänderten Naturschutzgesetz soll dagegen lediglich in einem 1500-Meter-Umkreis um den Horst ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko und damit ein ernstzunehmendes Genehmigungshindernis für Windräder angenommen werden.
Auch die Begrenzung der Prüfung auf nur noch 15 „kollisionsempfindliche“ Vogelarten macht das Gutachten als Verstoß gegen den Artenschutz bei einer Vielzahl anderer Vogelarten aus. Das europäische Recht schützt aber alle wildlebende Vogelarten.
Die Vogelschutzwarten sehen in ihren Abstandsempfehlungen bisher mehr als 40 Arten als kollisionsgefährdet an. Gerichte zogen diese Liste bisher häufig als Entscheidungsgrundlage zu Rate. Nach dem geänderten Naturschutzgesetz sind nur noch die meisten Greifvogelarten und der Weißstorch als „relevant kollisionsgefährdet“ eingestuft. Selbst nach Auffassung der Vogelschutzwarten stark kollisionsgefährdete und zugleich vom Aussterben bedrohte Arten wie Großtrappe oder Bekassine fehlen in der neuen 15 er-Liste der kollisionsgefährdeten Arten.
Politisches Geschachere um einzelne Arten
„Die Mitgliedsstaaten der EU sind verpflichtet, Regelungen zu erlassen, die die Einhaltung des EU-Rechts zum Artenschutz gewährleisten“, sagt Nabu-Bundeseschäftsführer Leif Miller im Gespräch mit RiffReporter. Das bedeute auch, dass neue Regelungen zu Artenschutzprüfungen wissenschaftlich fundiert sein müssten. Mit den Abstandsempfehlungen der Vogelschutzwarten existiere diese Grundlage. „Die Bundesregierung lässt jedoch wissenschaftliche Erkenntnisse zur Naturverträglichkeit außer Acht, ohne dies zu begründen“, kritisiert Miller.
Als ein Paradebeispiel für eine „politisch“ motivierte Entscheidung gilt Fachleuten der Schwarzstorch. Für diese bisher von Windkraftbetreibern besonders häufig als „Bauhindernis“ in den wegen guter Windverhältnisse begehrten Mittelgebirgslagen ausgerufene Vogelart muss nach der Gesetzesänderung keine Prüfung mehr stattfinden. Das, obwohl sie laut Fachliteratur als eindeutig kollisionsgefährdet gilt und in ersten Entwürfen für das Osterpaket auch noch als solche geführt wurde.
In zähem Ringen zwischen Wirtschafts- und Umweltministerium soll sich das Habeck-Ressort in letzter Minute mit der Streichung der Art aus der Liste windkraftsensibler Arten durchgesetzt haben. Dagegen habe das Lemke-Ressort die Streichung des Wespenbussards – eine weitere flächendeckend verbreitete Vogelart, die vielen Windprojektierern ein Dorn im Auge ist – verhindert, heißt es von Insidern.
Brandbrief nach Brüssel
Der Nabu fordert nun von der EU-Kommission, ihrer Rolle als Hüterin des EU-Rechts gerecht zu werden. „Mit diesem Schreiben möchten wir Sie über systematische Verstöße Deutschlands gegen EU-Naturschutzrecht in Kenntnis setzen und Sie um Abhilfe bitten“, heißt es in dem zu Wochenbeginn abgeschickten Beschwerdeschreiben.
„Wir gehen davon aus, dass das Osterpaket der Bundesregierung nicht mit dem europäischen Naturschutzrecht vereinbar ist“, begründet Nabu-Geschäftsführer Miller den Schritt. „So erreichen wir weder eine Beschleunigung des Ausbaus durch rechtssichere Standardisierungen noch eine angemessene Berücksichtigung des Artenschutzes bei der Energiewende.“
Miller kündigt als Konsequenz weitere Klagen an. Der Nabu werde gerichtlich feststellen lassen, dass das Osterpaket nicht mit dem EU-Artenschutzrecht vereinbar sei, sagt er. „Wir werden klagen und sind zuversichtlich zu gewinnen – für Mensch und Natur.“