Ein neues Strafgesetzbuch in Indonesien setzt LGBTQ-Community unter Druck

Das indonesische Parlament hat ein neues Kriminalrecht verabschiedet, das unehelichen Sex sowie das Zusammenwohnen unverheirateter Personen verbietet. Damit werden indirekt auch Homosexuelle und Transmenschen kriminalisiert.

vom Recherche-Kollektiv Weltreporter:
5 Minuten
„Love is Love“: Der Holzschnitt der indonesischen Künstlerin Fitri Dwi Kurniasih zeigt unterschiedlichste Paare, die zusammen eine Herzform bilden (hier nur ein Ausschnitt).

Als ich 2002 nach Jakarta zog, wohnte ich in einer gemischten Frauen-Männer-WG – schon für damalige Verhältnisse recht gewagt. Dass junge Leute aus freundschaftlichen Motiven oder schlicht Geldgründen in derselben Wohnung leben, ohne sexuelle Beziehungen zu haben, war und ist für viele Menschen in Indonesien unvorstellbar. Noch ungewöhnlicher für die muslimisch geprägte Nachbarschaft waren die Bewohner des Nachbarhauses: Dort richtete sich gerade eine fünfköpfige lesbisch-schwule WG ein. Die Bewohner gründeten noch im selben Jahr das Q! Film Festival, das später zum größten LGBTQ-Filmfestival Asiens werden sollte.

Es herrschte eine Stimmung des großen Aufbruchs, vier Jahre nach dem Sturz der Suharto-Diktatur, drei Jahre nach den ersten freien demokratischen Wahlen seit mehr als vier Jahrzehnten. Auf einmal schien vieles möglich, was vorher verboten war: Massendemos, Pressefreiheit, Frauenbewegung, experimentelle Kunst, eine ausschweifende Clubszene. Dazu gehörte das Aufleben von Underground-Bewegungen und in bestimmten Kreisen auch, offen über Homosexualität und Queer-Sein zu sprechen. Im Fernsehen traten Transmenschen auf, in Film und Theater wurde das „dritte Geschlecht“ thematisiert, das früher in vielen Kulturen des Vielvölkerstaats Indonesien eine wichtige Rolle gespielt hat.

Collage der Poster des  Q! Film Festivals in Jakarta aus den Jahren 2003, 2007 und 2013
Poster des Q! Film Festivals in Jakarta, das wenige Jahre nach seiner Gründung 2002 zum größten LGBTQ-Filmfestival Asiens werden sollte. 2017 wurde es aufgrund zunehmender Bedrohungen eingestellt.

Zwanzig Jahre später ist von dieser Aufbruchstimmung nicht mehr viel zu spüren. Mit der Demokratisierung wurden viele Stimmen laut, die zuvor von der Militärdiktatur unterdrückt worden waren – auch die von islamistischen Organisationen, die nicht viel von der erwachenden LGBTQ-Offenheit hielten. 2016 machte der damalige Minister für Technologie, Forschung und Bildung, Mohamad Nasir, Schlagzeilen, als er von den Universitäten forderte, „bestimmte Standards von Anstand bewahren“ sollten. Anlass war eine Broschüre der „Support Group and Resource Center on Sexuality Studies (SGRC)“ an Indonesiens größtem Campus Universitas Indonesia: Das Blatt über sexuelle Aufklärung und Rechte auf freie Entfaltung hatte über die Sozialen Medien die Aufmerksamkeit konservativer Gruppen erregt.

Demonstratierende in Yogyakarta halten Spruchbänder, mit denen sie gegen das neue Strafrecht protestieren.
Demonstration gegen das neue Strafgesetzbuch in Yogyakarta
Banner vor dem Appartement-Komplex Bassura City im Osten Jakartas, dass „alle Formen von Aktivitäten und Praktiken der Prostitution, Abtreibung, Drogen, LGBTQ+, Terrorismus und Menschenhandel stark verurteilt“.
Banner vor dem Appartement-Komplex Bassura City im Osten Jakartas, das „alle Formen von Aktivitäten und Praktiken der Prostitution, Abtreibung, Drogen, LGBTQ+, Terrorismus und Menschenhandel stark verurteilt“.
Der stellvertretende Justiz- und Menschenrechtsminister Eddy Hiariej steht vor der Eingangstür zu seinem Büro in der Universität Gadjah Mada in Yogyakarta.
Der stellvertretende Justiz- und Menschenrechtsminister Eddy Hiariej: „LGBTQ passt nicht in unsere Kultur.“