Ob Insekten, Fische, Vögel, Affen oder Menschen: Homosexualität ist ganz natürlich

Wie ist gleichgeschlechtliches Verhalten entstanden und wie konnte es sich evolutionär behaupten? Die Forschung hat Antworten.

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Zwei bräunliche Enten mit grünem Kopf schwimmen auf dem Wasser und berühren sich gegenseitig an ihren Schnäbeln.

In 66 Staaten wird Homosexualität strafrechtlich verfolgt, in zwölf davon droht sogar die Todesstrafe. Manche streng religiösen Gemeinschaften halten die gleichgeschlechtliche Orientierung für eine zu kurierende Krankheit. Dabei hat die biologische Forschung längst gezeigt: Gleichgeschlechtliche Handlungen sind vollkommen natürlich, sorgen für ein friedliches Verhalten und stabilisieren soziale Gemeinschaften.

Wie ist Homosexualität entstanden?

Einige Fachleute sehen in Studien Hinweise darauf, dass gleichgeschlechtliches Verhalten unabhängig voneinander mehrfach in der Evolution entstanden ist. Deshalb beschäftigen sich Evolutionsbiolog:innen mit der Frage, welchen Nutzen Homosexualität bietet, wo doch die „Kosten“ offensichtlich scheinen: „Wenn Homosexualität strikt ausgelebt wird, reproduziere ich mich nicht“, erläutert Marko Rohlfs, Evolutionsökologe an der Universität Bremen. „Die Weitergabe von Genen ist aber die Währung der Evolution.“

Andererseits hat ein Team um Julia Monk von der Yale University in den USA schon 2019 im Fachjournal Nature Ecology & Evolution die Frage umgedreht: Wenn ein Merkmal über so viele Arten verbreitet ist wie homosexuelles Verhalten, dann gehen Evolutionsbiolog:innen meist davon aus, dass es schon sehr früh in der Evolution vorhanden gewesen ist. Monk vertritt daher die Ansicht, dass es schon immer homo- wie heterosexuelles Verhalten innerhalb einer Art gegeben habe. Sie findet, die Frage müsse nicht lauten, weshalb Individuen sich homosexuell verhalten, sondern eher, weshalb sie es nicht tun sollten.

Ist die sexuelle Orientierung genetisch bedingt?

„Es wurde versucht, ein sogenanntes ‚gay gene‘, also ein Gen für Homosexualität beim Menschen zu identifizieren“, berichtet Rohlfs. „Aber das konnten andere Studien nicht replizieren.“ Dass in manchen Familien überdurchschnittlich viele Menschen schwul oder lesbisch sind, könnte jedoch ein Zeichen dafür sein, dass ein genetischer Einflussfaktor existiert. „Es ist wie bei allen Eigenschaften: Es gibt nicht ‚Umwelt oder Gen‘, es ist immer eine Wechselwirkung“, erklärt der Evolutionsökologe. „Gene kodieren nicht ein bestimmtes Verhalten, sondern biochemische Prozesse.“

Wie verbreitet ist gleichgeschlechtliches Verhalten?

Die Verhaltensforschung hat inzwischen homosexuelles Verhalten in mehr als 1500 Tierarten dokumentiert. Insekten und Spinnen praktizieren es, ebenso Fische, Amphibien, Reptilien, Vögel und Säugetiere. Insbesondere bei Primaten, zu denen auch der Mensch zählt, sind mindestens 51 Arten bekannt, die gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen ausüben. Homosexualität ist zudem gleich häufig bei männlichen wie bei weiblichen Individuen anzutreffen. „Das kann nicht nur ein ‚Unfall‘ der Evolution sein“, sagt Rohlfs. Bei Bonobos – unseren nächsten Verwandten im Tierreich – sei Homosexualität sogar ein Muss in der Gesellschaft.

Mit Blick auf den Menschen müsse daher die Frage gestellt werden, warum gleichgeschlechtliche Aktivitäten nicht viel häufiger sind. „Ob Homosexualität praktiziert wird, fällt nicht unbedingt zusammen mit der inneren Einstellung“, versucht sich Rohlfs an einer Erklärung. „Ein Mensch kann sich heterosexuell verhalten, aber ein homosexuelles Mindset haben, weil die Umwelt es anders nicht hergibt oder sogar sanktioniert.“

Wie begründet die Forschung den evolutionären Nutzen von Homosexualität?

Erst Anfang Oktober ist eine Studie im Fachjournal Nature Communications erschienen, in der die Autor:innen um José Gómez von der Universität Granada in Spanien verglichen haben, wie stark gleichgeschlechtliche Sexualität in den unterschiedlichen Arten ausgeprägt ist – und was diese Arten sonst noch ausmacht. Demnach findet sich Gleichgeschlechtlichkeit vor allem bei Arten mit komplexem Sozialgefüge wie Bonobos, Schimpansen, Löwen oder Wölfen. Auch bei Arten, bei denen sich konkurrierende erwachsene Männchen im Wettstreit manchmal töten, sind gleichgeschlechtliche Handlungen besonders häufig. Das Forschungsteam leitet daraus ab, dass Homosexualität entstanden sein könnte, weil sie positive soziale Bindungen fördert und hilft, gewaltsame Konflikte zu vermeiden.

Rohlfs verweist zudem darauf, dass gleichgeschlechtliche Handlungen nicht immer sexueller Art sein müssen: „Auch Männer klopfen sich auf die Schulter oder nehmen sich in den Arm. Wir signalisieren damit Kooperationswillen.“ Ähnlich wie bei Bonobos dienen diese Handlungen der Gruppenzugehörigkeit, des Aufrechterhaltens einer Bindung über unterschiedliche Grade körperlicher Intimität. Sexuelle Handlungen seien dann nur eine mögliche weitere Ausprägung dieser Intimität.

Welche Facetten haben Forschende im Zusammenhang mit Homosexualität noch entdeckt?

Die Gruppenbildung könnte sogar eine Erklärung für Homophobie sein, argumentiert Rohlfs: Bei Bonobos konkurrieren Gruppen, die sich gemäß individueller Interessen zusammengeschlossen haben. Geraten nun zwei solche Allianzen in Konflikt, von denen eine sich aufgrund homosexueller Handlungen zusammengefunden hat und eine andere aufgrund heterosexuellen Verhaltens, kann Homophobie ein Phänomen in dieser Gesellschaft werden.

In einigen Fällen – beispielsweise bei Insekten – könnten homosexuelle Handlungen auch einfach eine Verwechslung sein, wenn etwa ein Männchen ein anderes Männchen für ein Weibchen hält. Und nicht zuletzt erfolgen gerade beim Menschen sexuelle Handlungen seltener aus Gründen der Fortpflanzung als vielmehr aus Spaß aneinander. Das gibt es so auch bei anderen Primaten.

Eine molekulargenetische Erklärung dafür, dass Homosexualität evolutionär Bestand haben kann, schlug ein Team um Brendan Zietsch von der University of Queensland in Brisbane vor zwei Jahren im Fachjournal Nature Human Behaviour vor: Die Forschenden fanden heraus, dass beim Menschen die gleichen genetischen Merkmale, die mit Homosexualität assoziiert sind, bei heterosexuellen Personen mit vielen Kindern assoziiert sind. Da Letzteres ein evolutionärer Vorteil ist, könnte aufgrund einer Koppelung der entsprechenden Gene die Neigung zu Homosexualität automatisch mitvererbt werden und müsste keinen eigenen evolutionären Vorteil aufweisen.

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