Spinnen hören mit ihren Netzen

Brückenkreuzspinnen weben ihr Netz nicht nur zum Beutefang. Es dient ihnen auch als gigantisches Ohr und als Frühwarnsystem.

vom Recherche-Kollektiv Tierreporter:
4 Minuten
Ein großes Spinnennetz hängt vor einem grünen Hintergrund. An den Spinnfäden befinden sich viele Regentropfen.

Schon bei der Fotoauswahl beginnt das Grübeln. Soll man eine Spinne, noch dazu eine giftige, in Nahaufnahme zeigen, mit allem, was sie hat? Mit ihren behaarten Beinen und dem prallen Hinterleib, auf dem ein Kreuz prangt, das in seiner mysteriösen Schönheit auch einem mittelalterlichen Priestergewand entsprungen sein könnte?

Abstoßend? Oder wundersam?

Viele Menschen fürchten sich vor Spinnen oder finden sie unfassbar abstoßend. Aber dies ist ein Text der Tierreporter, und die begeistern sich für wirklich jede Tierart und -gattung. Für Wasserflöhe, Bärtierchen, Würmer, Schlangen, vermeintliche Schadbiber und Zombiekäfer, genauso wie für Elefanten und Hirsche. Also auch für Spinnen.

(Achtung: Wer jetzt weiterliest, wird beim Runterscrollen auf die sehr explizite Nahaufnahme einer Brückenkreuzspinne stoßen.)

Es sind wundersame Tiere. Im späten Frühling kriechen Dutzende winzigster Jungspinnen aus den Kokons, die das Muttertier im Herbst angefertigt hat, kurz bevor sie starb. Ihr Nachwuchs hat an einem geschützten Ort überwintert und kommt nun zum Vorschein. Noch sind die Spinnen so klein, dass sie sich mit bloßem Auge nur schwer entdecken lassen.

Schon die Jüngsten weben

Aber sie beginnen schon bald, ihr erstes Netz zu weben. Und das ist ein Wunderwerk der Natur. Bei einer ausgewachsenen Kreuzspinne kann es einen Durchmesser von 50 Zentimeter annehmen und ist in etwa 45 Minuten fertig. Mit allen filigranen Details: dem Grundgerüst, den Stützfäden, den Radspeichen und der Fangspirale. Ein Signalfaden führt von der Nabe aus zum Versteck der Spinne und lässt sie bei der kleinsten Vibration aktiv werden. Sie kann mit ihren Beinen orten, wo genau die Beute sich im Netz verfangen hat. In Windeseile hangelt sie sich zu dem zappelnden Insekt, umwickelt es mit klebrigen Fäden, bis es verschnürt ist wie ein Paket, betäubt es mit einem Biss, trägt es in ihr Versteck oder in die Mitte des Netzes. Und saugt es aus.

Doch dieses feingesponnene Wunderwerk Spinnennetz dient nicht nur dem Beutefang. Es ist auch das Ohr der Brückenkreuzspinne (Larinioides sclopetarius), eines, das außerhalb ihres Körpers existiert. Das Netz ist ihr erweiterter Hörsinn, eine Art Trommelfell, bei dem die Fäden die Funktion auditiver Nervenleitungen übernehmen. Das hat ein US-amerikanisches Forschungsteam 2022 herausgefunden. Offenbar können die Tiere Geräusche wie Grillenzirpen oder Mückensummen mithilfe ihrer Spinnfäden wahrnehmen – und zwar auch dann, wenn keine direkten Vibrationen das Fangnetz zum Schwingen bringen.

Eine sehr nahe Aufnahme einer Brückenkreuzspinne. Sie hängt kopfüber und von oben betrachtet im Bild. Man sieht genau die Haare auf ihren acht Beinen und die Kreuzzeichnung auf dem prallen Hinterleib.
Von ganz Nahem betrachtet ist die Brückenkreuzspinne (Larinioides sclopetarius) auch optisch ein Mirakel, allein schon durch ihre Rückenzeichnung.