Beinahe unsterblich: Vor 250 Jahren wurden die geheimnisvollen Bärtierchen entdeckt

Die winzigen Tiere sind Überlebenskünstler. Sie ertragen radioaktive Strahlung, extreme Hitze und Kälte. Selbst einen Ausflug ins Weltall können sie überstehen. Wie schaffen die Bärtierchen das? Was macht sie so robust?

vom Recherche-Kollektiv Tierreporter:
10 Minuten
Das Bärtierchen Echiniscus granulatus unter dem Rasterelektronenmikroskop.

Es ist die Zeit von Gotthold Ephraim Lessing und Wolfgang Amadeus Mozart. In Paris begründet Antoine de Lavoisier die moderne Chemie – und in Quedlinburg arbeitet Ende des 18. Jahrhunderts Johann August Ephraim Goeze als Pastor. Wie viele Kirchenmenschen seiner Zeit interessiert er sich auch für die Natur in seiner Umgebung. Der Mikrokosmos ist seine Welt.

Goeze gehört zu den wenigen Menschen, die damals bereits ein Mikroskop besitzen. In Gräben, Bächen und Sümpfen sammelt er Wasser- und Moosproben. Beinahe jeden Abend studiert er bis tief in die Nacht die Welt im Wassertropfen. Und macht schließlich – am 10. Dezember 1772 – eine ganz besondere Entdeckung: „Mit Recht kann dieses Geschöpf unter die seltensten und seltsamsten gerechnet werden“, schreibt er in den Anhang des von ihm aus dem Französischen übersetzten Werks „Herrn Karl Bonnets Abhandlungen aus der Insektologie“. Weiter heißt es: „Seltsam ist dieses Thierchen, weil der ganze Bau seines Körpers außerordentlich und seltsam ist, und weil es in seiner äusserlichen Gestalt, dem ersten Anblicke nach, die größte Aehnlichkeit mit einem Bäre im Kleinen hat.“ Die Schrift erscheint 1773 – also vor 250 Jahren.

Das Foto zeigt ein Bärtierchen in der Originalzeichnung von Pastor Goeze.
Diesen Kupferstich fertigte Pastor Goeze 1773 von seiner Entdeckung an: Er gab dem Tier den Namen „kleiner Wasserbär“ und markierte Kopf und Mund (a), die Augen (b), die vier Füße einer Seite (c ) und die dreizackigen Klauen daran (d).

Seltsam ist dieses Thierchen, weil der ganze Bau seines Körpers außerordentlich und seltsam ist, und weil es in seiner äusserlichen Gestalt, dem ersten Anblicke nach, die größte Aehnlichkeit mit einem Bäre im Kleinen hat.

Johann August Ephraim Goeze, Entdecker der Bärtierchen im Jahr 1773

Einige Jahre zuvor hatte ein anderer Pastor, nämlich Johann Conrad Eichhorn, ebenfalls Wasserbären oder – wie sie heute heißen – Bärtierchen beobachtet. Da seine Veröffentlichung jedoch später erschien, gilt Goeze als der Entdecker. Bis heute faszinieren die winzigen Organismen Wissenschaftlerїnnen und Laien. Zur Feier der spektakulären Entdeckung vor 250 Jahren richtet die internationale Bärtierchen-Gemeinde in diesem Jahr ein Online-Symposium zu Ehren der Tiere aus: In monatlichen Vorträgen geht es etwa um Ökologie und Evolution, um die einzigartigen Tricks der Bärtierchen und um die Frage, wie sie es schaffen, extreme Hitze und Kälte zu ertragen.

Unter dem Lichtmikroskop sieht man ein Bärtierchen im Tönnchen-Stadium.
Im sogenannten Tönnchen-Stadium befinden sich die Bärtierchen in einem merkwürdigen Zustand zwischen Leben und Tod. Mehr als einhundert Jahre können sie in diesem Stadium überleben – und dabei Hitze, Kälte und sogar radioaktive Strahlung ertragen.
Im unteren Bildteil stehen Mikroskope, darüber sind auf drei großen Monitoren Bärtierchen zu sehen.
Mikroskopisches Theater: Im Deutschen Museum in München haben die winzigen Bärtierchen regelmäßig einen großen Auftritt.
In einer lichtmikroskopischen Aufnahme sieht man, wie ein Bärtierchen einen Fadenwurm vor dem Kopf hat.
Unter dem Stereomikroskop konnte Martin Mach fotografieren, wie ein Bärtierchen der Art Macrobiotus richtersi einen Fadenwurm zuerst ansticht und dann aussaugt. Die Würmer sind einfach zu lang, um sie in Längsrichtung komplett zu verschlingen.
Das Ei des Bärtierchens Macrobiotus sapiens in tausendfacher Vergrößerung unter dem Rasterelektronenmikroskop.
Je nach Art legen Bärtierchen bis zu 35 Eier ab. Unter dem Rasterelektronenmikroskop sehen sie aus wie kleine Kunstwerke. Doch die Ausbuchtungen und Anhänge haben eine Funktion: Sie schützen das Ei und verankern es in der Vegetation, etwa im Moos. Nach zehn bis zwanzig Tagen schlüpfen aus den Eiern winzige Bärtierchen.
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