Biberland – Hochwasserschutz für Menschen, Lebensraum für seltene Arten

Der Biber hat hierzulande keinen guten Ruf. Dabei schützt er Menschen. Denn wo er tätig sein darf, richten Hochwasser und Dürreperioden weniger Schäden an. Manche Gemeinden haben das inzwischen verstanden und setzen auf die Hilfe des Baumeisters.

vom Recherche-Kollektiv Tierreporter:
5 Minuten
Biber im Wasser an einem Baum

Spitz zernagte Baumstümpfe ragen aus dem Unterholz, gefällte Stämme liegen kreuz und quer in der Landschaft, unter den Schuhen schmatzt das Wasser. Wer das Revier eines Bibers betritt, ist mitunter regelrecht geschockt. Hier geht es wüst zu, ganz anders als in einer von Menschenhand geformten Kulturlandschaft. Doch so robust der Biber auch zu Werke gehen mag, umso wertvoller ist sein Beitrag: Er korrigiert unsere menschlichen Fehler.

Wir haben unsere Häuser und Felder bis an die Flussufer herangebaut und sind Überflutungen hilflos ausgeliefert. Gleichzeitig stehen wir in Dürrezeiten ohne Wasser da, weil sich in unserer versiegelten Landschaft kein Tropfen mehr halten kann. Biber hingegen schaffen Auenlandschaften, wenn man sie lässt. Und die schützen Menschen. Wo anschwellende Flüsse in Wiesen übertreten können statt in Heizungskeller, gibt es weniger Flutschäden. Biberdämme sorgen dafür, dass der Grundwasserspiegel auch in Trockenzeiten hoch bleibt – elementar wichtig in Zeiten der Klimaerwärmung mit immer häufigeren Dürreperioden.

Biber als Arten- und Klimaschützer

Des Bibers Hauptwerk besteht dabei im Stauen und Umleiten. Indem er Bäume fällt und Dämme anlegt, verringert er die Fließgeschwindigkeit von Gewässern. Bäche und Flüsse werden angestaut, treten über die Ufer, breiten sich aus. Bruchwälder und Nasswiesen entstehen. Das wiederum zieht viele Arten an, deren Lebensraum stetig schrumpft, wie etwa Schwarzstörche, Fischotter oder Eisvögel. Wo Totholz im Wasser liegt, finden Jungfische einen Unterschlupf. Ein britisches Forschungsteam, von dem noch die Rede sein wird, zeigte in seiner Studie, dass sich die Anzahl von Fischen in Biberstauseen um mehr als ein Drittel erhöht hat, verglichen mit Gewässern, in denen kein Nager aktiv war. Das macht den Biber zu einem äußerst effektiven Artenschützer.

Doch für seinen Einsatz erntet er wenig Dank. Im Gegenteil: Schnell ist vom „Schadbiber“ die Rede, wenn wieder Äcker im Wasser stehen. Was nicht an ihm liegt, sondern daran, dass manche Agrarflächen direkt bis an die Flüsse und Bäche heranreichen. Dabei müssten gerade Landwirte den Nager eigentlich wertschätzen. Er mildert die Folgen der Klimaerwärmung ab, vor allem bei Dürreperioden im Sommer: Mehr Wasser in der Landschaft führt zu einer höheren Verdunstung und damit zu einem Kühleffekt für die unmittelbare Umgebung.

Aber es gibt schon einige Gemeinden, die das segensreiche Wirken des Bibers erkannt haben und auf seine Mithilfe setzen.

Der Biber macht Dinge, die hätte ich von den Naturschutzbehörden nie genehmigt bekommen.

Thomas Lehenherr, Umweltbeauftragter von Bad Saulgau

Etwa in der süddeutschen Kleinstadt Bad Saulgau, die schon seit Jahrzehnten eine Vorreiterrolle beim Artenschutz einnimmt und sich zurecht „Landeshauptstadt der Biodiversität“ nennen darf. 2019 wurde dort ein stadtnaher Naturpark gebaut, mit Teichen, Bächen und Stegen. Das Areal war noch nicht fertig, da fand sich schon ein Biber ein und mischte beim Anlagenbau mit. Er wurde nicht vertrieben, im Gegenteil. Man ließ ihn seine Arbeit tun und war froh darum. „Der Biber macht Dinge“, sagt der Umweltbeauftragte Thomas Lehenherr, der für die Planung des Naturparks verantwortlich war, „die hätte ich von den Naturschutzbehörden nie genehmigt bekommen.“

Auch auf der Schwäbischen Alb sind die Nager gezielt im Einsatz. Dort liegt das Naturschutzgebiet Geifitze. Früher war das ein Moor, das höchstgelegene auf der Alb, inzwischen ist es weitgehend verschwunden. Doch das soll so nicht bleiben. Zwei Biberpaare haben sich am Oberlauf des Flusses Schmiecha angesiedelt. Und denen lässt die Gemeinde im Naturschutzgebiet mehr oder weniger freie Hand. Was den Uferbereich bis zum Ortsteil Onstmettingen betrifft, „wurde die Wiedervernässung bereits weitgehend durch den Biber vorgenommen“, schreibt der zuständige Biberberater Benjamin Unterseher in einer Mail. Die Folgen dieser Tätigkeit sind beeindruckend: Direkt neben dem Fluss ist eine Biberseenlandschaft entstanden, die in Nasswiesen und Riedflächen übergeht. Der mittlere Grundwasserspiegel ist angestiegen, selbst im weiteren Umland, was den Agrarflächen der Landwirte zugutekommt. „Durch das länger in der Landschaft zurückgehaltene Wasser“, schreibt Unterseher, „werden einerseits Trockenperioden abgepuffert und andererseits Hochwasserspitzen bei Starkregenereignissen durch den langsameren Abfluss gedämpft.“

Biber schützen vor Hochwasser

Genau diesen Schutz vor Hochwasser stellte auch das oben erwähnte britische Forschungsteam fest. Es hatte zwei Biberfamilien und deren Aktivitäten im südwestenglischen Devon über einen Zeitraum von fünf Jahren begleitet. 2020 erschien die umfangreiche Studie. Während des Beobachtungszeitraums hatte sich zunächst die Biber-Population auf mindestens acht Paare vergrößert. Die breiteten sich am Fluss Otter und seinen Nebenflüssen aus. Eines der Paare baute seine Dämme flussaufwärts eines Dorfes, das in der Vergangenheit schon mehrfach überflutet worden war. Mit dem Einzug der Biber erhielt die Siedlung einen veritablen Hochwasserschutz. Die Dämme hielten das Wasser zurück und drückten es in die Flussauen. Dadurch wurde die Geschwindigkeit des abfließenden Wassers verlangsamt, das sonst ungebremst ins Dorf hinabgeschossen war. Der Überflutungsschutz zeigte sogar nach Starkregen und tagelang anhaltenden Niederschlägen noch seine Wirkung.

Biber brauchen Kommunikation

Und doch – sobald Biber auf den Plan treten, gibt es Konflikte. Das weiß auch der Biberberater Unterseher aus dem Zollernalbkreis. Die Tiere machen sich über Maisstängel und Zuckerrüben her, fällen Bäume am Straßenrand, untergraben mitunter Deiche. „Die wohl wichtigste Aufgabe des Bibermanagers ist es“, so Unterseher, „mögliche Biberkonflikte von vornherein zu verhindern und bestehende Konflikte möglichst langfristig und nachhaltig zu lösen.“ Durch unermüdliche Kommunikation mit den Betroffenen und den Skeptischen.

So macht es auch die schweizerische Gemeinde Horn am Bodensee. Sie sucht das direkte Gespräch, und zwar mit dem Nager selbst. Bäume, die der Biber in Ruhe lassen soll, werden nicht nur umzäunt, sondern auch mit einem Schild versehen: „Bitte Herr Biber. Lassen sie diesen Baum stehen, fressen sie lieber andere.“

Und diese anderen gibt es. Einen angenagten Baum hat die Gemeinde offenbar freigegeben, denn auf einem zweiten Schild steht: „Lieber Biber diesen Baum dürfen sie fressen.“

Es muss ein gedeihliches Auskommen sein mit Bibern und Bürgern in dieser Stadt.

Von einem Biber angenagter Baum, daneben ein Schild
So geht Biber-Bürger-Kommunikation. Die Gemeinde Horn in der Schweiz hat es verstanden. Mit herzlichem Dank an den Fotografen Dominique R. Lambert (Dompy).
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