Hallo wach! Wie es uns gelingt, mit der Zeit zu leben. Teil 7: Mach mal Pause!

Gehirn und Körper sind nicht dafür gemacht, über lange Zeit hinweg auf hohem Niveau zu arbeiten. Wer sich regelmäßige Auszeiten gönnt, lebt gesünder und wird mit besseren Ergebnissen belohnt. Siebter Teil der RiffReporter-Serie über eine neue Zeitkultur.

19 Minuten
Die Silhouette einer grauen Insel erhebt sich aus einem ebenfalls grauen Meer. Darüber ein grauer Himmel.

Im Mai 2024 ist es so weit: Abermilliarden Siebzehn-Jahres-Zikaden und noch dazu eine große Brut der Dreizehn-Jahres-Zikaden schlüpfen in einigen Staaten im Osten der USA fast zeitgleich. Es ist ein ganz besonderes „Year of the Locust“, wie es Bob Dylan schon 1970 besang.

Nur alle 221 Jahre kommt es vor, dass die beiden Arten ihre Metamorphose zum geschlechtsreifen Tier gleichzeitig starten. Die Situation vor Ort ist dramatisch aber ungefährlich. Die Insekten sind fast überall und machen einen ohrenbetäubenden Lärm. Den Menschen können sie nichts anhaben. Sie wollen sich paaren und Eier ablegen, um danach erneut für viele Jahre zu verschwinden.

Die Invasion der Zikaden

In unbeschreiblichen Massen kriechen die Tiere aus dem Erdreich. Dort hatten sie als Larven je nach Art die letzten siebzehn oder eben dreizehn Jahre ihres Lebens verbracht und sich vom Wurzelsaft der Bäume ernährt.

Nun schwingen sich die knapp daumengroßen schwarzbraunen Männchen mit den hübsch geäderten Flügeln, den auffallend roten Augen und der unerhörten Fähigkeit zum Krachmachen haufenweise in die Baumwipfel. Sogleich beginnen sie mit ihrem ohrenbetäubenden Gezirpe, das einzig dem Zweck dient, ein Weibchen abzubekommen, sich fortzupflanzen und so zur nächsten Generation beizutragen, die die kommenden siebzehn oder dreizehn Jahre ihr unscheinbares Larvendasein fristen darf.

Jenseits von Tag und Nacht

Der biologische Zweck des Ganzen ist wohl der Versuch, Feinden aus dem Weg zu gehen. Einerseits hilft dabei die Gleichzeitigkeit, denn diese Art von Bio-Flashmob überfordert jeden räuberischen Feind, egal ob Vogel, Waschbär oder Marder.

Andererseits ist es sicher kein Zufall, dass die Tiere alle siebzehn oder dreizehn Jahre zirpen. Beides sind Primzahlen, die also nur durch sich selbst und die Zahl eins teilbar sind. Eine Theorie besagt, dass die Zikaden vor Jahrzehntausenden vielleicht eine räuberische Schlupfwespe als Feind hatten. Dieser wichen sie mit der seltsamen Rhythmik aus, denn es gelang der Wespe offenbar nicht, rasch genug denselben Lebenszyklus zu entwickeln.

Blüte nach 120 Jahren

Die Chronobiologie fragt sich natürlich, wie es Lebewesen überhaupt gelingt, Zeiträume von dreizehn- oder siebzehn Jahren so exakt zu messen. Auch die Eigenschaft mancher Bambus-Arten, nach sehr vielen Jahren überall auf dem Globus zugleich zu blühen, gehört zu den großen Rätseln der Natur. Spitzenreiter ist hier übrigens die Art Phyllostachys bambusoides: Blütezeit alle 120 Jahre!

Ein großes Insekt mit grauem Leib, gelben geäderten Flügeln und roten Augen sitzt auf einem Baumstamm.
Die 17-Jahres-Zikade, Magicicada cassini, lebt in Nordamerika und erscheint alle 17 Jahre gleichzeitig in großen Mengen. In der Zeit dazwischen lebt sie als Larve im Boden.

Uns lehren Zikaden und Bambus neben einer gehörigen Portion Demut vor den Leistungen der Natur vor allem, dass innere Uhren sehr viel mehr können, als das Anbrechen von Tag und Nacht vorherzusagen. Welche Zeiträume die biochemischen Uhrwerke in den Zellen takten, hängt ganz davon ab, welcher Rhythmus für eine Art besonders wichtig ist. Den Rest erledigt die Evolution ganz von alleine.

Im Rhythmus der Gezeiten

Den Meeres-Zuckmücken der Gattung Clunio zum Beispiel bleiben exakt alle 14,76 Tage gerade mal zwanzig Minuten Zeit, um aus der Puppe zu schlüpfen, sich zu paaren und Eier abzulegen. Sie leben als Larven in den Pfützen der Brandungszone. Diese sind nur bei den besonders niedrigen Ebben, die auf eine Springflut folgen, derart lange trocken.

Es wundert kaum, dass der Rhythmus aus Neu- und Vollmond sowie die davon abhängigen Gezeiten Meeresbewohner ganz besonders prägen. Viele Krebse wissen zum Beispiel genau, wann Ebbe und Flut kommen. Und der Palolo-Wurm, ein Vielborster, der die Böden der pazifischen Südsee bewohnt, schnürt immer nur am Morgen nach dem ersten Vollmond im November seine Fortpflanzungskapseln ab.

Ein weiterer Vielborster, der Bermuda-Glühwurm, half wegen seines inneren Gespürs für den Mond angeblich sogar bei der „Entdeckung“ Amerikas. Kolumbus soll dem phosphoreszierenden Leuchten gefolgt sein, das die Weibchen dieser Art in Sommernächten vor und nach Vollmond abstrahlen, um Männchen anzulocken. Der Seefahrer dachte angeblich, das Licht werde von Menschen erzeugt. Und tatsächlich leitete es ihn zur Bahamas-Insel San Salvador, wo Kolumbus erstmals den Boden der Neuen Welt betrat.

Mond und Menstruation

Für die Biologie des Menschen, der schon sehr lange in seiner Ahnenreihe zurückblicken muss, bis er Meeresbewohnende findet, ist der Rhythmus des Mondes vergleichsweise unwichtig. Immerhin fand die Chronobiologin Charlotte Förstervon der Universität Würzburg im Jahr 2021 Hinweise für einen geringen Einfluss der Mondphasen auf den weibliche Menstruationszyklus. Im Jahr 2024 bestätigten andere Forschende das Resultat.

Ungleich bedeutender für das menschliche Leben mit der Zeit sind neben den dominierenden Tag-Nacht-Zyklen so genannte ultradiane Rhythmen. Ultradian bedeutet dabei einfach nur, dass die jeweiligen Zyklen kürzer sind als 24 Stunden. Wenn eine Katze beispielsweise Tag und Nacht alle drei bis vier Stunden ein ausgiebiges Nickerchen macht, dann ist das ein ultradianer Rhythmus.

Warum wir Pausen brauchen

Und selbst wenn die meisten unserer inneren Vorgänge – von der Ausschüttung vieler Hormone bis zur Schwankung der Körpertemperatur oder dem Wachstum von Haaren, Immunzellen und Haut – sogenannte zirkadiane Rhythmen sind, wenn sie also im Laufe eines Tages nur ein Hoch und ein Tief haben, so sind doch manche Vorgänge zusätzlich von ultradianen Rhythmen beeinflusst.

Abendstimmung: Vor einem wolkenlosen Abendhimmel mit viel Rot, das in Indigo übergeht, zeichnet sich in der Ferne die Silhouette einer Baumreihe ab.
Der Tag-Nacht-Rhythmus ist der wichtigste biologische Zyklus des Menschen. Aber es gibt auch kürzere Rhythmen. Deshalb brauchen wir im Laufe eines Tages alle 90 Minuten kurze und alle vier Stunden lange Pausen.
Vor einem Modegeschäft gehen zwei Männer spazieren. Sie tragen einen Regenschirm.
Auch bei schlechtem Wetter lohnt es sich, die Mittagspause im Freien zu verbringen. Die Bewegung und das Tageslicht helfen, die innere Rhythmik zu stabilisieren. Und das Gehirn darf abschalten.
Ein Geschäftsmann schläft sitzend an seinem Schreibtisch.
Wer nachts zu wenig schläft kann sein Schlafbedürfnis auch im Laufe des Tages befriedigen. Es empfiehlt sich dabei mehrere sogenannte Powernaps – Kurznickerchen für mehr Energie – über den Tag zu verteilen.
Drei Personen sitzen im Schneidersitz auf Yogamatten und falten ihre Hände. Die Augen sind geschlossen.
Moderne Unternehmen wie BASF bieten ihren Mitarbeitenden während der Arbeitszeit Kurse mit Entspannungsübungen an.

Sie möchten mehr über die neue Zeitkultur erfahren?

Weiter lesen Sie im achten und letzten Teil der Serie (erscheint am 20. Juni):

Esst euch fit!

Im letzten Teil der Serie geht es darum, wie wir sogenannte periphere Uhren im Körper unterstützen können. Denn Essen und Bewegen zur rechten Zeit machen nicht nur Sportlerïnnen fitter.

Eine Einführung ins Thema samt einer Übersicht über alle Beiträge finden Sie hier.

Alle Beiträge dieser Serie erschienen erstmals im Buch „Wake up! Aufbruch in eine ausgeschlafene Gesellschaft“. Sie wurden jetzt überarbeitet und aktualisiert.

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