Unnützes Unkraut?

Ob Bananen oder Weizen – unsere Nahrung ist genetisch verarmt. Wissenschaftlerïnnen erforschen, wie verwandte Wildarten wichtigen Nutzpflanzen gegen Klimastress und Krankheiten helfen könnten.

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Im Vordergrund steht der reife Weizen im Feld, im Hintergrund sieht man weitere kleinräumige Felder und einen Gebirgszug.

Viele denken bei Biodiversität vor allem an exotische Tiere und unberührte Naturlandschaften. Doch auch für unsere ganz normalen Nutzpflanzen wie Kartoffel, Zuckerrübe oder Weizen, die uns täglich ernähren, spielt die Artenvielfalt eine wichtige Rolle. Nutzpflanzen gegen Klimastress und Pflanzenkrankheiten zu rüsten ist eine der wichtigsten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Dafür sind die wilden und lange vernachlässigten Verwandten unserer Nutzpflanzen enorm wichtig, wie unsere Recherche für „Countdown Natur“ zeigt.

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Jedes Rennpferd ist ein biologisches Meisterwerk. Schnell – natürlich – aber auch schön, stark und schlau. Das stolze Ergebnis von Generationen der Zucht durch ihre Besitzer, die ein ums andere Mal genau die Tiere ausgewählt haben, die Nachkommen produzieren und ihre Eigenschaften weitergeben sollten.

Ein Weizenfeld ist wie eine gigantische Herde von Rennpferden. Jeder Halm, jedes Korn seit Generationen optimiert, von Bäuerinnen und Bauern, von Züchterinnen und Züchtern, von Bäckerinnen und Müllern und uns, den Leuten, die den Weizen essen. Und nicht nur der Weizen.

Alle unsere Nutzpflanzen sind solche „Rennpferde“ – Rüben und Tomaten, Raps und Bananen, Sellerie und Wein. Optimiert auf Ertrag, natürlich, aber auch auf Geschmack, Farbe, Erntefreundlichkeit und viele andere Eigenschaften. Und das gilt nicht nur für die modernen Hochleistungssorten, die in Kühlschiffen rund um den Planeten transportiert werden, sondern auch für die bei Umwelt- und Gesundheitsbewussten so beliebten sogenannten Landrassen und traditionellen Sorten – vom Danziger Kantapfel bis zum Bamberger Hörnla, einer alten Kartoffelsorte. Alles Rennpferde, alles Topathleten. Und alle auf ihre Weise anfällig.

Die Rennpferde Always Shopping, Off Topic und Proud Emma Kopf an Kopf auf der Rennstrecke.
Rennpferde sind hochgezüchtete Topathleten, über viele Generationen aus wilden Vorfahren gezüchtet.
Schwarzweißfoto von einem kleinen, dunklen, stämmigen Pferd, das von einem bärtigen Mann in Uniform am Halfter gehalten wird.
Der Cherson-Tarpan, das einzige bekannte fotografisch festgehaltene Individuum des Tarpans. Das Foto wurde im Moskauer Zoo aufgenommen und 1844 veröffentlicht. Das Pferd, ein Wallach, war zum Zeitpunkt der Aufnahme 18 Jahre alt und möglicherweise kein reinerbiges Exemplar der Wildpferdeart.
In zwei offenen Weckgläsern stecken Bündel von getrockneten Grashalmen mit tonnenförmigen Ähren und langen Grannen.
Verschiedene Arten der Gattung Aegilops, wilde Verwandte des Weizens, in der Lehrsammlung einer Genbank
Ein Bauer in Äthiopien bindet eine Garbe Weizen.
Äthiopien ist eines der ältesten Anbaugebiete für Weizen. Auch hier sind die Ernten durch Ug99 bedroht.
Zuckerrüben liegen auf einem Haufen am Feldrand.
Die Vorfahren der Zuckerrüben wurden im 18. Jahrhundert in Schlesien aus Runkelrüben gezüchtet. Später lieferte eine entfernte Verwandte der Zuckerrübe Resistenz gegen Rübenzystennematoden, die heute Rübensorten weltweit vor dem schädlichen Fadenwurm schützt.
Samen liegen auf einem Papierfließ im Labor. Einige haben bereits zarte grüne Keimlinge entwickelt, andere liegen noch ungekeimt herum.
Jede Generation muss vom Samenkorn bis zur reifen Pflanze aufgezogen werden, um die „gewünschten“ Nachkommen auslesen zu können. Nur mit diesen wird dann weiter gezüchtet.
Ein fensterloser Raum steht voller Regale, die vom Boden bis zur Decke  mit verschlossenen Weckgläsern gefüllt sind. Die Gläser enthalten verschiedene Samen. Alle Gläser sind etikettiert und tragen eine zehnstellige Kennnummer.
Ein Lagerraum für Saatgut in der Genbank des Leibniz-Instituts für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben
Eine niedrige, stachelige strauchige Pflanze wächst im Schotter am Straßenrand in einer trockenen, gebirgigen Landschaft. Sie trägt gelbe Früchte, die an Tomaten erinnern.
Eine wilde Solanum-Art aus der Familie der Nachtschattengewächse, zu der auch Kartoffeln und Tomaten gehören, an einem Straßenrand in der Tigray-Region in Äthiopien