Mit Subventionen zum Verkehrsinfarkt

Wie Privilegien für Dienstwagen Stau und Luftverschmutzung steigern

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Dichter Nebel auf einer viel befahrenen mehrspurigen Straße

Busy Streets – Auf neuen Wegen in die Stadt der Zukunft

Die Professoren Daniel Metzler, Andreas Humpe und Stefan Gössling haben 1.500 Mobilitätstagebücher analysiert, die im Rahmen des Deutschen Mobilitätspanels entstanden sind. Die Ergebnisse zeigen: Dienstwagen machen Arbeitnehmer zu Vielfahrern und blockieren die Verkehrswende.

Busy Streets: Herr Gössling, Sie wollen die Dienstwagen abschaffen, warum?

Stefan Gössling: Besitzer von Dienstwagen sind Vielfahrer. Sie legen jedes Jahr 24.672 km mit ihrem Firmenwagen zurück. Das sind fast doppelt so viele Kilometer, wie Halter von Privatwagen durchschnittlich zurücklegen, nämlich 12.828 km.

Busy Streets: Müssen Dienstwagen-Besitzer nicht zwangsläufig mehr fahren?

Gössling: Der klassische Vertreter ist nicht unbedingt der Hauptempfänger von Dienstwagen. In der Regel werden Dienstwagen von Arbeitgebern als zusätzliches Einkommen eingesetzt. Sie sind für viele Angestellte Bestandteil eines attraktiven Jobs.

Busy Streets: Wie erklären Sie die deutlich höhere Zahl an gefahrenen Kilometern?

Gössling: Unsere Analyse der Mobilitätstagebücher zeigt: Wer einen Dienstwagen hat, nutzt ihn so viel wie möglich. Das ist insofern logisch, weil der Gebrauch des Wagens fast kostenfrei möglich ist. Der Angestellte muss ein Prozent des Bruttolistenpreises als geldwerten Vorteil versteuern, ansonsten fallen für ihn neben den Benzinkosten, keine Kosten an. Je mehr Wege er also mit dem Wagen zurücklegt umso größer ist sein persönlicher Vorteil.

Busy Streets: Gilt das auch für Firmeninhaber, die einen Dienstwagen nutzen?

Gössling: Nein. Sie legen im Jahr mit 18.792 km deutlich weniger Strecke zurück als ihre Mitarbeiter.

Busy Streets: Nutzen Dienstwagenbesitzer denn auch andere Verkehrsmittel wie Bus oder Bahn?

Gössling: Das hohe Fahrvolumen legt nahe, dass der Dienstwagen das Verkehrsmittel ihrer Wahl und nicht nur für sie, sondern für ihre ganze Familie wird. Der Partner oder die erwachsenen Kinder nutzen ihn ebenfalls oder verfügen noch über einen Zweitwagen: Wo es einen Dienstwagen im Haushalt gibt, werden häufig weitere Wagen angeschafft.

Busy Streets: Also prägt ein Dienstwagen das Mobilitätsverhalten der ganzen Familie?

Gössling: Genau. Zudem macht es längere Pendlerstrecken attraktiver. Wenn man einen Dienstwagen hat, werden weitere Strecken zum Arbeitgeber akzeptabler. Das zeigen auch internationale Studien.

Busy Streets: Im Umkehrschluss heißt das: Ein Dienstwagen steigert den Verkehr?

Gössling: Ja. Dienstwagen sorgen für ein höheres Verkehrsaufkommen. Dienstwagen steigern damit auch Umweltverschmutzung und Enge im Verkehr. Ohne diesen finanziellen Anreiz würden die Mitarbeiter deutlich weniger Autofahren. Um lange Pendlerstrecken zu vermeiden, würden einige Arbeitnehmer vermutlich umziehen, sich einen anderen Arbeitgeber suchen oder auch andere Verkehrsmittel nutzen.

Busy Streets: Was passiert, wenn der Benzinpreis steigt?

Gössling: Die Fahrten mit den Dienstwagen werden reduziert. Steigt der Preis um zehn Prozent, verringert sich die Fahrleistung bei Dienstwagen um etwa acht Prozent, bei Privatwagen nur um drei Prozent. Das werten wir als Beleg, dass viele Dienstwagenfahrten „zusätzlich“ sind.

Busy Streets: Der Anteil der Dienstwagen am Gesamtbestand aller neu zugelassenen Pkw lag 2017 allein bei den Neuzulassungen bei über 60 Prozent. Würden die abgeschafft …

Gössling: … würde Deutschland aktiv eine nachhaltige Verkehrspolitik betreiben. Das verpassen die Verkehrsminister aber seit Jahren. Die technischen Verbesserungen am Fahrzeug allein reichen nicht aus, um den Verkehr auf den Straßen zu verringern und um die Emissionen aus dem Straßenverkehr zu reduzieren. Um das zu schaffen, muss Deutschland das Mobilitätsverhalten seiner Bewohner verändern.

Busy Streets: Wie kann dieses neue Mobilitätsverhalten aussehen?

Gössling: Es muss vor allem nachhaltiger sein. In den Städten können die Menschen mehr mit dem Fahrrad oder Bus und Bahn unterwegs sein. In der Stadt ist das Fahrrad sowieso auf der Kurzstrecke unschlagbar schnell. Wir brauchen mehr Flexibilität. Die Arbeitgeber können ihre Mitarbeiter auch mal mit dem Zug zum Termin schicken. Das lohnt sich für sie sogar, da der Mitarbeiter im Zug noch arbeiten könnte. Grundsätzlich geht es aber darum, Mobilitätsgewohnheiten zu verändern.

Busy Streets: Momentan ist der Dienstwagen noch ein Prestigeobjekt. Wer Auto fährt steigt meist nicht gerne in die Bahn.

Gössling: Dieses Denken können wir uns nicht leisten, wenn wir die Klimaziele einhalten wollen.

Busy Streets: Was muss jetzt geschehen?

Gössling: Wir brauchen jetzt eine Debatte über die Mobilität der Zukunft. Wir müssen jetzt diskutieren, ob wir in Zukunft überhaupt noch eigene Wagen besitzen können und was es für Alternativen gibt. Das Angebot an Mobilität verändert sich gerade rasant. Sharing von Autos, Fahrrädern, E-Scootern oder E-Tretrollern sind nur einige Beispiele. In den USA ist es schon längst üblich, sich Autofahrten zu teilen, per App. Bald können wir vielleicht per App auch das autonome E-Fahrzeug bestellen. Es ist Zeit, Mobilität ganz neu zu denken. Wir müssen aber jetzt festlegen, wie nachhaltig die Mobilität sein soll.

Busy Streets: In welchem Umfang könnten die Emissionen im Verkehr reduziert werden, wenn die Dienstwagenvergünstigungen abgeschafft werden?

Gössling: Bundesweit können die Emissionen aus dem Personenverkehr unseren Berechnungen zufolge um bis zu 7,5 Prozent reduziert werden. Mit dieser Maßnahme würde Deutschland erstmals seinem Ziel, die Emissionen aus dem Verkehr zu reduzieren, tatsächlich einen Schritt näher kommen.

Busy Streets: Was bringen technische Verbesserungen am Fahrzeug, um die Emissionen zu senken?

Gössling: Die mögliche Reduzierung von Emissionen durch technische Verbesserungen am Fahrzeug machen die Konzerne durch ihre Modelle selbst zunichte, indem sie immer größere und schwerere Autos auf den Markt bringen. Der durchschnittliche CO2-Wert der Fahrzeugflotte ist im letzten Jahr wieder gestiegen. Außerdem ist der Pkw- und Lkw-Verkehr zwischen 1995 und 2016 um etwa 21 Prozent gewachsen. Diese Steigerung können die technischen Verbesserungen nicht kompensieren.

Busy Streets: Es heißt immer, dass das Auto für die jüngere Generation an Attraktivität verliert, stimmt das nicht?

Gössling: Dieser Effekt zeigt sich in einigen Großstädten wie Berlin, wo es leicht und attraktiv ist, auf andere Verkehrsmittel auszuweichen, aber noch nicht bundesweit. Im Gegenteil, der Autobesitz steigt an. Die Motorisierung hat seit 2016 mit 555 Pkw pro Einwohner einen neuen Höchststand erreicht, 2010 waren es noch 527 pro 1000 Einwohner.

Busy Streets: Was sollte das Verkehrsministerium jetzt tun, um das Mobilitätsverhalten der Menschen zu ändern?

Gössling: Wir brauchen endlich eine Verkehrspolitik, die nicht nur das Auto fördert, sondern die gesamte Bandbreite der Mobilität. Vor allem in Städten brauchen wir ein massives Umdenken, denn hier geht es nicht nur um Klimagasemissionen, sondern die Gesundheit der Bewohner.