Mehr Bluff als Blühstreifen?

Nicht alle Bemühungen für den Schutz der Artenvielfalt in der Agrarlandschaft sind erfolgreich: Bunte Blumen können täuschen.

von Carl-Albrecht von Treuenfels
7 Minuten
Auf diesem Bild ist ein Biotop zu sehen, wie es sich viele Naturschützer wünschen. Da wachsen die unterschiedlichsten Pflanzenarten, in der Mitte ragt ein Baum heraus.

Ackerrandstreifen, Blühstreifen, Blühflächen, Bienenweiden, Buntbrachen, Schonstreifen, Lerchenfenster, Feldvogelinseln, Wildäcker, Waldrandstreifen, Pufferstreifen, Bejagungs- und Naturschneisen, Stilllegungsflächen, Greeningflächen, ökologische Vorrangflächen: Es wimmelt nur so von Namen für die Bemühungen von Politik, Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Jagd und Naturschutz darum, die Artenviefalt zu schützen.

Das Ziel ist klar: Dem von uns Menschen verursachten rasanten Artenschwund der jüngeren Vergangenheit Einhalt zu gebieten und möglichst sogar eine Umkehr dieser katastrophalen Entwicklung zu bewirken. Beim Klimawandel und beim Bienensterben, jüngst auch wieder beim Waldsterben wollen die wenigsten zurückstehen, zumindest mit guten Worten und Anregungen nicht. Ökologische Themen haben es dauerhaft in die höchsten politischen Gremien geschafft.

Auch an ersten Leistungsnachweisen fehlt es nicht. So verkündete im Mai dieses Jahres der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied, die deutschen Bauern hätten 2018 rund 117.057 Hektar Blühfläche – von insgesamt 16,7 Millionen Hektar landwirtschaftlich genutzter Fläche – angebaut. Das entspreche einem fünf Meter breiten blühenden Band von 234.114 Kilometern Länge, das knapp sechs Mal um die Erde reiche.

Der Vogel sitzt auf einer Pflanze, die sich unter seinem Gewicht verbiegt.
Das Männchen des Rotrückenwürgers, auch als Neuntöter bekannt, hat sein Nest in einer nahen Feldhecke, die zu jeder Blühfläche eine wichtige Ergänzung ist. Wie andere Vögel, die in Büschen und Sträuchern brüten, fliegt es regelmäßig zum Blütenmeer, um sich und seine Brut mit Insektennahrung zu versorgen. Wenn das Weibchen die Jungen nicht mehr hudert (wärmt), sitzt es auch auf einer Pflanzenwarte.

Der Bauernpräsident beeilte sich auch anzukündigen, das sei noch lange nicht das Ende der blühenden Landwirtschaft. Da reibt man sich zunächst anerkennend die Augen bei so viel Einsatz für die Natur. Doch wer in diesem Sommer durch die Lande fuhr, hielt oft vergebens an den Ackerrändern nach sichtbaren Blühstreifen Ausschau. Ein, zwei oder drei Meter breite Streifen mit der blauen, ursprünglich aus Nordamerika stammenden Phacelie (Phacelia tanacetifolia), auch „Bienenfreund“ genannt, oder mit gelbbraunen Sonnenblumen, gelegentlich mit blauen Kornblumen oder rotem Klatschmohn, lassen Rückschlüsse auf die ökologischen Bemühungen der Feldbearbeiter zu. Sie sind oft so schmal und versteckt, dass selbst Insekten sie nicht finden. Und liegen sie parallel zum Straßenrand, werden diese noch leicht zu Opfern des Straßenverkehrs.

Weniger als fünf Meter Breite bringt kaum ökologischen Gewinn

Selbst wenn die einjährige Phacelie in einem zehn oder zwanzig Meter breiten Feld je nach Einsaattermin zwischen Mai und September ihren dichten leuchtend blauen Blütenteppich entfaltet, ist ihre Nahrung spendende Wirkung überwiegend auf Bienen, Hummeln, Wespen, Schmetterlinge und Fliegen der verschiedenen wildlebenden Arten beschränkt. Der Imker freut sich für seine Bienenstöcke über ein nahes Feld mit Phacelie, die auch oft als Zwischenfrucht genutzt wird, denn sie spendet seinen Bienen reiche Honigtracht.

Vögel, kleine Säugetiere und viele andere Insekten bevorzugen aber von einer bunten Pflanzenmischung bewachsene Feldflächen. Zwischen 30 und 50 Wild- und Kulturpflanzen, die als Saatmischungen über den Handel erhältlich sind, sollen Blühflächen nach einer Faustregel enthalten. Dabei ist nicht jede bunte Blume eine gute Nahrungsquelle. Wichtig bei der Auswahl der Arten ist, dass sie für die Region geeignet sind. Manche der wenigen Länderagrarministerien, die Blühstreifen finanziell fördern, schreiben sogar vor, welche Arten ausgesät werden müssen. Der Fachhandel hat sich darauf eingestellt.

Blühstreifen sollen vielfältig sein, doch in diesem wächst erkennbar nur eine Pflanzenart.
Dieser knapp zwei Meter mit blauer Phacelia eingesäte schmale Streifen zwischen einer Straßenhecke und einem Maisacker mag für das menschliche Auge schön erscheinen. Zu kleine Flächen mit nur einer oder zwei Pflanzenarten bringen aber wenig bis nichts für die biologische Vielfalt.

Von Bedeutung ist auch, dass die Pflanzen zu unterschiedlichen Jahreszeiten blühen, um über mehrere Monate, von April bis September, Nahrung und Deckung für Vögel, Insekten und Säugetiere bis zur Größe von Rehen zu bieten. Bodennahe Kräuter und Gräser sollen sich mit höheren Gewächsen, die auch als Sitzwarten dienen können, abwechseln. Je breiter und länger die Blühfläche ist, desto anziehender wirkt sie und desto besser ist sie als dauerhafter Aufenthaltsort für eine Vielfalt von Lebewesen geeignet.

Weniger als fünf Meter Breite bringt kaum oder keinen ökologischen Gewinn. Nicht zu vergessen sind zwischendrin bewuchsfreie Flächen, auf denen sich Tiere, etwa durchziehende und rastende Vögel, ausruhen und Reptilien Sonnenwärme tanken können. Von hier aus laufen bodenbrütende Vögel wie Feldlerchen und Ammern zu ihren Nestern. Für in Büschen, Sträuchern und Bäumen brütende Arten ist es vorteilhaft, wenn sich derartige Biotope in der Nähe von Blühflächen befinden. Zur Zeit der Jungenaufzucht beweist das ein reger Flugverkehr zwischen Nistplätzen und Nahrungshabitat.

Ein Schwarzmilan im Flug, ein dunkler Vogel, den man daran erkennt, dass am Ende der Flügel nur 5 Federn prominent abstehen statt 6 Federn beim Rotmilan.
Greifvögel wie dieser Schwarzmilan, aber auch Rotmilane, Mäusebussarde, Turmfalken, Rohr- und Wiesenweihen suchen mit Vorliebe die Blühflächen im Flug ab, denn sie wissen, dass sich dort Kleinvögel und Großinsekten, an den Rändern auch Kleinsäuger, als Beutetiere anbieten. Landwirte, die sie bei der Jagd unterstützen und damit auch zur Regulierung der Feldmäuse beitragen wollen, stellen für sie hochragende künstliche Sitzwarten im Bewuchs auf.

Viele Landwirte wären für mehr ökologisches Engagement zu gewinnen, wenn die Förderrichtlinien der Europäischen Union, des Bundeslandwirtschaftsministeriums und die recht unterschiedlichen Agrarumweltprogramme der einzelnen Bundesländer nicht so kompliziert und wechselhaft wären. Selbst gutwillige Beamte in den zuständigen Behörden schütteln ihre Köpfe über so viel Bürokratie, die den Naturschutz in und mit der Landwirtschaft schwierig oder oft unmöglich machen.

Längst wäre fällig, dass Naturschutzflächen mindestens genauso gefördert werden wie die Nahrungs- und Futtermittelporduktion mit zusätzlicher Unterstützung für den eventuellen Mehraufwand für Saatgut und Pflegemaßnahmen.

Zahlreiche Initiativen für eine Wende zum Besseren

Immer mehr Politiker und Institutionen erkennen inzwischen an, dass es nötig ist, in der Landwirtschaft umzusteuern, wenngleich das zuständige Bundesministerium noch blockiert. Umso mehr private und institutionelle Initiativen haben sich in den letzten Jahren gebildet, um Landwirtschaft mit Natur- und Artenschutz zu verknüpfen. So etwa hat die Universität Regensburg unter dem Titel „Artenreiche Landwirtschaft auf Kirchengrund„ eine 56seitige „Handreichung zur Umsetzung von Naturschutzmaßnahmen auf kircheneigenem Land„ herausgegeben, immerhin gefördert vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Die Kirchen in Deutschland gehören zu den größten Landeigentümern, wenn sie nicht sogar die größten sind – hier kann Engagement sehr schnell große Wirkung entfalten.

Im auf zehn Jahre angelegten Dialog- und Demonstrations-Verbundprojekt F.R.A.N.Z. ( „Für Ressoucen, Agrarwirtschaft & Naturschutz mit Zukunft“ ) entwickeln und erproben die Umweltstiftung Michael Otto und der Deutsche Bauernverband seit 2016 gemeinsam mit zehn landwirtschaftlichen Demonstrationsbetrieben und unter wissenschaftlicher Begleitung des Thünen-Instituts, der Georg-August-Universität Göttingen und des Naturschutzbundes Deutschland (Nabu) praxistaugliche und wirtschaftlich tragfähige Maßnahmen für mehr Biodiversität in der Agrarlandschaft.

Das Bild zeigt den Vogel beim Abflug von einem Pflanzenstengel.
Braunkehlchen auf einem Pflanzenstengel in einem Blühstreifen, in dem es gut versteckt auf dem Boden brütet. Die Art steht mit vielen anderen Feld – und Wiesenvögeln auf der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Spezies. Mehrjährige Blühstreifen bieten Ihnen über eine längere Zeitspanne Nahrung und Deckung.

Auch die „Greifswalder Agrarinitiative“, die seit 2013 auf Anregung der Michael Succow Stiftung für Naturschutz gegründet wurde, verfolgt gemeinsam mit Landwirten, die auf mehr als 10.000 Hektar wirtschaften, der Universität Greifswald und weiteren Partnern den Schutz der Biologischen Vielfalt, um daraus neue Ansätze zu gewinnen. Neben der Anlage von Blühflächen und der Erhaltung und Neuschaffung von artenreichem Wiesengrünland steht auch bei einer Reihe von anderen bundesweit verstreut agierenden Agrarumweltinitiativen die naturfreundlichere Landwirtschaft im Fokus.

Die Landwirte sollten für den Naturschutz entlohnt werden

So erprobt man zum Beispiel, ob man zur Energiegewinnung durch Agrargasanlagen Mais durch eine reichhaltige Mischung von Blühpflanzen ersetzen kann. Bei der Ernte überwiegen allerdings noch negative Effekte: Die Energieausbeute ist geringer, deshalb sollen die Pflanzenmischungen verbessert und mehr Beihilfen angeboten werden; und die Biodiversität verliert, wenn das Pflanzgut gemäht wird, weshalb man in ausreichendem Maß mindestens zehn Meter breite ungemähte Streifen in Abständen auf den Feldern stehen lassen sollte.

Die dadurch entstehenden Ertragsverluste müssten ebenfalls finanziell ausgeglichen werden. Nach den Vorstellungen von Naturschützern sollten mindestens zehn Prozent aller landwirtschaftlich genutzten Flächen verpflichtend dem Biotopschutz vorbehalten sein, gefördert im Rahmen der Agrarförderprogramme der Europäischen Union, des Bundes und der Länder. Noch ist die Politik weit von diesem Ziel entfernt.