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Wie sich die Diskussion um das Nationale Gesundheitsportal weiter entwickelt hat
Was gibt es Neues beim Nationalen Gesundheitsportal?
Ein Update zu inhaltlichen und rechtlichen Entwicklungen

Update 7. Februar 2024: In der Berufung hat das Oberlandesgericht Köln das Verfahren an das Verwaltungsgericht verwiesen. Die ursprüngliche Klage des Verlags war zivilrechtlicher Natur und zielte auf wettbewerbswidriges Verhalten. Laut Oberlandesgericht ist der Unterlassungsanspruch, den der Verlag geltend machen will, jedoch öffentlich-rechtlicher Natur. In der Sache fiel jedoch kein Beschluss.
Update August 2023: Im Juni 2023 hat das Landgericht Bonn dem klagenden Wort&Bild-Verlag Recht gegeben und den weiteren Betrieb des Portals untersagt. Das Gericht war der Auffassung, dass das Bundesgesundheitsministerium mit seinen Gesundheitsinformationen gegen das Gebot der Staatsferne der Presse verstoße und den Wettbewerb verzerre. Nach Medieninformationen hat das Bundesgesundheitsministerium Berufung eingelegt, das Urteil ist also noch nichts rechtskräftig.
Das Nationale Gesundheitsportal unter gesund.bund.de ist im Herbst 2020 in Trägerschaft des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) mit einem ambitionierten Anspruch gestartet: Es will „Bürgerinnen und Bürger […] schnell, zentral, verlässlich, werbefrei und gut verständlich über alle Themen rund um Gesundheit und Pflege informieren“.
Zum Start des Portals hatten wir das Angebot einmal näher unter die Lupe genommen und sind zu einem gemischten Ergebnis gekommen. Was hat sich seitdem getan?
Was kommt – und was nicht
Seit Juni 2021 kooperiert das Nationale Gesundheitsportal mit „Was hab ich?“: Der Anbieter ist vor allem dafür bekannt, dass er Entlassbriefe aus dem Krankenhaus in allgemeinverständliche Sprache übersetzt. Für das Nationale Gesundheitsportal stellt „Was hab ich?“ Erläuterungen zu den so genannten ICD-10-Codes bereit, die sich etwa auf Arztbriefen finden. ICD-10-Codes sind international gültige, eindeutige Bezeichnungen für Diagnosen, die aus einer Kombination von Buchstaben und Zahlen bestehen.
Durch das Gesetz zur digitalen Modernisierung von Versorgung und Pflege (DVPMG), das der Bundestag Anfang Mai 2021 verabschiedet hat, ist das Nationale Gesundheitsportal jetzt auch im Sozialgesetzbuch V verankert, das die gesetzliche Krankenversicherung regelt.
Zusätzlich wurde vereinbart, dass künftig auch eine Suche nach Kassenzahnärzt:innen und -ärzt:innen sowie nach Psychotherapeut:innen in das Nationale Gesundheitsportal integriert sein soll. Dabei sollen die Nutzer:innen unter anderem Informationen zur Barrierefreiheit der Praxen finden können. Diese Informationen werden von der Kassenärztlichen Vereinigung bereitgestellt.
Im Gesetzgebungsverfahren hatten sowohl die Verbraucherzentrale als auch der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung gefordert, dass bei der Arztsuche Qualitätsdaten mitgeliefert werden, etwa Zahlen zu ambulanten Operationen, die Hinweise auf die ärztliche Erfahrung geben können. Für Krankenhäuser sind solche Daten im Deutschen Krankenhaus Verzeichnis enthalten, das inzwischen auch über das Nationale Gesundheitsportal durchsuchbar ist. Umgesetzt wurde diese Forderung nach einem „Public Reporting“ der Qualitätsdaten für die ambulante Versorgung im Gesetz jedoch nicht.
Zukünftig sollen Informationen aus dem Nationalen Gesundheitsportal auch in der elektronischen Patientenakte abrufbar und mit dem E-Rezept verknüpft werden können.
Ursprünglich war auch geplant, dass die Kassenärztliche Bundesvereinigung eine Schnittstelle bereitstellen soll, über die Versicherte sich über das Nationale Gesundheitsportal einen Termin für eine Videosprechstunde besorgen können. Das ist aus technischen Gründen vorerst auf Eis gelegt.
Klagen und rechtliche Fragen
Bereits kurze Zeit nach dem Start regte sich Widerstand von verschiedenen Seiten gegen das Nationale Gesundheitsportal, vor allem gegen die im November 2020 begonnene Kooperation mit Google. Im Zuge der Zusammenarbeit hatte Google Inhalte aus dem Nationalen Gesundheitsportal bei der Suche prominent in hervorgehobenen Kästen (health information panels) dargestellt.
So reichte die NetDoktor GmbH, die selbst ein Gesundheitsportal betreibt und zum Medienkonzern Hubert Burda Media gehört, einstweilige Verfügungen ein und bekam vor dem Landgericht München Recht: Das Gericht bewertete die Zusammenarbeit als Kartellverstoß, da sie den Wettbewerb auf dem Markt für Gesundheitsportale beschränke und NetDoktor sich mit niedrigeren Klickraten und dem drohenden Verlust von Werbeeinnahmen nicht abfinden müsse.
Das BMG und Google beendeten daraufhin die Kooperation. Zwischenzeitlich hatten ebenfalls die Landesmedienanstalten die Zusammenarbeit als „unbillige Behinderung anderer Anbieter journalistisch-redaktioneller Inhalte“ beanstandet, auch auf Antrag des Wort & Bild Verlags, in dem die Apotheken-Umschau erscheint. Von einer Untersagungsverfügung sahen die Medienregulierer nach dem Ende der Kooperation ab.
Presseverleger und digitalen Publisher zweifeln aber auch die grundsätzliche Zulässigkeit des Nationalen Gesundheitsportals an und beklagen einen staatlichen Eingriff in die Pressefreiheit. Der Wort & Bild Verlag hat inzwischen Klage beim Landgericht Bonn eingereicht.
Ein Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags hatte im Februar 2021 die Kooperation mit Google als rechtlich möglicherweise bedenklich eingestuft, sah das Betreiben des Nationalen Gesundheitsportals durch das Bundesgesundheitsministerium allein jedoch noch nicht als ungerechtfertigten Eingriff in die Pressefreiheit. Ob sich das Landgericht Bonn dieser Auffassung anschließt, bleibt abzuwarten.
Hinter den juristischen Auseinandersetzungen stecken vermutlich handfeste wirtschaftliche Interessen. „Im Zusammenhang mit dem Nationalen Gesundheitsportal wurde im Übrigen deutlich, wie sehr inzwischen Gesundheitsinformationen als Ware begriffen werden“, kommentierte die Gesundheitswissenschaftlerin Marie-Luise Dierks, Professorin an der Medizinischen Hochschule Hannover und Leiterin der Patienten-Universität, die Aktivitäten der Verlage im Online-Magazin „Gerechte Gesundheit“.
Ähnliches gilt auch für die kritischen Kommentaren von Interessenvertretungen der Pharmaindustrie wie dem Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa) oder dem Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) stecken, die Eingriffe in die Therapiefreiheit beklagen.
Zur Einordnung: Viele der Informationen auf dem Nationalen Gesundheitsportal stammen von nicht-kommerziellen Organisationen wie dem Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) oder dem Krebsinformationsdienst, die ihre Gesundheitsinformationen anhand der Kriterien der Guten Praxis Gesundheitsinformation erstellen. Dazu gehört auch, die Evidenz aus wissenschaftlichen Studien zu Nutzen und Schaden von Behandlungen darzustellen – auch wenn etwa ein Nutzen fehlt. Solche nicht-kommerziellen Anbieter stellen wir übrigens in unserer Rubrik „Verlässliche Gesundheitsinformationen finden“ vor.
Erwartungen bisher nicht erfüllt
Dass der jetzige Stand des Nationalen Gesundheitsportal noch nicht der Weisheit letzter Schluss ist, konstatiert auch eine Bewertung im aktuellen Gutachten des „Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen“.
Das Gutachten empfiehlt, das Nationale Gesundheitsportal aus der Trägerschaft des BMG in eine politisch und kommerziell unabhängige Trägerschaft zu überführen, so wie es ursprünglich auch geplant war. Auch sollten mehr Content-Partner als bisher eingebunden und dabei auch Augenmerk auf die Qualitätssicherung gelegt werden. Ebenso weist der Rat darauf hin, dass eine wissenschaftliche Begleitevaluation des Portals zur inhaltlichen und methodischen Weiterentwicklung sinnvoll ist. Auf diese Weise, so die Hoffnung des Sachverständigenrats, könnte das Portal einen wesentlichen Beitrag zur kritischen digitalen Gesundheitskompetenz leisten.
Die Resonanz auf das Nationale Gesundheitsportal ist bislang übrigens immer noch relativ bescheiden: Pro Monat verzeichnet das Portal etwa 115.000 Seitenaufrufe (page impressions), wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion hervorgeht. Zur Einordnung: Die kommerziellen Online-Portale NetDoktor und Apotheken-Umschau kommen eigenen Angaben zufolge auf 46 bis 48 Millionen Seitenaufrufe pro Monat, das IQWiG-Portal gesundheitsinformation.de im gleichen Zeitraum auf etwa 4,5 Millionen Seitenaufrufe.
Auf die Frage, wie sich der Wegfall der Google-Kooperation auf die Reichweite ausgewirkt hat, waren vom BMG keine konkreten Zahlen zu bekommen: Ein Sprecher teilte lediglich mit, dass „nach einem relativ geringen Rückgang der Besucherzahlen die Zahlen des Nationalen Gesundheitsportals jetzt bei einem gleichen Stand wie mit den Google Health Panels sind.“
Für die zweite Jahreshälfte sind wohl Marketingmaßnahmen für das Nationale Gesundheitsportal geplant. Eine wissenschaftliche Evaluation ist aber nicht vorgesehen.
Fazit
Das Nationale Gesundheitsportal bleibt weiterhin eine Baustelle. Die juristischen Auseinandersetzungen bestätigen, dass die Übernahme der Trägerschaft durch das BMG keine besonders weitsichtige Entscheidung war: Weder für das BMG selbst, noch für die Perspektive des Nationalen Gesundheitsportals und auch nicht für Menschen, die nach verlässlichen Gesundheitsinformationen suchen. Möglicherweise wäre es doch die bessere Variante gewesen, den Start des Portals zu verschieben, bis sich eine Lösung für das nicht-triviale Problem der Trägerschaft gefunden hat.
Dass diese Frage immer noch wichtig und dringlich ist, zeigt das Gutachten des Sachverständigenrats. Bleibt zu hoffen, dass das BMG der wissenschaftliche Expertise Gehör schenkt und nicht nur das Marketing, sondern auch die grundlegenden Fragen zeitnah in Angriff nimmt – spätestens nach der Bundestagswahl im Herbst.