Die Suche nach den ersten Werkzeugmachern
In Äthiopien wurden die ältesten, mit ausgefeilter Technik hergestellten Steingeräte gefunden
Nicht nur Menschen, auch Affen und manche Vogelarten benutzen Werkzeuge. Doch erst die Frühmenschen entwickelten regelrechte Technologien zur Herstellung von Steinartefakten. Neue Forschungen zeigen, dass dies vor rund 2,6 Millionen Jahren oder noch früher geschah – und vermutlich einen handfesten Grund hatte
Als menschenähnliche Wesen auf die Idee kamen, planmäßig Steinwerkzeuge herzustellen, überschritten sie erstmals die Schwelle zum Menschsein. Sie wandelten sich von noch sehr an Affen erinnernde Vormenschen zu intelligenteren Frühmenschen, zu den ersten Angehörigen der Gattung Homo, zu der auch wir heutige Erdenbewohner gehören.
Doch wo und wann wurde dieser Schritt vollzogen? Und wer waren die ersten Werkzeugmacher? Paläontologische Funde der letzten Jahre erzählen diese Geschichte auf neue Weise und lassen vermuten, dass die Werkzeugherstellung mehrfach unabhängig erfunden wurde.
Vormenschen schabten mit Steinen Fleischreste von Tierknochen
Es begann mit einer verblüffenden Entdeckung in Äthiopien, die Forscher 2010 in der Zeitschrift „Nature“ vorstellten. An 3,4 Millionen Jahre alten, versteinerten Knochenbruchstücken waren eindeutige Schnittspuren zu erkennen, die zeigten: Hier hatte jemand scharfkantige Steinwerkzeuge verwendet, um Fleisch von den Knochen zu schaben. 2015 steuerte eine andere Forschergruppe das nächste Puzzleteil bei. Westlich des Turkana-Sees in Kenia hatte sie Steinwerkzeuge entdeckt, die vor 3,3 Millionen Jahren entstanden waren. Diese 149 Fundstücke, da waren sich die Wissenschaftler sicher, konnten nicht auf natürlichem Weg entstanden sein. Vielmehr musste jemand Steine aneinandergeschlagen haben, um scharfkantige Werkzeuge zu erhalten.
Doch wer war dieser „Jemand“? Aus jener Zeit vor 3,3 oder 3,4 Millionen Jahren sind bisher nur Fossilien von Vormenschen bekannt. Von Wesen, die zwar aufrecht liefen, aber nur Gehirne von 400 bis 500 Kubikzentimeter Volumen besaßen, kaum größer als das eines Schimpansen. Die berühmte „Lucy“ etwa lebte in jener Epoche in Äthiopien. Doch konnten die Australopithecinen, wie sie von Fachleuten genannt werden, bereits Werkzeuge herstellen?
Möglich wäre es, denn es ist ja bekannt, dass so manche Tierart Werkzeuge nutzt. Schimpansen etwa schlagen mit Steinhämmern Nüsse auf und legen sich ein ganzes Arsenal unterschiedlicher Stöcke zurecht, um Ameisen aufzusammeln oder Honig aus Bienennestern zu stibitzen. Kapuzineraffen knacken Nüsse mit Steinen und schlagen die Steine so gegeneinander, dass dabei Splitter mit scharfen Kanten entstehen. Krähen basteln sich sogar aus mehreren Stöckchen ein längeres Werkzeug zusammen, um an Futter zu kommen.
Und so könnten auch Lucy und ihre Verwandten bereits vor mehr als drei Millionen Jahren scharfkantige Splitter von Steinen als Werkzeug genutzt haben. Der entscheidende Unterschied zum Menschsein aber, so sehen es Paläoanthropologen, ist das Vorhandensein einer Idee, eines Plans hinter der Anfertigung von Werkzeugen, für den sie bei „Lucy“ indes keine Hinweise fanden.
Werkzeuge gezielt herzustellen erfordert Geisteskraft
Solch eine geistige Leistung sei jedoch bei rund 2,6 Millionen Jahre alten Werkzeugen zu erkennen, die kürzlich in Äthiopien entdeckt wurden, glaubt David Brown von der George Washington University und dem Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Brown ist Leiter eines internationalen Teams, das die Relikte an der Fundstätte Bokol Dora in der Region Ledi Geraru im Awash-Tal ausgrub. Die Wissenschaftler legten nicht nur Hunderte von kleinen Steinabschlägen sondern auch zahlreiche Tierknochen frei.
Die Steinwerkzeuge wurden nach Ansicht der Forscher gezielt hergestellt und sind die ältesten, die sich der Kultur des sogenannten „Oldowan“ zuordnen lassen. Der Name bezieht sich auf die Olduvai-Schlucht in Tansania, in der solche Steingeräte erstmals gefunden wurden. Die Technik dieser Kultur lasse die Fähigkeit erkennen, Steingeräte systematisch herzustellen, sagen die Forscher. Offenbar habe der Werkzeuggebrauch damals begonnen, Teil des Menschseins zu werden.
Die neue Werkzeug-Technik unterscheidet sich nach Ansicht der Paläoanthropologen so sehr von jenen 3,3 Millionen Jahre alten Gesteinssplittern der Australopithecinen, dass beide wahrscheinlich unabhängig voneinander entstanden sind. Die älteren Werkzeuge seien jenen sehr ähnlich, die auch Affen benutzen, um etwa Nüsse und Schalentiere aufzuschlagen. Die jetzt entdeckten Relikte zeigten dagegen, dass ihre Nutzer dazu fähig waren, planmäßig kleinere, scharfkantige Werkzeuge von größeren Gesteinsbrocken abzutrennen.
Und offensichtlich gab es gute Gründe, weshalb die Frühmenschen die neue, fortschrittlichere Oldowan-Technik entwickelten. Denn in jener Zeit vor 2,6 Millionen Jahren hatte sich das Klima in Afrika dramatisch verändert. Es war kühler und trockener geworden. Die Waldgebiete in der Region des heutigen Äthiopiens schrumpften immer weiter und stattdessen breitete sich trockenes Grasland aus. Ein Wesen, das sich in der trockeneren Umwelt mit ausgefeilten Steinwerkzeugen die Nahrung besser erschließen konnte, hatte einen eindeutigen Überlebensvorteil.
Wer aber lebte damals in diesen Landschaften? Die bislang ältesten bekannten Vertreter unserer Gattung sind Homo habilis und Homo rudolfensis. Doch sie tauchten erst einige Jahrhunderttausende später in den Ebenen Afrikas auf.
Aus dem Jahr 2015 aber stammt eine andere Spur. In der Zeitschrift „Science“ berichteten Paläoanthropologen von einem rund 2,8 Millionen Jahre alten Unterkieferknochen, den sie in Äthiopien ganz in der Nähe der jetzt entdeckten Steingeräte ausgegraben hatten und den sie als „Homo“ einstuften. War das der erste Mensch und Hersteller der Werkzeuge?
Noch ist der neue Homo nicht eingeordnet. Doch schon der Kieferknochen zeigt: Es ist offenbar ein Wesen, das sowohl Merkmale der älteren Australopithecinen als auch der späteren Homo-Arten in sich vereint – eine Art Bindeglied also. Auffällig sind die verkleinerten Backenzähne, ein Trend, der eindeutig in Richtung der späteren Menschen geht. Und der womöglich mit dem systematischen Gebrauch von Werkzeugen zu tun hat. Denn wer seine Nahrung mittels Steingeräten zerkleinern kann, der muss nicht mehr so kräftig kauen.
Sowohl die fortschrittlichen Werkzeuge als auch der Fund des Kieferknochens lassen vermuten: Die Gattung Homo ist früher auf der Erde erschienen als bislang angenommen. Und offenbar hat eine Klimaverschlechterung diese Entwicklung ganz wesentlich vorangetrieben.