Gute Krankenhäuser finden: Bundes-Klinik-Atlas mit Startschwierigkeiten
Seit Mitte Mai ist der Klinik-Atlas online. Schafft er es, die Qualitätstransparenz bei Krankenhäusern zu verbessern? Unser Test zeigt: Es gibt noch Luft nach oben.

Am 17. Mai war es endlich so weit: Der seit langem angekündigte, aber mehrfach verschobene Bundes-Klinik-Atlas ging online. Als Teil der Krankenhausreform soll er Patient:innen helfen, die richtige Klinik für ihr Gesundheitsproblem auszuwählen. Dafür soll der Klinik-Atlas transparent machen, wie viel Erfahrungen die Krankenhäuser im jeweiligen Bereich haben und wie gut sie dabei arbeiten.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) bezeichnet den Atlas als „übersichtlichen Wegweiser durch den Krankenhaus-Dschungel in Deutschland“. Dabei gibt es auch noch einige andere Anbieter, die Vergleiche zwischen Krankenhäusern ermöglichen. Dazu gehören der Gesundheitsnavigator der Krankenkasse AOK und das Deutsche Krankenhausverzeichnis, das von der Deutschen Krankenhaus-Gesellschaft herausgegeben wird. Bis vor kurzem gab es noch die Weiße Liste, eins der umfangreichsten Informationsangebote. Doch sie ging Ende März 2024 vom Netz.
Wir wollten wissen: Wie schlägt sich der Bundes-Klinik-Atlas im Vergleich? Dazu hat Plan G einen Testfall konstruiert: In der ostdeutschen Großstadt Halle (Saale) sucht eine Patientin nach einer Klinik zur Behandlung von Brustkrebs. Dabei will sie die beiden Krankenhäuser mit dem größten Erfahrungsumfang vergleichen und sucht danach in den drei Portalen Bundes-Klinik-Atlas, AOK-Gesundheitsnavigator und dem Deutschen Krankenhausverzeichnis.
Ähnliche Handhabung, aber Fragezeichen
Trotz unterschiedlichem Design ist die grundsätzliche Handhabung in den drei getesteten Portalen ähnlich: Die Nutzer:innen können Behandlungsanlass oder Erkrankung eingeben sowie den Ort.
Alle Portale ermöglichen, Freitext einzutippen, also zum Beispiel „Brustkrebs“ oder alternativ die präzise Angabe für die Erkrankung (ICD-10-Code), die man etwa in den Arztbriefen findet. Wer die ersten Buchstaben der Krankheit eingibt, bekommt bei allen Portalen Vorschläge zur Auswahl.
Das Ergebnis ist eine Liste von Kliniken, die sich nach verschiedenen Kriterien sortieren lässt. Bei allen drei Portalen lassen sich Kliniken markieren und in einer Übersicht direkt miteinander vergleichen. Dabei können die Nutzer:innen verschiedene Detailstufen ausklappen, teilweise gibt es auch weiterführende Links. Alle drei bieten Erläuterungen an, wie die jeweiligen Angaben zu verstehen sind, und es lassen sich auch zu jeder Klinik weiterführende Informationen anzeigen.
Alle kommen zum gleichen Ergebnis, welche beiden Kliniken in Halle die meiste Erfahrung mit Brustkrebs haben: das Universitätsklinikum sowie das Elisabeth-Krankenhaus. Allerdings stellen die drei Portale Details unterschiedlich dar. Und leider finden sich auch Diskrepanzen, die sich erst mal nicht leicht erklären lassen.
Wie viel Erfahrung?
Die Abweichungen beginnen bereits mit dem Erfahrungsumfang. So finden sich in allen drei Portalen Angaben zur Anzahl der Behandlungsfälle. Die Idee dahinter: Je häufiger eine Klinik Patient:innen mit einer bestimmten Krankheit behandelt, desto mehr Erfahrung hat sie und desto besser ist das Ergebnis.
Der AOK-Gesundheitsnavigator und das Deutsche Krankenhausverzeichnis liefern für die beiden Kliniken ähnliche Zahlen: 354 bzw. 394 Behandlungsfälle im Elisabeth-Krankenhaus, 238 bzw. 224 im Universitätsklinikum. In beiden Fällen wird der Erfahrungsumfang als „hoch“ eingestuft.
Der Bundes-Klinik-Atlas nennt dagegen 474 Behandlungsfälle für das Elisabeth-Krankenhaus und 653 für das Universitätsklinikum. Beides wird als „sehr viele“ eingeordnet. Allerdings sieht es hier so aus, als ob das Universitätsklinikum deutlich mehr Brustkrebs-Patientinnen behandelt als das Elisabeth-Krankenhaus, bei den beiden anderen Portalen ist es umgekehrt.




Woher kommt die Diskrepanz? Der AOK-Gesundheitsnavigator und das Deutsche Krankenhausverzeichnis verraten beim Klick auf den Info-Button, dass die Daten aus dem Qualitätsbericht des jeweiligen Krankenhauses stammen und sich auf Brustkrebs-Operationen beziehen. Mit ein paar Klicks weiter wird klar: Der aktuell verfügbare Qualitätsbericht bezieht sich auf Behandlungen im Jahr 2022. Im AOK-Gesundheitsnavigator findet sich außerdem der Hinweis, dass die Daten für 2022 wegen der Corona-Pandemie nicht vollständig und damit nur eingeschränkt nutzbar sind.
Sind die Daten im Bundes-Klinik-Atlas aktueller und zuverlässiger? Um das herauszufinden, braucht es ein paar mehr Klicks, um zu den Erläuterungen zu den Datengrundlagen zu kommen. Dort ist angegeben, dass die Fallzahlen derzeit ebenfalls aus 2022 stammen – allerdings nicht aus den Qualitätsberichten, sondern aus den Fällen, die die Kliniken für die Abrechnung melden. Das wirft jetzt allerdings weitere Fragen auf: Sind Fälle in der Abrechnung möglicherweise anders definiert als für die Qualitätsberichte? Haben Kliniken in 2022 ordentlich abgerechnet, aber bei der Arbeit für die Qualitätsberichte gespart? Oder gibt es noch ganz andere Gründe?
Alle diese Fragen lassen sich mit den Angaben in den Portalen nicht zweifelsfrei beantworten. Dass die Zahlen in den Portalen bis auf die letzte Nachkommastelle übereinstimmen, wäre für Patient:innen wohl nicht so wichtig. Alle geprüften Portale bescheinigen beiden Kliniken viel Erfahrung. Dass die genauen Zahlen möglicherweise mit Vorsicht zu genießen sind, wird allerdings nur klar, wenn man die Angaben der Portale miteinander vergleicht. Deshalb wäre es in jedem Fall sinnvoll, im Bundes-Klinik-Atlas die Datenquelle und den Datenstand bereits auf der Übersichtsseite transparent anzugeben.
Nicht genügend Operationen?
Beim Blick in den Bundes-Klinik-Atlas fällt noch eine weitere Ungereimtheit auf: Das Portal macht (anders als die beiden anderen) auch Angaben, ob eine Klinik für den Behandlungsanlass die Mindestmenge erreicht. Den Hintergrund liefert der Bundes-Klinik-Atlas in den Details zum Aufklappen: Brustkrebsoperationen dürfen nur Kliniken durchführen, die pro Jahr mindestens 50 Behandlungsfälle erreichen. Das wird dem Universitätsklinikum attestiert, aber nicht dem Elisabeth-Krankenhaus. Das ist erst einmal verwunderlich, denn sowohl 653 Behandlungsfälle im Universitätsklinikum als auch 474 Behandlungsfälle im Elisabeth-Krankenhaus liegen oberhalb der Schwelle. Und selbst wenn nicht alle Patientinnen mit Brustkrebs tatsächlich operiert würden, wäre es doch verwunderlich, wenn im Elisabeth-Krankenhaus nicht 50 Operationen erreicht würden.
Der Blick in die Datengrundlagen verrät: Die Angaben zu den Mindestmengen beziehen sich aktuell auf die Schätzungen, die die Kliniken vorab für das jeweilige Jahr abgeben. Diese Schätzungen sind auch separat dokumentiert. Und ein Blick in dieses Dokument zeigt, dass sowohl das Elisabeth-Krankenhaus als auch das Universitätsklinikum in 2024 die Anforderungen erfüllen. Hier ist die Angabe im Bundes-Klinik-Atlas also offensichtlich falsch. Für die meisten Patient:innen dürfte das aber nicht klar sein. Dass der Bundes-Klinik-Atlas derzeit wohl noch einige Fehler enthält, ist auch bereits an anderer Stelle aufgefallen. Inzwischen wurde nach Angabe des Ministeriums ein Datensatz mit missverständlichen Zusammenfassungen ausgetauscht und bei der Suche nachgebessert.
Was im Bundes-Klinik-Atlas positiv auffällt: Dass beide Kliniken als Brustkrebszentrum zertifiziert sind, ist bereits auf den ersten Blick zu erkennen. Beim AOK-Gesundheitsnavigator muss man sich dazu eine Seite weiterklicken, im Deutschen Krankenhausverzeichnis ist diese Angabe auch mit einigem Suchen nicht zu finden.
Weitere Angaben zur Qualität fehlen bisher
Alle Angaben, die sich um den Erfahrungsumfang drehen, kann man im weitesten Sinn als Aussage über die Qualität verstehen. Zusätzlich wäre es jedoch interessant zu erfahren, wie häufig etwa Komplikationen bei bestimmten Operationen auftreten. Das wird für einige Bereiche bereits teilweise erhoben und ist dann in den Qualitätsberichten der Krankenhäuser enthalten. Genau diese Angaben fehlen jedoch aktuell noch im Bundes-Klinik-Atlas, sie sollen voraussichtlich erst im 3. Quartal 2024 folgen.

Die Daten aus den Qualitätsberichten finden sich aktuell jedoch schon im AOK-Gesundheitsnavigator. Dort erfährt man, dass in beiden Krankenhäusern 100 Prozent der Qualitätsindikatoren erfüllt sind. Was dabei genau geprüft wird, findet man nach einem Klick auf den Krankenhaus-Namen heraus. Außerdem sind auch Ergebnisse von Patientenbefragungen aufgeführt, nach denen in beiden Kliniken ähnlich viele (fast 90 Prozent) der Befragten das Krankenhaus weiterempfehlen würden. Im Bundes-Klinik-Atlas spielen Erfahrungen von Patient:innen dagegen keine Rolle, sie sind auch perspektivisch nicht vorgesehen.
Angaben zur Qualität sind im Deutschen Krankenhaus-Verzeichnis erst seit Mitte April enthalten – eindeutig eine Spitze gegen den Bundes-Klinik-Atlas, den die Deutsche Krankenhaus Gesellschaft als Lobby-Organisation der Krankenhäuser ablehnt. Über die sogenannte Transparenzsuche stellt das Verzeichnis ebenfalls die Ergebnisse der Qualitätsindikatoren dar, von denen in beiden Kliniken 11 von 11, also 100 Prozent erfüllt sind. Zudem gibt es Zahlenangaben zu Komplikationen. Beim genauen Hinsehen stellt man allerdings fest: Das ist keine Zusatzinformation, sondern lediglich ein Detail eines Qualitätsindikators, der bereits in den Angaben zur Qualität enthalten ist. Hinzu kommt: Ob es sinnvoll ist, die Komplikationsrate auf zwei Nachkommastellen genau anzugeben, ist fraglich. Schließlich wird es auch nicht kommentiert, ob die rund 13 Prozent Komplikationsrate im Elisabeth-Krankenhaus wirklich deutlich weniger ist als die 15 Prozent im Universitätsklinikum. Es könnte sich auch nur um eine statistische Schwankung handeln. Zumindest ist angegeben, dass beide Kliniken bei den Komplikationen das gesteckte Qualitätsziel erreichen.
Bundes-Klinik-Atlas: Bisher kein großer Wurf
Ganz klar: Der Bundes-Klinik-Atlas hat Potenzial – das ist aber bisher noch nicht ausgereizt. Die derzeitige Fassung bleibt weit hinter dem zurück, was Bundesgesundheitsminister Lauterbach versprochen hat. Andere Anbieter haben aktuell bereits mehr Daten zur Qualität, wobei es bei der Verständlichkeit auch Unterschiede gibt. Eingetreten ist allerdings, wovor Fachleute im Vorfeld gewarnt haben: Dass unterschiedliche Portale unterschiedliche Datenstände anzeigen, was bei Patient:innen zu Irritationen führen dürfte, wenn sie Angaben vergleichen.
Dass bisher nur wenig mehr als ein Prototyp online ist und auch schon etliche Fehler oder Ungereimtheiten aufgefallen sind, ist sicherlich dem hohen Druck geschuldet, mit dem der Bundes-Klinik-Atlas vorangetrieben wurde. Hier wäre der Minister wohl gut beraten gewesen, auf die Einwände zu hören, die die Institutionen, die Daten liefern und aufbereiten sollen, bereits 2023 in den Beratungen zum Krankenhaustransparenzgesetz geäußert hatten.
Mit einem Produkt online zu gehen, das grundsätzlich funktioniert, aber noch nicht den vollen Umfang hat, ist bei digitalen Angeboten keine Seltenheit. Beim Bundes-Klinik-Atlas ist allerdings die Frage, ob er bei Fachleuten und Patient:innen nach dem holprigen und überhasteten Start eine zweite Chance bekommt – auch wenn bereits Updates angekündigt sind und die bereits eingespielten Fehlerbereinigungen für eine hohe Lernbereitschaft sprechen. So bleibt der Beigeschmack, dass Lauterbach mit dem Bundes-Klinik-Atlas die Krankenhaus-Reform voran peitschen will, die wegen Widerständen der Länder noch lange nicht in trockenen Tüchern ist.