„Der Naturschutz wurde niedergewalzt“: Innerparteiliche Opposition will Öko-Wende bei den Grünen

Naturschutzexpertinnen und -experten innerhalb der Günen haben sich zusammengeschlossen, um eine Wende in der Umweltpolitik der Partei zu erreichen. Sie kritisieren eine zu einseitige Fokussierung auf den Klimaschutz

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Plakat mit Braunkehlchen an einem gelben Haus

Innerhalb der Grünen wächst der Unmut über die Umweltpolitik der eigenen Parteiführung und der von den Grünen geführten Ministerien. Naturschutzexpertinnen und -experten innerhalb der Partei haben sich in einem „Dissidenten-Forum“ zusammengeschlossen, um eine Wende in der Naturschutzpolitik der Partei zu erreichen. Sie kritisieren vor allem eine einseitige Fixierung auf die Klimapolitik zulasten der Ökologie. Einer der Kritiker ist Martin Flade. Der Ökologe leitet das Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin in Brandenburg.

Martin Flade steht neben einem Naturschutzgebiet-Schild im Wald
Martin Flade leitet das Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin.

Beim Karlsruher Parteitag der Grünen soll nachträglich das 40. Gründungsjubiläum gefeiert werden. Sie sind als Naturschützer fast von Anfang an dabei. Wie hat sich der Stellenwert des Naturschutzes in den vergangenen Jahren geändert?

Ich bin 1985 in Wolfsburg eingetreten, weil die Grünen damals die einzige Partei waren, die sich engagiert und auch erfolgreich für Naturschutzziele eingesetzt hat. Für mich war es ein Lichtblick, als es im Stadtrat plötzlich Leute gab, die offen für den Naturschutz waren und auch den Mut hatten, auch mal etwas gegen das VW-Werk zu sagen. Eine solche Aufbruchstimmung gab es damals vielerorts. Aber die Naturschutz-Kräfte, die früher bei den Grünen stark und sogar maßgeblich waren, stehen heute sehr stark im Schatten. Umweltpolitik in meiner Partei wird fast ausschließlich durch einen technisch geprägten Blick auf den Klimaschutz bestimmt.

Sie sind Mitglied eines informellen Zusammenschlusses grün-interner Naturschützer, die den Kurs der Partei in der Umweltpolitik scharf kritisieren. In einem Ihrer Rundschreiben heißt es, der Naturschutz stehe bei den Grünen auf der „Roten Liste, Kategorie 1 – Vom Aussterben bedroht“: Was läuft schief in Ihrer Partei und den grün geführten Ministerien?

Das Hauptproblem würde ich als eine Art Klimablindheit in weiten Teilen der Partei bezeichnen. Es gibt eine beinahe ausschließliche Fokussierung auf das Thema Klimaschutz und Erneuerbare Energien. Alle anderen ökologische Themen, die damit verbunden sind, werden ausgeblendet. Dabei müssen gerade die Probleme, die wir im Zusammenhang mit dem Ausbau der Erneuerbaren haben, unbedingt berücksichtigt und gelöst werden. Stattdessen werden sie ignoriert oder heruntergespielt.

Ist es denn nicht richtig, einen großen Fokus auf den Klimaschutz zu legen?

Jein. Es muss natürlich ein Fokus auf den Klimaschutz gelegt werden. Aber die Krise, in der wir uns global und auch in Deutschland befinden, hat viele Dimensionen. Nicht alle ökologischen Probleme lassen sich auf Treibhausgasemissionen reduzieren. Wir stecken in einer enormen Biodiversitätskrise, mit dramatisch zurückgehenden Insektenpopulationen, mit großflächigem Druck auf die Landschaft durch Pestizide, durch die Stickstoffproblematik, durch eine dramatische Situation in den Weltmeeren: Das alles sind Symptome für eine Übernutzung unserer planetaren Grenzen. Wir verbrauchen in vielen Bereichen deutlich zu viel von dem, was die Erde ertragen kann. Treibhausgase zählen auch dazu, stehen aber nicht allein. Bei einer so großen Palette existenzieller Probleme nur auf eines von ihnen zu blicken, verzerrt die Perspektive. Wir brauchen aber einen klaren Blick auf alle Probleme, wenn wir sie lösen wollen.

Welche Entscheidungen unter grüner Mitverantwortung kritisieren Sie konkret?

Die Grünen haben vor der letzten Wahl das Versprechen abgegeben, eine Politik innerhalb der planetaren Grenzen zu verfolgen. Eines der Kernversprechen dazu war, die Energiewende naturfreundlich zu gestalten. Dieses Versprechen hat die Regierung, haben unsere Minister und Ministerinnen, überhaupt nicht eingelöst.

Woran machen Sie das fest?

Nehmen wir die Änderungen im Naturschutzgesetz und generell zur Beschleunigung des Ausbaus vor allem der Windenergie im sogenannten Oster-Paket. Zum Beispiel dürfen jetzt Windkraftanlagen auch in Landschaftsschutzgebieten gebaut werden. Ohne jegliche Debatte wird damit ein zentraler Schutzauftrag des Bundesnaturschutzgesetzes über Nacht de facto abgeschafft – der Schutz der Vielfalt, Eigenart und Schönheit von Natur und Landschaft. Besonders schockierend finde ich, dass diese und viele andere weitreichende Änderungen ausschließlich auf Basis politischer Erwägungen beschlossen werden – und nicht gestützt auf den Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse.

Haben Sie dafür ein Beispiel?

Der Artenschutz ist eines davon. Um möglichst viel Freiräume für die Windkraft zu bekommen, wurde die Liste der sogenannten „windkraftsensiblen Vogelarten“ auf nur noch 15 zusammengestrichen. Das sind Arten, denen attestiert wird, dass sie besonders durch die Windräder beeinträchtigt werden, beispielsweise, weil sie häufig von den Rotoren getötet werden. Diese 15 er-Liste wurde festgelegt, ohne die dafür kompetenten Institutionen einzubinden. Die Staatlichen Vogelschutzwarten der Länder wurden nicht einmal gefragt, obwohl sie genau für die Beantwortung solcher Fragen geschaffen wurden. Im Ergebnis bildet nun eine Liste die Grundlage für den Artenschutz, die teilweise völlig unsinnig ist. Auf der einen Seite stehen dort jetzt Arten, die nicht auf die Liste gehören und andererseits fehlen solche, die durch die Windkraft in existenzielle Not kommen – der Schwarzstorch zum Beispiel.

Ein Altvogel füttert einen jungen Schreiadler im Nest
Auch bei Schreiadlern ist das Phänomen des Geschwister-Tötens bekannt.
Windräder mit Drohne fotografiert
Auf zwei Prozent der Landesfläche sollen sich künftig Windräder drehen.

Bundesumweltministerin Steffi Lemke sagt, es sei mit den Gesetzesänderungen gelungen, das Spannungsfeld zwischen Artenschutz und Klimaschutz durch gute Kompromisse aufzulösen …

Das stimmt natürlich mitnichten – und ich denke, das weiß sie. Ich glaube, Steffi Lemke versucht, ihre Niederlage positiv zu verkaufen. Ein Parteifreund hat mal gesagt, die Grünen sind zu einer Werbeagentur für schlechte Kompromisse geworden. Solche Äußerungen sind ein Beispiel dafür.

Es ist aber doch nun einmal so, dass der Ausbau der Erneuerbaren viel Platz braucht. Was hätte anders gemacht werden sollen?

Um das Wahlversprechen eines naturgerechten Ausbaus der Windkraft einzulösen, wäre es unbedingt nötig gewesen, einige große Landschaftsräume von Windenergieanlagen freizuhalten. Je mehr Fläche wir für Windräder und Freiflächen-Photovoltaik brauchen, desto mehr brauchen wir auch Ausgleichsräume, wo sich die betroffenen Arten erholen können. Und wo sich übrigens auch der Mensch von der Allgegenwart technischer Anlagen erholen kann. Im Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin wissen wir beispielsweise, dass immer mehr Besucher gerade deshalb zu uns kommen, weil es dort keine Windräder gibt – weil es noch ein Landschaftsbild gibt, wie es nach dem Bundesnaturschutzgesetz eigentlich geschützt ist – eines, das nicht technisch verbaut ist. Immer mehr Menschen sehnen sich danach.

Lemke hat erstmals nationale Artenhilfsprogramme geschaffen, mit denen die negativen Folgen des Windkraft-Ausbaus für besonders betroffene Vogel- und andere Tierarten abgefedert werden sollen. Ist das nicht ein gangbarer Kompromiss?

Dass es die Programme gibt, ist wirklich eine gute Sache. Aber mit ihnen lässt sich die Fehlkonstruktion nicht ausgleichen, die darin besteht, keine großflächigen Schutzräume zur Regeneration betroffener Arten geschaffen zu haben. Natur braucht Platz. Den können wir schaffen, wenn wir zum Beispiel festlegen würden, dass bestimmte Schutzgebiete, wie Naturparks oder Biosphärenreservate, freigehalten werden von Windkraft. Dort machen dann auch solche Artenhilfsprogramme für extrem bedrohte Arten wie den Schreiadler Sinn, weil die Erholung der mit viel Aufwand geschützten Vögel nicht gleich an der nächsten Windturbine endet, indem sie dort geschreddert werden.

Lemke neben einer grünen Wand mit der Inschrift Natürlicher Klimaschutz
Der natürliche Klimaschutz ist das wohl wichtigste Projekt von Bundesumweltministerin Steffi Lemke. Ihre Biodiversitätsstrategie wird aber aus anderen Ressorts in der Ampel-Koalition blockiert.

Gleich drei für die Umweltpolitik hierzulande entscheidende Ministerien sind in grüner Hand: die für Umwelt, Landwirtschaft und Energiewende. Richtet sich Ihre Kritik an alle Grünen-Minister gleichermaßen?

Sie richtet sich primär natürlich an das Wirtschafts- und Klimaministerium und an Robert Habeck. Dort wurden die teilweise verheerenden Gesetzesänderungen ersonnen – übrigens auch solche, die über die EU kamen, um den Erneuerbaren auf Kosten des Naturschutzes eine Bresche zu schlagen.

Für den Naturschutz in Deutschland ist aber nicht der Wirtschaftsminister zuständig, sondern die Umweltministerin – auch eine Parteifreundin von Ihnen. Wie bewerten Sie ihre Politik?

Ich glaube, dass Steffi Lemke eine sehr starke Umweltministerin ist, aber dass sie der Dynamik in den eigenen Reihen nicht standhalten konnte. Es gibt eine ganze Reihe wichtiger und sehr guter Initiativen von ihr. Das Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz bietet viele Chancen, Natur- und Klimaschutz gemeinsam zu betreiben – durch die Wiedervernässung von Mooren und den Schutz von Wäldern. Das ist goldrichtig. Auch die Artenhilfsprogramme sind eine sehr wichtige und richtige Idee. Das Problem ist, dass diese guten Impulse nicht wirklich greifen können, weil sie durch die vielen für die Natur negativen Entscheidungen der Koalition mehr als überlagert werden. Es ist leider so, dass der Naturschutz auch innerhalb der Regierung niedergewalzt wurde – und das zum beachtlichen Teil von den eigenen Leuten, allen voran Habeck. Der Durchmarsch dieser Fraktion ist so massiv, dass sich viele nicht trauen, sich dagegenzustellen.

Müsste sich Ihre Kritik sich nicht viel mehr an SPD und FDP richten?

Nein, das glaube ich nicht. Von der FDP war nichts anderes zu erwarten, als dass sie versucht, für ihre Klientel möglichst viel rauszuholen, und dazu zählen eben vor allem Dinge wie der Abbau von Beteiligungsrechten beim Naturschutz. Wir wären naiv, bei dieser Partei mit etwas anderem zu rechnen. Und die SPD macht das, was sie immer macht: nämlich keine Position zu beziehen. Die Naturschützer in der SPD haben noch nie viel bewirkt, und das ist auch jetzt so. Deshalb ist es schon wichtig, dass wir uns an die Verantwortungsträger innerhalb unserer eigenen Partei wenden.

Es gab vor kurzem ein Gespräch zwischen Vertretern Ihres Naturschutz-Flügels und führenden Umweltpolitikern der Bundestagsfraktion. Was ist dabei herausgekommen?

Nicht viel, ehrlicherweise. Das war für uns sehr frustrierend. Wir haben für unser Anliegen relativ wenig Verständnis bekommen und der Wunsch nach Kurskorrekturen an den beschlossenen Gesetzespaketen zugunsten des Naturschutzes wurde komplett abgebügelt.

Wie geht es jetzt weiter?

Inhaltlich müssen wir weiter versuchen, dass es Korrekturen gibt, bevor der Schaden für die Natur zu groß wird: vor allem an den Regeln zur Windkraft. Und wir müssen dafür sorgen, dass die positiven Ansätze wie das Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz und die Artenhilfsprogramme nicht dem Finanzdesaster zum Opfer fallen, das mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von vergangener Woche verbunden ist. Es darf nicht passieren, dass ausgerechnet bei den Naturschutzprogrammen der Rotstift angesetzt wird. Das steht aber zu befürchten.

Was lässt Sie in der Partei bleiben?

Der komplette Mangel an Alternativen. Und ich habe den Eindruck, dass sich einige innerhalb der Parteiführung auch darauf verlassen, dass wir bleiben, weil es keine bessere Partei für die Sache des Naturschutzes gibt.

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