Vom Studienobjekt zum Erzähler: Der indigene Künstler Feliciano Lana Sibé dreht den Spieß um

Der Künstler aus der oberen Rio-Negro-Region Amazoniens war einer der ersten, der mit Pinsel und Farben seine Kultur sichtbar machte – selbst die unsichtbaren Geister. Jetzt zeigt das Humboldt Forum in Berlin seinen Bildzyklus über die Ankunft der Weißen. Ein Porträt.

vom Recherche-Kollektiv Südamerika+Reporterinnen:
52 Minuten
Ein älterer indigener Mann hält eine Zeichnung ins Bild, die er erklärt.

Für die Weißen war er ein Lehrer, ein Übersetzer. Seine indigenen Künstler-Kollegen nannten ihn kenhiporã: Sohn der Traumzeichnungen. Als Feliciano Lana mit etwa 30 Jahren begann, die alten Geschichten und Traditionen seines Volkes in Bild und Wort festzuhalten, entstand ein neuer Bildkosmos mit eigener Sprache. Noch bis 1. Juni 2026 zeigt das Humboldt Forum in Berlin seinen eigens geschaffenen Zyklus „Die Geschichte der Weißen“. Besuchen konnte Feliciano Lana die Ausstellung nicht. Er starb 2020 an Covid.

Geboren wurde Feliciano Pimentel Lana Sibé 1937 in der kleinen Desana-Gemeinde São João Batista am Fluss Tiquié, im Nordwesten Brasiliens. Sein Vater Manuel Lana ist Desana (siehe Kasten). Seine Mutter Paulina Pimentel gehört der Tukano-Sprachgruppe an. Sie geben ihm den Namen Sibé, was so viel bedeutet wie „Sohn der Sonne“. Denn es ist seine Bestimmung, kumu zu werden, ein Weiser.

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Missionare erziehen ihn mit Gewalt

Mit vier Jahren wird Sibé ins Internat der Salesianer-Missionare geschickt. Es ist seine erste Begegnung mit der Welt der Weißen. Und die ist traumatisch: Dort erhält er seinen christlichen Namen Feliciano Lana. Dazu bekommt er einen militärischen Kurzhaarschnitt und westliche Kleidung verpasst.

In der Internatsschule kommen etwa 100 Kinder aus 22 unterschiedlichen indigenen Gruppen zusammen. Sie werden gezwungen, Portugiesisch zu sprechen. Wer seine Sprache benutzt, bekommt den Mund mit Seife ausgewaschen. Die Kinder müssen mithelfen, das Internat zu erbauen – und dafür schwere Ziegel schleppen.

Zum normalen Lehrplan der nicht-indigenen Schulen in der Stadt hinaus gibt es Werkstätten, in denen die Priester die Jungen zu Schreinern oder Mechanikern und die Mädchen als Schneiderinnen ausbilden.

Ein Mann mit weißem Rock hält einen Jungen an den Haaren fest und haut ihn. Ein anderer Mann steht dabei und zwei Jungen ducken sich in die Schulbank
In der Schule verprügelt Priester Federico seinen Schüler.
Eine wohlgenährte Person mit einem großen Bündel Fische im Vordergrund, dahinter ein dünner Mensch ohne Fisch
Diadoe: Der Mann in dieser Geschichte war Muhipu, der Sternmensch. Andere sagen, er war ein mächtiger Gott. Er lebte am Fluss Uapés, jenseits der Gemeinde Jutica. Jeden Tag fischte er viele Fische. Andere Leute aus dem Dorf gingen fischen, bekamen aber nichts.
Über einer Landschaft erheben sich zwei Vögel in den weiten Himmel. Sie tragen eine Hängematte, in der ein Mann liegt und vom Langhaus des Ursprungs träumt.
Feliciano Pimentel Lana, Sohn der Traumzeichnungen. In seiner Hängematte, die von zwei großen Vögeln getragen wird, liegt ein Mann und träumt vom Langhaus des Ursprungs.
Eine  Frau in mittlerem Alter mit langem offenen Haar, einer weißen Bluse einem Buch unter dem Arm und einer winzigen Handtasche
Die Ethnologin Berta Ribeiro arbeitete seit den 1970er Jahren mit der Familie Lana. Ein Porträt von Feliciano Lana (2019).
Eine Frau sitzt auf einem Hocker, einen Zigarrenhalter in der rechten Hand
Buchcover zur ersten bildlichen Mythologie der Desana. Die Familie Lana gehört zur Abstammungslinie der kenhiporã, der „Söhne der Traumzeichnungen“.
An der Verengung des Rio Negro geht bleibt eine riesige Anakonda stecken.
„Diadoe. Die Große Schlange geht in die Reuse“. Gemälde von Feliciano Lana.
Zwei Männer, beide mit Kopfschmuck. Der eine trägt einen Zeremonialstab, der andere ein Gewehr und Hemd, Hose und Krawatte.
„Der Indigene ist ein Anführer. Der Weiße ist auch Anführer. Die beiden waren Freunde, sie reisten zusammen im Anakonka-Kanu.“
Verschiedene Personen stehen mit dem Rücken zum Betrachter und auf der rechten Seite eine Mutter mit Kindern am Strand, während am Horizont eine Karavelle erscheint.
„Aber niemand wusste, wer mit diesem Schiff zurückkehrte, denn sie waren von hier vertrieben worden. Sie waren schon einmal hier gewesen, mit dem Boot der Verwandlung.“
Ein Mann sitzt auf einem Hocker mit einer großen Zigarre, an der er zieht.
„Der Schamane Francisco bereitet eine Zigarre für den Kampf vor. Sagen wir so, er bat darum, eine Zigarre vorzubereiten.“
Eine größere Figur mit weißem Hut und Pistole im Gürtel erhebt die Hand gegen zwei Indigene, die sich wegducken.
„Dieser Mann ist ein Patron oder sein Sicherheitsmann, er hat gesehen, dass die Kautschukarbeiterin und der Arbeiter Bäume angeschnitten haben und nicht einmal eine Gallone der Milch mitgebracht haben. Deshalb verprügelt er sie.“
Ein Mann mit weißem Rock hält einen Jungen an den Haaren fest und haut ihn. Ein anderer Mann steht dabei und zwei Jungen ducken sich in die Schulbank
„Theodor, der Deutsche“ ist im kollektiven Gedächtnis der Desana präsent – auch, dass er eine wertvolle Schlitztrommel abgehandelt hat. Auf dem Bild sieht man den Ethnologen und links den Besitzer der Trommel, der mit dem Tausch nicht ganz einverstanden ist.
Eine Figur mit einer Pistole schießt und zwei sehen ihr dabei zu
„Hier sieht man zwei weiße Goldsucher bei Schießübungen, sie werfen eine Limette in die Luft. Und als die das Ziel trafen, riefen sie: ‚Dasselbe wird mit den Köpfen der Indios geschehen!‘ Das war vor der Auseinandersetzung.“
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