Das spanische Imperium und der Genozid

Intellektuelle streiten über die Deutung des spanischen Kolonialreichs. Der Ethnologe Oscar Calavia tritt im Interview für eine differenzierte Sicht auf das koloniale Erbe ein.

vom Recherche-Kollektiv Südamerika+Reporterinnen:
15 Minuten
Mann mit grauen Haaren und Bart

Die Diskussion über die koloniale Vergangenheit Spaniens bleibt ein kontroverses gesellschaftliches Thema. Immer mehr Intellektuelle ziehen die „Schwarze Legende“ in Zweifel, in der Fray Bartolomé de Las Casas den Genozid der Spanier an der indigenen Bevölkerung anklagt. Auslöser dieser Welle war ein Buch über die spanische Kolonialgeschichte: Imperiofobia von der spanischen Literaturwissenschaftlerin Elvira Roca Bareas.

Der spanische Ethnologe und Religionshistoriker Óscar Calavia antwortet darauf in seinem Buch Império mío (Mein Kolonialreich). Darin setzt er sich kritisch mit der Zeit der spanischen Weltherrschaft auseinander. Das imperiale Spanien des 16. und 17. Jahrhunderts ist für ihn ein „unglückseliger Ort, (…) an dem der junge Kapitalismus seine Wirkung ohne Filter und Schranken entfaltete und das Reich, oder besser gesagt sein Kaiser, war der Hauptakteur des ganzen Prozesses.“

Ein Gespräch darüber, warum die spanische Kolonialmacht so überaus brutal vorging, über Mestizen als „Doppelagenten“ und warum die Bitte um Verzeihung ein Schwindel wäre.

Ulrike Prinz: Óscar Calavia, erleben wir in Spanien gerade einen neuen Rechtsruck?

Óscar Calavio Saez: Ich würde sagen, wir sehen gerade, wie der hispanische Patriotismus wiederbelebt wird. Die Literaturwissenschaftlerin Elvira Roca Bareas hatte mit ihrem Buch Imperiofobia y la Leyenda Negra (Imperium-Phobie und die Schwarze Legende) einen enormen Erfolg. Sie behauptet, dass Spanien vor allem unter der schlechten Presse seiner Feinde und Rivalen gelitten habe, die ihm ein brutales und rückständiges Image verpasste.

Viele bedeutende Intellektuelle wie Fernando Savater und der kürzlich verstorbene Schriftsteller Mario Vargas Llosa lobten es. Ich halte es für ein schlechtes Buch, das die Geschichte in sehr groben Zügen behandelt. Und es ist sehr auf das Thema der „Schwarzen Legende“ fixiert, in der die spanische Eroberung Lateinamerikas als Genozid angeklagt wird. Das Thema ist in Spanien ein Dauerbrenner.

Letztlich verbirgt sich dahinter die Frage nach Schuld und historischer Verantwortung. Was sagt dieses Buch über das spanische Weltreich aus?

Die Schuld, muss ich leider sagen, liegt bei euch. Denn alles fing alles mit Luther an.

Wie? Bei uns Protestant:innen?

Ja, denn von Luther ging die Opposition gegen die spanische Monarchie und das Kaiserreich Karls V. aus. Er benutzte die Vernichtung der amerikanischen Indigenen, wie sie Bartolomé de Las Casas in seinem Pamphlet beschreibt, als propagandistisches Motiv.

Ich finde es sehr enttäuschend, wenn Intellektuelle wie (der kürzlich verstorbene) Mario Vargas Llosa oder Fernando Savater, die bei der Rechten gelandet sind, sich auf eine so armselige, schematische Vision des Kolonialreichs beziehen, wie sie Elvira Roca Barea in ihrem Buch zeichnet.

Kupferstich von Sklaven in Ketten gelegt, die von den Spaniern traktiert und verstümmelt werden.
„Die Spanier gehen ganz tyrannisch mit den Indianern um, welche auf dem Weg und mit den Brüdern nicht fortkommen möchten.“ Der Kupferstich zeigt die Grausamkeiten, den „Terrorismus“, den die Spanier auf die lokale Bevölkerung ausübten, um die Überlebenden gefügig zu machen.
Federzeichnungen des indigenen Chronisten Guaman Poma de Ayala
Links: „Negersklaven und Negersklavinnen werden mißhandelt und ertragen dies um der Liebe Gottes willen geduldig. Man gibt ihnen keine Kleidung und kein Essen und bedenkt nicht, dass Gott für sie genauso gestorben ist wie für die Spanier.“ Rechts: „Kreolen-Neger rauben ihren Herren Geld, um indianische Huren zu betrügen, und die Kreolen-Negerinnen rauben es, um damit ihren spanischen und schwarzen Freiern zu dienen.“
Kolorierter Kupferstich einer Szene, in der Menschen die Gliedmaßen abgehackt werden.
„Fernando Soto treibt grosse Wütereien in der Landschaft Florida, darinnen er Gouverneur war, und lässt auch etlichen Königen die Hand abhauen.“
Landkarte, auf der das spanische Kolonialreich eingezeichnet ist
Im spanischen Imperium des 16. und 17. Jahrhunderts ging nie die Sonne unter.
In einem Kupferstich sieht man in das Innere eines Berges, der durch indigene Arbeiter bei Kerzenlicht ausgehöhlt wird und die Erze über eine Strickleiter nach oben transportiert werden.
„Wie die Indianer das Gold aus den Bergen graben“: Neuntes Buch AMERICA de BRY. 1590–1634 Amerika oder die Neue Welt. Die „Entdeckung“ eines Kontinents in 346 Kupferstichen. (Hg. Gereon Sievernich, Casablanca Verlag 1990)
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