Kampf dem Zucker: Wie der Staat Kinder vor zu viel Süßem schützen könnte

Viele Kinder essen zu viel Zucker. Die Politik könnte das ändern. Ein Zukunftsszenario.

vom Recherche-Kollektiv die ZukunftsReporter:
10 Minuten
Die Grafik zeigt zwei Schülerinnen, die vor der Schule Cola trinken und Schokolade essen.

Stellen wir uns einmal vor, der Staat würde Verantwortung für die Ernährung der Kinder und Jugendlichen im Land übernehmen und Zucker häufiger bannen. Schokoriegel und Limo in Schulen wären tabu. Ist das eine Entlastung für die Eltern oder ein Schritt hin zur Gesundheitsdiktatur? Ein Zukunftsszenario der ZukunftsReporter.

Anna schaut sich um. Kein Lehrer in Sicht. „Komm, lass uns coken gehen!“ Lilly nickt, schnappt sich ihren Rucksack, die beiden schlüpfen durchs Schultor und rennen los. Zehn Minuten Pause haben sie noch. Nicht viel Zeit, um zum Kiosk zu laufen, sich eine Coke zu kaufen und sie runterzukippen. Aber egal. Nach der Pause haben sie Geschichte bei Herrn Kramer. Staufenkaiser. Totlangweilig. Die Ladung Koffein und Zucker wird ihnen helfen, die Stunde durchzustehen. Der Nervenkitzel auch. Denn natürlich ist es den Schülerïnnen verboten, während der Pausen den Schulhof zu verlassen.

Coken und snickern am Kiosk

Normalerweise steht eine Aufsicht am Tor, weil immer wieder Schülerïnnen abhauen und zum Kiosk gehen. Coken, snickern und kindern ist zu einem Volksport geworden, seit in der Schule keine Süßigkeiten und Softdrinks mehr verkauft werden dürfen. Vor einem halben Jahr kam der Erlass. Nach monatelangen Diskussionen beschlossen die Kultusministerïnnen, besonders zucker- und fetthaltige Lebensmittel aus den Schulen zu verbannen. Der „zuckerfreie Schultag“ wurde zum Leitmotiv: Keine Süßigkeiten in der Schule – nicht in den Brotboxen der Kinder, nicht im Verkauf. Die Mensen mussten ihre Speisepläne umstellen, es gibt keine Chicken Nuggets mehr, keine Pommes, kein Ketchup, keinen Milchreis mit Zucker und Zimt. Nur Nachtisch mit Zucker ist noch erlaubt, aber die Portionen sind klein.

Viel schlimmer finden Lilly, Anna und ihre Freundinnen aber, dass der Schulkiosk keine Schokoriegel, keine Limo, keinen Eistee mehr verkaufen darf. Wie sollen sie ohne den Energiekick morgens fit werden oder den drögen Geschichtsunterricht überstehen? Der Kiosk drei Straßen weiter ist ihre Rettung.

Schon als sich abzeichnete, dass die Kultusministerïnnen in Sachen Zucker ernst machen, gab es Proteste. Die Schulkioskbetreiber schrieben einen offenen Brief an die Politik: Wie sollen sie überleben, wenn sie nur noch Äpfel und Vollkornstullen verkaufen dürfen? Klar, das war überspitzt. Niemand verbietet Brezeln, Obstsalate, belegte Brötchen. Aber mit Kuchen, Schokokussbrötchen und Limo lässt sich einfach mehr Geld verdienen. Zumal die Kioske und Supermärkte rund um die Schulen ja weiterhin Süßes verkaufen dürfen. Ungerecht, riefen die Schulkioskpächter und starteten eine Online-Petition. Schon nach wenigen Tagen hatten Zehntausende unterschrieben, vor allem Schülerïnnen. Aber auch Eltern.

Gibt es ein Recht auf ungesunde Ernährung?

Von „Gesundheitsdiktatur“ und dem „Untergang der Freiheitsrechte“ war die Rede. „Mit Corona fing es an. Damals schrieb uns der Staat vor, wen wir treffen dürfen, jetzt mischt er sich in unser Essen ein“, twitterten Eltern unter dem Hashtag #freiesSchulessen. Oder: „Gegen den Kontrollwahn. Wir lassen uns nicht vorschreiben, was unsere Kinder essen“. In der Elternvertretung bildeten sich Lager. Ein Teil der Eltern jubelte: „Endlich kämpfen wir nicht mehr alleine gegen den allgegenwärtigen Zucker an. Endlich ändert sich das Angebot.“ Andere sprachen von Bevormundung, es gebe ein Recht, sich ungesund zu ernähren, nicht jeder müsse sich optimieren.

Die Lehrerïnnen bekamen die Anordnung, mit den Kindern über das mitgebrachte Essen zu sprechen und klar zu formulieren, was nicht mehr erwünscht ist. Bei Nichteinsicht sollten sie Süßigkeiten konfiszieren. Die Empörung war groß.

Die Grafik zeigt Schülerïnnen, die am Kiosk anstehen, um Süßigkeiten zu kaufen.
Schülerïnnen decken sich in den Pausen heimlich mit Softdrinks ein.