Auf den blauen Himmel deuten, während es in Strömen regnet

Das Regime der demokratischen Wahrheit, Teil 3. Von Michael Seemann

von Michael Seemann
13 Minuten
Ein Muster aus Blau- und Brauntönen

26. März 2017

Als Mitt Romney 2012 in einer kleinen Wahlkampfveranstaltung sagte, dass er sich in seiner Präsidentschaft nicht um die 47 Prozent Transferempfänger kümmern wolle, war ihm nicht klar, dass jemand den Ton mitgeschnitten hatte. Als die Aufnahme veröffentlicht wurde, stürzten sich die Medien darauf, der Skandal nahm seinen Lauf. Romneys Kampagne war ruiniert. So läuft das in den USA. Das Mediensystem ist unerbittlich, man darf sich keine Fehler erlauben, die Medien zerstören einen sofort.

Donald Trump wurde zerstört. Jede Woche mindestens einmal, den gesamten Wahlkampf über. Und durchaus zu recht, denn die Skandale sprudelten fast täglich in die Medien. Ein Skandal in der Größe von Mitt Romneys Ausrutscher hätte es bei Trump wahrscheinlich nicht mal in das Ressort Vermischtes geschafft. All die dunklen Machenschaften die auftauchten, seine Angriffe auf Richter, republikanische Ikonen, Kriegshelden und Journalist/innen. Seine Weigerung, seine Steuer zu veröffentlichen, seine Pleiten, seine täglichen, dreisten Lügen, seine Ignoranz und sein komplettes Unwissen. Dazu Anschuldigungen und Gerichtsprozesse zu Betrug, Vorteilsnahme und sexuellen Belästigungen und schließlich das Access Hollywood Tape, in dem er noch selbst mit seinen sexuellen Übergriffen prahlt.

Und jedes Mal wurde er zerstört. So war es zu lesen.

Trump ist erledigt!
Das wars!
Das ist das Ende seiner Kampagne!
Jetzt aber wirklich!
Das überlebt er nicht!
Zerstört!
Trump has been destroyed!

Ständig! überall! Es gibt nur ein Problem: Trump wurde nicht zerstört. Kein einziges Mal. Hier und da hat er kurzfristige Einbußen in den Umfragen hinnehmen müssen, Leute wendeten sich von ihm ab, doch der Schaden für ihn war nie nachhaltig. Trump ist aus Teflon, nichts bleibt kleben. Er ist resistent noch gegen die schlimmsten Skandale. Es ist heute schwer vorstellbar, was Trump noch anstellen müsste, um wirklich nachhaltig die Zustimmung seiner Unterstützer/innen zu verlieren.

Hier – in dieser Resilienz – liegt das Geheimnis der „demokratischen Wahrheit“ verborgen. Wer nach dem Access-Hollywood-Video nicht den Hut nehmen muss, kann sich auch erlauben, vom blauen Himmel zu erzählen, während es in Strömen regnet. Um das Geheimnis aber zu lüften, müssen wir genau analysieren, wie Trump es geschafft hat, derart unangreifbar zu werden.

Wie man Multiresistenz herstellt

In meinem Buch „Das Neue Spiel“ schlage ich als zentrale Strategie gegenüber dem Kontrollverlust vor, sich selbst und die eigenen Strategien möglichst „antifragil“ zu gestalten. Dennoch hat es etwas gedauert, bis ich gemerkt habe, dass Donald Trump das perfekte Beispiel dafür ist.

Das Konzept habe ich von Nassim Taleb übernommen, der es in seinem Buch „Antifragility“ dargelegt hat. Taleb unterscheidet drei Modi der Resilienz. Wenn ein System so empfindsam ist, dass es bei unerwarteten Ereignissen zusammenbricht, dann nennt er es „fragil“. Wenn Ereignisse zwar stören, aber das System im großen und ganzen standhält, ist es „robust“. Wenn das System aber umso besser funktioniert, je mehr Stress es ausgesetzt wird, dann spricht Taleb von einem „antifragilen System“. Antifragilität ist wie die Hydra, der zwei neue Köpfe wachsen, wenn man einen abschlägt.

Trump wachsen keine weiteren Köpfe, aber er scheint auf die ihn umwehenden Skandale doch auf eine Art zu reagieren, die man antifragil nennen muss. Seine Anhänger/innen scheinen ihm nicht nur alles zu verzeihen, sondern jedes mal mehr. Trumps Satz, dass er am helligten Tag jemanden auf der 5th Avenue erschießen könnte, ohne dass es ihn Stimmen kosten würde, war tatsächlich ernst gemeint und vermutlich wollte er Lob dafür ernten, dass er es trotzdem nicht tut.

In der Realität funktioniert Antifragilität nicht ganz so plakativ wie bei der Hydra, sondern ist ein mehrschichtiger Prozess komplexer, adaptiver Systeme. Antifragilität ist immer eine Doppelstrategie: ein robuster Kern plus eine volatile Variable. Ein Beispiel ist die Barbell-Strategie in der Finanzwelt. Einerseits investiert man sehr konservativ, sichert sich gegen alle Risiken ab, andererseits behält man sich vor, schnell auf die volatilen Gelegenheiten zu setzen. Es geht darum, einerseits dem Kontrollverlust gelassen entgegensehen zu können, andererseits seine Chancen für sich nutzen zu können.

Schritt eins: Die Katastrophe tritt ein. Das System hält stand (wenn auch etwas beschädigt).

Schritt zwei: Aus der Katastrophe lernen. Sein System umgestalten, dass Katastrophen noch weniger Schaden anrichten können.

Das klassische Beispiel für ein antifragiles System ist das Immunsystem. Ohne ständige Störung des Immunsystems durch Angreifer, wäre es nicht effektiv. Jede Störung ist ein Training. Das Immunsystem funktioniert besser, wenn es herausgefordert wird. Ein anderes Beispiel – die Gegenseite quasi – sind multiresistente Bakterien. Multiresitenz ist eine Eigenschaft, die erst durch mehrfache, verfehlte Vernichtung ausgebildet wird.

Natürlich zerstört ein Antibiotikum einen Großteil der Population (Schritt eins), aber wenn die übriggebliebene Population wieder gedeiht, ist sie resistent gegen das Antibiotikum (Schritt zwei). Dieses Video vermittelt eine gute Vorstellung von dem Prozess:

Viele gelbe Petrischalen auf einem Tisch.
Antibiotikatest: Nicht einmal das Breitbandmittel geballter Ablehnung wirkte gegen Trump.