„Es regnet nicht im Computer“ – wo sich Gehirn und Software unterscheiden

Ein Google-Mitarbeiter behauptete vor Kurzem, eine künstliche Intelligenz könne empfinden. Im Interview betonen Hirnforscher hingegen Unterschiede zwischen KI und Gehirn.

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Nervenfasern eines menschlichen Gehirns, dargestellt mittels „Polarized Light Imaging“. Die Methode, entwickelt am Forschungszentrum Jülich, macht die Verläufe von Nervenfasern mit einer Auflösung von wenigen tausendstel Millimetern sichtbar.

„Wenn ich nicht genau wüsste, was es ist, nämlich dieses Computerprogramm, das wir entwickelt haben, würde ich denken, es sei ein 7– oder 8-jähriges Kind“, sagte Blake Lemoine jüngst der Washington Post. Der KI-Experte arbeitete bei Googles Abteilung für „Verantwortliche künstliche Intelligenz“ („Responsible AI“). Nachdem er sich mit Googles künstlicher Intelligenz „Lamda“ unterhalten hatte, glaubte er, diese sei empfindungsfähig und ging damit an die Öffentlichkeit. Google entließ ihn daraufhin.

Lambda ist ein „Sprachmodell“, eine künstliche Intelligenz also, die mit Unmengen an Text trainiert wurde. Nach dem Training kann sie echt wirkende Dialoge, auch über anspruchsvolle Themen wie Religion oder Roboterethik, führen. Von sich selbst behauptete Lamda, ein Bewusstsein zu haben.

Die KI wirkt also wie ein denkendes Wesen. Aber ist sie das wirklich? Kann eine KI überhaupt denken wie ein Mensch? Und wenn ja, ist die heutige Technologie schon so weit? Riffreporter hat mit zwei führenden Hirnforschern über diese Fragen gesprochen.

Prof. Dr. med. Katrin Amunts ist wissenschaftliche Leiterin des „Human Brain Project“, einem groß angelegten Forschungsprojekt zum menschlichen Gehirn der EU. Sie arbeitet am Forschungszentrum Jülich und der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

Prof. Dr. Rainer Goebel ist Hirnforscher und KI-Experte an der Universität Maastricht und ebenfalls am Human Brain Project beteiligt.

Das Gespräch dreht sich um die derzeit meist beachtete Art der KI, das so genannte Deep Learning, zu der auch Lamda gehört. Beim Deep Learning simuliert ein Computer grob das menschliche Gehirn. Die Software bildet dessen Netz aus Nervenzellen (Neuronen) und Synapsen (Kontaktstellen zwischen Nervenzellen) nach. Das Deep-Learning-Netz lernt durch Verarbeiten vieler Daten, zum Beispiel von Bildern oder Texten. Es erkennt bestimmte Muster in den Daten, etwa Gesichter, oder in welchem Zusammenhang das Wort „Regen“ oft vorkommt. Dieses Wissen nutzt die Software, um neue Daten zu analysieren. Sie kann das Wissen auch neu zu künstlichen Bildern oder Texten kombinieren.

Je mehr Synapsen diese Netze besitzen, desto mehr beeindrucken ihre Leistungen. Dank neuer Hardware könnten Deep-Learning-Netze bald so stark vernetzt sein wie das menschliche Gehirn. Manche KI-Forscher glauben, dass sie dann auch menschenähnliche Intelligenz entwickeln werden.

Riffreporter: Professorin Amunts, wie nahe das Deep Learning dem menschlichen Gehirn kommen kann, hängt davon ab, wie gut es dem Gehirn nachempfunden ist. Reicht es, wenn ein Deep-Learning-Netz die schiere Anzahl der Synapsen des menschlichen Gehirns erreicht? Oder gibt es noch andere wichtige Aspekte des Gehirns, die das Deep Learning nicht beachtet?

Katrin Amunts: Es gibt fundamentale Unterschiede in der Struktur der neuronalen Netze von Gehirn und künstlicher Intelligenz. Die Neurone im Gehirn sind auf ganz unterschiedliche Art und Weise organisiert, zum Beispiel in Hirnarealen oder Schichten innerhalb eines Areals. Unterschiedliche Hirnareale hängen mit unterschiedlichen Funktionen zusammen. Um Hirnstruktur und Funktion miteinander in Verbindung zu bringen, entwickeln wir seit hundert Jahren Atlanten von Gehirnen. Es reicht eben nicht, nur die einzelnen Neuronen zu betrachten. Die Komplexität betrifft nicht nur die Ebene der Nervenzellen, sondern auch große Netzwerke, die verschiedene Areale miteinander verknüpfen. Nicht nur die Anzahl, die Quantität, der Neuronen und Synapsen spielt eine Rolle, sondern auch die Qualität, das heißt, wie die Zellen angeordnet sind und wohin ihre Verbindungen gehen, hat viel mit der Funktion des Gehirns zu tun und die ist sehr anders als in künstlichen neuronalen Netzen.

Prof. Dr. med. Katrin Amunts, wissenschaftliche Leiterin des Human Brain Projects, einem groß angelegten Forschungsprojekt zum menschlichen Gehirn der EU. Sie arbeitet am Forschungszentrum Jülich und der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.
Prof. Dr. med. Katrin Amunts, wissenschaftliche Leiterin des Human Brain Projects, einem groß angelegten Forschungsprojekt zum menschlichen Gehirn der EU. Sie arbeitet am Forschungszentrum Jülich und der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.
Prof. Dr. Rainer Goebel ist Hirnforscher und KI-Experte an der Universität Maastricht und ebenfalls am Human Brain Project beteiligt.
Prof. Dr. Rainer Goebel ist Hirnforscher und KI-Experte an der Universität Maastricht und ebenfalls am Human Brain Project beteiligt.