Buch-Marketing zu Covid-Zeiten – verächtliche Blicke, hölzerne Zuhörerin und spezieller Gewinn
Spontanlesung & Buchverkauf über'n Sattel-Tresen: Wie ich meiner erfolgsarmen Verkaufsfahrt durch den Norden Deutschlands trotzdem Gutes abgewinne.
von Martin C RoosSind Menschen in Uelzen nicht nur eifrige Eulen- sondern auch Buch-Käufer? Mit dieser und vielen anderen Fragen – mit jede Menge Zweifeln und einer Spur Verzweiflung fuhr ich kurz vor dem Herbst-Lockdown im November auf Buch-Verkaufstour. Ich gehöre zu den tausenden von Autoren, die 2020 ein Buch auf den Markt geworfen haben, das sich weder auf Messen noch in Lesungen vermarkten ließ. Der Pandemie wegen.
Buchliebe in Zeiten der Corona
Hier erzähle ich in dürren Worten und einigen Bildern, warum ich es trotzdem als Gewinn verbuche, mich als RadelnderRadbuch-Verkäufer abgearbeitet zu haben. Auch wenn von 5,5 Kilogramm Exemplaren meines Werks nur 1,2 Kilogramm über den mobilen Satteltresen gingen.
Sicher liegt das auch am Genre: Nicht nur das Thema Deutschland, sondern auch das Bild eines Rennradlers hat im Corona-Herbst des Jahres 2020 wenig Konjunktur.
Exakt vier Paperbacks werde ich auf meiner circa sechzigstündigen Reise verkaufen, entsprechend vier mal 293.000 gedruckten Zeichen – mehr als eine Million! Das hört sich gleich viel besser an als der eingenommene Betrag: 59,96 €, zuzüglich 0,04 € Trinkgeld (und abzüglich 64 € für Übernachtungen).
Der erste Tag ist schön zum Radfahren, aber schlecht für die Kasse: Weder in Lübeck (Foto oben) noch in Lüneburg (unten) werde ich ein Buch los.
Jeder noch so mühseligen Reise lässt sich am Ende das Etikett „Bildungsreise“ anhängen. Im für mich unwirtlichen Uelzen lerne ich: Es gibt den Uhlenköper. Das ist ein Uelzener Kaufmann, der der Sage nach anstelle von Birkhähnen Eulen erwirbt. Deswegen bezeichnet sich die phoenetische Zumutung namens Uelzen auch noch selbst als „Uhlenköperstadt“.
Eule = Uhle
Der Eulenkauf lief nicht ganz freiwillig: Das Federvieh im Sack pries man dem Kaufmann als Baarftgaans an, was Barfußgeher bedeutet. Der Kaufmann verstand Barkhahns – Birkhähne! Und zahlte einen stattlichen Preis. Der Käufer verklagte den Bauern, der zur Verteidigung einräumte, er habe eindeutig „Baarftgaans“ verkauft. Und dass ihm die Tatsache recht gebe, dass Eulen ja tatsächlich barfuß gehen! Also schmetterte der Richter des Kaufmanns Klage ab, „und die Uelzener nannte man seither Uhlenköper – Eulenkäufer“, heißt es auf der Webseite der Hansestadt.
Im Herbst 2020 steht eine wuchtige Holzbank vor dem Rathaus. Eingefasst ist die Bank von zwei riesengroßen Eulen des Motorsägenkünstlers Andrée Löbnitz; alles zusammen wiegt fast vier Tonnen. Die Bank fertigte Löbnitz aus zwei Eichenstämmen – beide zusammen sind etwa 750 Jahre alt. Was zur Jahreszahl des Stadtjubiläums passt, das Uelzen heuer beging. Beziehungsweise groß begehen wollte. Womit wir wieder bei der Pandemie wären.
Die Frequenz von Passant:inn:en vor dem Markthaus sinkt kurz nach Mittag auf 1 pro 15 Minuten. Ich verstaue meine Bücher und fahre gen Sachsen-Anhalt.
Löss lassen
Hinter Wolfsburg erklimme ich Hügelland, an denen sich einst mahlende Gletscher abarbeiteten. Lössboden – frisch gekürter „Boden des Jahres 2021“ – zieht sich aus Richtung Hannover bis hierher und weiter zur Magdeburger Börde. Vor Helmstedt erscheinen mir die Acker mit ihrer herbstlichen Lupinenpracht besonders fruchtbar. Und besonders menschenleer.
Als ich mich am zweiten Fahrtag vor dem Magdeburger Hauptbahnhof für meine Fotoaufnahmen des „Verkaufsstands“ aufbaue, fühle ich mich besser geerdet. Mit meinem Ausrüstungs-Chaos auf dem regennassen Vorplatz bekomme ich freundliche Grüße und Kommentare von zwei Obdachlosen, die neugierig heranschlurfen, um mein seltsames Treiben und fotografisches Posieren zu beäugen. Die beiden und ich, wir fühlen uns irgendwie verbunden.
Wie in Uelzen bilde ich mich an dem Monument weiter, an das ich mein Fahrrad lehne. Es ist eine tonnenschwere Granitplastik: Unsere Erdachse.
Das schwarze Monstrum oben im Bild soll exakt ein Millionstel der Entfernung messen, die Nord- und Südpol auseinander liegen (1271,35 Zentimeter).
Und sie dreht sich doch! Platsch, landen drei meiner Bücher in einer Pfütze unterhalb des Gepäckträgers, weil der Motor im Boden die gewaltige Erdachse einen Millimeter weiter bewegt hat.
Ich breche meine Zelte ab, nehme den Zug nach Wittenberge und radle nach Schwerin. Auf dem Weg dorthin habe ich einen unerhörten Einfall. Aber das ist eine andere Geschichte.
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Martin C Roos
Ich texte und fotografiere seit 1996 freiberuflich für Internetmedien, Magazine und Zeitungen. Themen schöpfe ich aus den LifeSciences, aus der Geographie und mitten aus unserem Land, dem ich seit 2018 als RadelnderReporter auf den Zahn fühle.
RadelnderReporter
Lospreschen, vor Ort recherchieren – mit unverstellter Neugierde, aus eigener Muskelkraft: So greife ich mir Themen am Rand der Gesellschaft, aus denen sich bisweilen große Fragen formen. Wie geht’s Deutschland? steht für mich im Blickpunkt als RadelnderReporter – meiner Erfindung im Geiste von Egon Erwin Kisch.
Wie geht's Deutschland? war erstes Schwerpunktthema des RadelndenReporters, Wie geht gute Ernährung – generell sowie im Sport? ist mein neuer Schwerpunkt (Einstieg 2021 hier). Über neue Texte, Bilder und Clips informiert der kostenlose Newsletter.
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