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Notfallversorgung in Deutschland: Wie die geplante Reform die Situation verbessern soll
Krank in der Nacht: Was sich bei der Gesundheitsversorgung im Notfall demnächst ändern soll
Nicht gleich in die Notaufnahme, sondern erstmal ans Telefon: Ein Gesetzesentwurf zur Reform der Notfallversorgung setzt auf neue Strukturen und bessere Vernetzung.

Rückenschmerzen in der Nacht, juckender Ausschlag am Wochenende: Oft gehen Menschen mit solchen Gesundheitsproblemen gleich in die Notaufnahme im Krankenhaus. Viele wissen nicht, dass es meist sinnvoller wäre, sich zuerst an die Bereitschaftspraxen der Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) zu wenden.
Das Ergebnis: Die Notaufnahmen sind überfüllt, und wenn die Probleme nicht lebensbedrohlich sind, müssen Patient*innen lange warten. Das führt zu Stress und Ärger bei allen Beteiligten.
Dieses Problem ist schon lange bekannt. In einzelnen Regionen gibt es zwar schon Ansätze für Lösungen, eine bundeseinheitliche Regelung stand bisher aber aus. Das soll sich demnächst ändern: Die Bundesregierung hat im Juli 2024 den Entwurf eines Gesetzes verabschiedet, der die Notfallversorgung reformieren soll. Was könnte sich dadurch für Patient*innen verbessern?
Wie eine telefonische Ersteinschätzung helfen soll
So sollte es derzeit eigentlich laufen: Bei lebensbedrohlichen Gesundheitsproblemen wie Schlaganfall oder Herzinfarkt den Rettungsdienst unter der 112 anrufen, bei kleineren Problemen die 116 117 wählen und sich nach der nächstgelegenen Bereitschaftspraxis erkundigen.
Das Problem: Wer die beste Stelle ist, ist nicht immer und für alle klar. Wer bisher an der falschen Stelle anruft, wird nicht immer automatisch weiterverbunden und auch die Angaben zum Gesundheitsproblem können die Stellen oft nicht weitergeben. Das kostet nicht nur Nerven, sondern bei dringlichen Gesundheitsproblemen auch kostbare Zeit.
Der Gesetzesentwurf sieht deshalb vor, dass sich die Leitstellen der KVen, die für die Bereitschaftspraxen zuständig sind, und die Rettungsleitstellen, die den Rettungswagen schicken, besser vernetzen, Anrufer*innen automatisch weiterverbinden und auch die Informationen zu den gesundheitlichen Problemen übermitteln.
Gleichzeitig sollen künftig beide Arten von Stellen die Gesundheitsprobleme in einem standardisierten Verfahren erheben und bewerten, sodass es eindeutig ist, ob sie dringend sind oder nicht. Ein solches qualitätsgesichertes Instrument gibt es aber derzeit noch nicht. Aktuell bieten die KVen mit dem Patienten-Navi ein Online-Tool an, mit dem Betroffene selbst die Dringlichkeit ihres Gesundheitsproblems bewerten können.
Auch sollen die KV-Leitstellen künftig rund um die Uhr erreichbar sein und besser ausgestattet, sodass die derzeit manchmal langen Wartezeiten am Telefon entfallen. Bisher ist die Erreichbarkeit je nach KV-Bezirk unterschiedlich geregelt: Manchmal sind die Leitstellen nur dann besetzt, wenn Hausarztpraxen geschlossen sind, in anderen Bezirken sind sie dauerhaft zu erreichen.
Außerdem sollen die KVen über die Leitstellen auch mehr telemedizinische Angebote bereithalten. So könnten Arzt oder Ärztin per Videocall klären, wie dringlich das Problem tatsächlich ist. Künftig sollen es die KVen auch flächendeckend ermöglichen, dass Arzt oder Ärztin im Bereitschaftsdienst ins Haus kommen, wenn die Betroffenen nicht in die Bereitschaftspraxis gehen können. Das soll verhindern, dass Patient*innen bei nicht-lebensbedrohlichen Problemen den Rettungsdienst rufen.
Wie integrierte Notfallzentren die Versorgung verbessern sollen
Wer mit einem kleineren Gesundheitsproblem in die Notaufnahme geht, muss bislang oft lange warten, bis die schwerwiegenderen Fälle versorgt sind. Die Reform soll deshalb auch dafür sorgen, dass Patient*innen schneller die für sie passende Versorgung finden.
Dazu soll es künftig bundesweit an ausgewählten Krankenhäusern „Integrierte Notfallzentren“ (INZ) geben. Konkret heißt das: Wer das Krankenhaus als (vermeintlicher) Notfall aufsucht, kommt zuerst an einen „gemeinsamen Tresen“. Dort sortieren die Mitarbeitenden, wer tatsächlich in die Notaufnahme gehört und wer sich besser in der angeschlossenen oder nahegelegenen Notfallpraxis behandeln lässt. Solche Zentren gab es bisher nur an einzelnen Orten, künftig sollen sie bundesweit mit einheitlichen Öffnungszeiten etabliert werden.
Im Idealfall sollen Patient*innen vorab unter der 116 117 klären, ob der Gang zum INZ überhaupt sinnvoll ist, oder ob sie nicht auch bis zur Öffnung der Hausarztpraxis warten können. Wer eine INZ-Empfehlung erhält, soll auch schneller als bisher behandelt werden.
Anders als derzeit die Notaufnahmen sollen die INZ künftig Krankschreibungen und Rezepte ausstellen können. Bei dringendem Bedarf, etwa nachts oder am Wochenende, sollen Patient*innen Arzneimittel gleich vor Ort erhalten. Zusätzliche Wege in die Hausarztpraxis und in die Notdienstapotheke könnten damit überflüssig werden.
Wo es Diskussionen gibt
Dass sich am derzeitigen Zustand etwas ändern muss, darüber sind sich Expert*innen in allen Bereichen einig. Der Gesetzesentwurf folgt einer Empfehlung der Regierungskommission für die Krankenhaus-Reform, die wiederum Vorschläge eines Gutachtens aus dem Sachverständigenrat Gesundheit aufgreift.
Kritik gibt es allerdings an Details der geplanten Regelungen. So sind viele Fragen zur Finanzierung und Vergütung noch nicht zur Zufriedenheit aller geklärt. Auch kritisieren die KVen, dass durch die Reform künftig viel mehr Ärztinnen und Ärzte benötigt würden. Woher diese bei dem bestehenden Ärztemangel kommen sollen, sei aber unklar.
An anderer Stelle gibt es Kompetenzgerangel zwischen dem stationären und ambulanten Bereich: So ist umstritten, ob tatsächlich die Krankenhäuser wie vorgesehen die Regie für die integrierten Notfallzentren übernehmen sollen und in welchem Umfang die KVen sich daran beteiligen.
Wann die Reform kommen soll
Der Entwurf sieht also weitreichende Änderungen vor. Geht es nach dem Bundesgesundheitsminister, soll das Gesetz aber bereits Anfang 2025 in Kraft treten. Das ist ein sehr ambitionierter Zeitplan. Dazu muss das parlamentarische Verfahren nach der Sommerpause zügig starten: Denn das Gesetz muss nicht nur den Bundestag, sondern auch den Bundesrat passieren. Und da könnte es erfahrungsgemäß möglicherweise eng werden: Denn wenn der Bundesrat wie beim Krankenhaus-Transparenz-Gesetz nicht zustimmt, sondern erst den Vermittlungsausschuss anruft, dürfte das den Prozess empfindlich verzögern.
Kompliziert dürfte es auch dadurch werden, dass der Bundesgesundheitsminister im parlamentarischen Verfahren gleichzeitig noch die Reform des Rettungsdienstes einbringen will – nicht wie ursprünglich geplant in einem eigenen Gesetzesvorhaben, sondern über Änderungsanträge zum Gesetz zur Notfall-Reform. Der Rettungsdienst ist allerdings organisatorisch eine komplexe Angelegenheit: Auf gesetzlicher Ebene ist er Sache der Länder, um die Umsetzung kümmern sich aber die Kommunen. Hier gibt es von Region zu Region deutliche Unterschiede, was sowohl die Ausstattung als auch die Qualität angeht. Auch hier dürften Konflikte also vorprogrammiert sein.
Eine umfassende Notfall-Reform wird also zeitnah nur gelingen, wenn Bund, Länder, Krankenhäuser und Ärzteschaft es schaffen, sich über Strukturen und Finanzierung zu verständigen. Das wäre dringend nötig, damit sich die Situation für Patient*innen verbessert.