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Kritik an neuer Studie zu Intervallfasten: Wie aussagekräftig sind die Ergebnisse wirklich?
Intervallfasten: Wie gefährlich sind lange Pausen beim Essen wirklich?
Birgt Intervallfasten hohe Risiken? Das legt eine neue Studie scheinbar nah. Dass die Ergebnisse tatsächlich belastbar sind, bezweifeln Fachleute jedoch.

„Neue US-Studie warnt: Intervallfasten erhöht Herz-Kreislauf-Risiko drastisch.“ Manche Medien machten mit solchen oder ähnlichen Schlagzeilen auf. Einige waren dagegen deutlich vorsichtiger und setzten zumindest ein Fragezeichen dahinter. Andere Medien gingen noch weiter und markierten die Untersuchung schon im Titel als umstritten. Denn medizinische Fachleute bezweifeln, dass die Ergebnisse tatsächlich so eindeutig sind.

Die Studie, die für die drastischen Schlagzeilen sorgt, wurde als wissenschaftliches Poster bei einem Kongress der American Heart Association vorgestellt. Die Organisation hatte dazu eine Pressemitteilung und die Zusammenfassung der Studie an die Medien gegeben, inzwischen ist auch das Poster selbst online verfügbar. Eine wissenschaftliche Publikation, die ausführliche Informationen zu den Methoden der Studie enthält und ein Fachgutachten (Peer-Review) durchlaufen hat, gibt es bisher nicht.
Das heißt: Die im Moment verfügbaren Informationen sind ziemlich dünn und lassen sich noch nicht endgültig bewerten. Es gibt aber bereits jetzt einige Anhaltspunkte, dass man die Schlussfolgerung „Intervallfasten erhöht die Sterblichkeit drastisch“ mit Vorsicht genießen muss. Die wichtigsten Kritikpunkte beziehen sich auf die Frage, was eigentlich genau untersucht wurde, wie aussagekräftig die Daten sind und wie genau die Schätzung zu den Risiken ausfällt.
Wie lassen sich die Auswirkungen von Ernährung untersuchen?
Warum man die neue Studie besser vorsichtig bewerten sollte, zeigen bereits ein paar grundsätzliche Überlegungen.
Eine sehr aussagekräftige Studie zum Intervallfasten könnte so aussehen: Man teilt eine ausreichend große Menge an Versuchspersonen nach dem Zufallsprinzip auf zwei Gruppen auf. Die eine macht Intervallfasten, die andere isst wie sonst. Durch diese Randomisierung ist gewährleistet, dass die Ausgangsbedingungen in den Gruppen gleich sind. Außerdem müssten sich die Gruppen ähnlich verhalten, etwa nicht rauchen oder gleich viel Sport treiben. Nach einer ausreichend langen Zeit würde man vergleichen, wie häufig bestimmte Krankheiten oder Ereignisse wie Herzinfarkte oder Todesfälle in den Gruppen sind. Mit einer solchen Studie ließe sich der ursächliche Zusammenhang zwischen dem Ernährungsstil und der Gesundheit gut belegen.
Gerade bei Ernährungsfragen sind solche Studien jedoch oft nicht praktikabel, besonders wenn es um längere Zeiträume wie viele Jahre oder gar Jahrzehnte geht. Deshalb sind Ernährungsstudien oft Beobachtungsstudien: Darin untersuchen Forschende, was Menschen essen und wie ihr Gesundheitszustand ist. Daraus versuchen sie Rückschlüsse zu ziehen, wie sich der Ernährungsstil oder die Menge bestimmter Nährstoffe auf einzelne Krankheiten auswirken.
Es gibt aber ein wichtiges Problem: Krankheiten werden auch noch durch eine Menge anderer Faktoren beeinflusst und manchmal wirken sich diese auch auf den Ernährungsstil aus. Das kann das Ergebnis solcher Studien verzerren. Dieses Phänomen bezeichnen Fachleute auch als Confounding. Manchmal ist der Ernährungsstil sogar das Ergebnis und nicht die Ursache einer bestimmten Krankheit (umgekehrte Kausalität).
Es gibt zwar einige statistische Verfahren, um den Einfluss störender Faktoren zu kontrollieren. Alle wird man allerdings damit nicht ausmerzen können. Deshalb lassen sich mit Beobachtungsstudien in der Regel nur statistische Zusammenhänge zwischen Ernährungsstil und Krankheiten identifizieren. Ob es tatsächlich einen ursächlichen Zusammenhang gibt, bleibt oft unklar.
Daneben gibt es in der neuen Studie aber auch noch einige weitere Aspekte, die die Aussagekraft einschränken.
Was hat die Studie eigentlich genau ausgewertet?
Die umstrittene Studie hat nicht selbst Daten erhoben, sondern nutzte Daten aus einer großen öffentlich finanzierten US-amerikanischen Erhebung (NHANES), bei der jährlich 5.000 repräsentative Personen befragt werden – in der Regel sind es in jeder Runde andere. In der medizinischen Methodik nennt man das eine Querschnittsstudie.
Was NHANES untersucht
In NHANES wird das Ernährungsverhalten also nicht über einen längeren Zeitraum verfolgt, sondern die Teilnehmenden tragen zweimal im Laufe eines Jahres in einen Fragebogen ein, was und wie viel sie zu welchem Zeitpunkt innerhalb der letzten 24 Stunden gegessen oder getrunken haben. Daraus berechnen die Verantwortlichen für NHANES etwa Nährstoff- oder Kalorienzufuhr.
Neben Angaben zum Ernährungsverhalten werden auch verschiedene Gesundheitsparameter erhoben. NHANES soll dazu dienen, zum Beispiel einen Überblick zu bekommen, wie sich Menschen in den USA ernähren oder wie häufig Erkrankungen wie Bluthochdruck oder Übergewicht sind. Die Daten der Ernährungserhebung sind außerdem mit dem US-amerikanischen Todesursachen-Register verbunden. So können Forschende für die Teilnehmenden der Erhebung herausfinden, ob die Personen zu einem bestimmten Stichtag bereits verstorben sind und was die Todesursache war.
Was das für die umstrittene neue Studie bedeutet
Forschende können die Daten von NHANES für eigene Fragestellungen nutzen. So war es auch in der umstrittenen neuen Studie. Das ist grundsätzlich zulässig und kann helfen, Zusammenhänge besser zu verstehen. Allerdings gibt es auch Einschränkungen, was die Aussagekraft der Auswertungen angeht.
So haben die Forscher der umstrittenen Studie aus den angegebenen Essensintervallen Gruppen gebildet, zum Beispiel Menschen, die an weniger als acht Stunden an den betrachteten Tagen gegessen haben. Menschen mit Nahrungszufuhr über mindestens 12, aber weniger als 16 Stunden bildeten die Vergleichsgruppe. Die Forscher konnten aber nicht unterscheiden, ob jemand absichtlich in Intervallen fastete oder aus anderen Gründen über einen kürzeren oder längeren Zeitraum an den ausgewählten Tagen nicht gegessen hat.
Insgesamt haben die Forscher Daten von rund 20.000 Personen ausgewertet, die zwischen 2003 und 2018 an NHANES teilgenommen hatten. Dabei schauten sich die Forscher Todesfälle jeglicher Ursache an, außerdem separat auch diejenigen, die durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Krebs entstanden. Zusätzliche Analysen beschränkten sich auf Menschen, die zum Zeitpunkt der Ernährungserhebung eine Herz-Kreislauf-Erkrankung oder Krebs hatten. Zu dem Zeitpunkt, als die Daten zu Todesfällen abgerufen wurden, waren die Daten zum Ernährungsverhalten allerdings schon etliche Jahre alt: Zwischen der ersten Ernährungserhebung und der Erhebung von Todesfällen lagen bei der Hälfte der Teilnehmenden acht oder mehr Jahre, bei einigen waren es sogar 17 Jahre. Ob die Ernährung in dieser Zeit gleich geblieben ist, lässt sich nicht sicher abschätzen.
Wie sicher sind die Ergebnisse der neuen Studie?
In der Pressemitteilung sticht vor allem ein Ergebnis heraus: In der Studie errechneten die Forscher, dass die Sterblichkeit durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei denjenigen mit Nahrungsaufnahme über höchstens 8 Stunden um 91 Prozent steigt, also sich fast verdoppelt. Das klingt tatsächlich dramatisch. Allerdings lohnt es sich, genauer hinzuschauen: Wie groß ist der Effekt wirklich? Und gibt es Anhaltspunkte, dass die Studie die Schädlichkeit eher überschätzt?
Wie viel sind 91 Prozent mehr?
Wenn das Risiko rechnerisch um 91 Prozent steigt, hört sich das viel an. Das Poster liefert allerdings auch die absoluten Zahlen dazu, die deutlich weniger aufregend klingen: In der Gruppe mit der kurzen Nahrungsaufnahmen verstarben 31 Menschen von 414 (also 7 von 100) an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung, in der Vergleichsgruppe mit Nahrungsaufnahme über 12 bis 16 Stunden waren es 423 Menschen von 11.831 (also 4 von 100). Der Unterschied liegt also bei 3 von 100 Menschen – wohlgemerkt über einen Zeitraum von 8 bis 17 Jahren.
Ob sich dieser Unterschied aber tatsächlich aus dem unterschiedlichen Essverhalten ergibt oder ob es dafür noch andere Gründe gibt, lässt sich nicht aus der Studie ableiten. Es bleibt also, wie oben beschrieben, unklar, ob es einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Intervallfasten und Todesfällen aufgrund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen gibt.
Im Poster zur neuen Studie führen die Forscher zwar einige Faktoren an, die sich ebenfalls auf die Sterblichkeit auswirken können und die sie bei der Auswertung berücksichtigt haben, wie beispielsweise Alter, Kalorienzufuhr insgesamt, Rauchstatus oder Bewegungsverhalten. Ob das ausreicht und gut gemacht wurde, lässt sich aber im Moment nicht vollständig nachvollziehen, weil die Studie noch nicht vollständig veröffentlicht wurde. Wenn die Forscher jedoch nicht alle relevanten Faktoren berücksichtigt haben, könnte der wahre Effekt auch deutlich kleiner sein.
Möglicherweise ungenau
Weil in der Gruppe mit den stark eingeschränkten Essenszeiten nur 31 Menschen starben, ist die Schätzung zur Sterblichkeit durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen eher ungenau und es ist fraglich, ob sich die Ergebnisse tatsächlich verallgemeinern lassen.
Was im Poster außerdem noch auffällt: Die Autoren berechnen viele verschiedene Effekte. Dazu gehören für jede der drei untersuchten Todesursachen vier Vergleiche – und das gleiche nochmal für die beiden Sonderauswertungen (Subgruppenanalysen). Auf dem Poster finden sich so die Ergebnisse von 36 statistischen Tests. Bei so vielen Testungen steigt das Risiko, dass sich darunter auch einige rein zufällige Ergebnisse finden, die aber wie echte Unterschiede aussehen. Es gibt statistische Methoden, um dieses Risiko zu senken. Ob die Autoren diese angewendet haben, geht aus dem Poster aber nicht hervor. Diese Details wird vermutlich erst die vollständige wissenschaftliche Publikation liefern.
Welche Rückschlüsse aufs Intervallfasten lassen sich aus der Studie ziehen?
Ob Intervallfasten tatsächlich die Sterblichkeit durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöht, lässt sich anhand der umstrittenen Studie weder sicher bestätigen noch ausschließen. Die Sterblichkeit durch alle Todesursachen zusammen steigt in der Auswertung jedenfalls nicht, auch nicht die durch Krebserkrankungen.
Einige offene Fragen wird womöglich eine ausführliche wissenschaftliche Publikation zu den Auswertungen beantworten, für andere sind weitere Untersuchungen nötig. Dazu gehört zum Beispiel auch die Frage, ob Intervallfasten für Menschen mit Vorerkrankungen riskanter ist als für sonst gesunde Menschen.
Leider fehlen bisher gut gemachte, belastbare langfristige Untersuchungen zum Intervallfasten, sowohl zu den erwünschten Effekten als auch zu den möglichen Risiken. Wer sich für Intervallfasten interessiert, kann sich derzeit nur auf gut gemachte Zusammenfassungen der bisherigen kurzen Studien zum Intervallfasten stützen. Allerdings kommen regelmäßig neue, teilweise sehr unterschiedliche Studien zum Thema hinzu, sodass es schwierig ist, auf dem Laufenden zu bleiben.